51. Morgenstunde

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Eragon liebte es so aufzuwachen. Es war noch früher Morgen und die Vögel im nahe gelegenen Wald begrüßten den neuen Tag in den höchsten Tönen. Sanft zog der Anführer der Drachenreiter Aryas schlanken Körper etwas näher an sich und genoss den Duft von Tannennadeln der ihm entgegenströmte.
Ein paar smaragdgrüne Augen fingen den Blick von Saphiras Reiter ein und verrieten ihm, ohne dass ein Wort gewechselt werden musste, dass auch die Elfe den Frieden dieses Augenblicks genoss.
So aufzuwachen, langsam in den Tag hinein zu gleiten war eines der Geschenke, dass Eragon stets mit einem Besuch in seiner alten Heimat verknüpfte. Inzwischen war die Ostmark für ihn ein zuhause geworden aber wie jeder Ort auf der Welt hatte sie ihren eigenen Rhythmus. Dort wartete meist ein klar strukturierter Tagesablauf und wollte Punkt für Punkt abgearbeitet werden. Die meisten der Pflichten waren durchaus angenehmer Natur: Unterricht der Novizen des Ordens, Sitzungen des Rates und Ähnliches.
Besonders die Tätigkeit als Lehrer empfand Eragon nicht als Bürde. Vielmehr sah er darin eine sehr dankbare Tätigkeit und mit jedem Schüler der die Reihen der Drachenreiter ergänzte fühlte Eragon Stolz auf das er gemeinsam mit Saphira vollbracht hatte.
Trotzdem freute er sich den Tag hier auf völlig andere Weise beginnen zu können. Hier, im Palancar Tal schien die Zeit etwas anders zu vergehen. Alles war ein wenig fließender und schien harmonisch ineinander über zu gehen. Hier konnte er es sich leisten einfach eine Weile neben seiner Gefährtin liegen zu bleiben obwohl sie beide das Reich bereits verlassen hatten, in das ihr Wachschlaf sie in jener Nacht entführte. Hier konnten sie einfach noch eine Weile die Wärme und Nähe des anderen genießen, Zärtlichkeiten austauschen, und sich von Zeit zu Zeit beim anderen einen sanften Kuss stehlen.
Die beiden ältesten Drachenreiter des Ordens waren nach ihrer Mission im Reich der Elfen in Eragons alte Heimat zurückgekehrt um hier auf die Ankunft von Ismira, Cale und den verstoßenen Elfen aus dem Norden zu warten. Ein gütiges Schicksal hatte ihn einige Tage Vorsprung vor der zu erwartenden Ankunft gegeben und die Möglichkeit den Frieden und die Ruhe die das Palancar Tal ihnen anbot zu genießen. Gerade nach den stürmischen Ereignissen der letzten Tage waren diese Augenblicke der Ruhe nun Balsam für Eragons Seele. Er hatte die Zeit genutzt um seine Gefühle wieder zu ordnen und auch mit den Erinnerungen an Bloedgrams Angriff Frieden zu schließen. Er hatte gute Gespräche mit seinem ehemaligen Leibwächter geführt und beide hatten beschlossen das Vergangene hinter sich zu lassen. Der Wolfkatzenelf hatte eingeräumt Fehler gemacht zu haben. Er hatte sich seiner Trauer um den Verlust seiner Gefährtin und seines Kindes nicht ausreichend gestellt. Er hatte sie einfach an einem dunklen Ort in seinem Geist verband und sich in die neue Aufgabe gespürt die die damalige Königin Islanzadi an ihn herantrug. Nämlich die Aufgabe den Schutz der größten Hoffnung im Kampf gegen Galbatorix zu übernehmen. Auch als die Schlacht geschlagen und der Krieg vorbei war hatte es stets neue Herausforderungen gegeben und der Alltag beim Wiederaufbau des Ordens hatte die Trauer und den Schmerz zugedeckt wie der Schnee es im Winter mit der ganzen Welt tat.
Tars Offenbarungen hatten alles wieder ans Tageslicht geholt und die Erkenntnis, dass all die Trauer vergeblich gewesen war hatte den Schmerz in Wut verwandelt.
Auch mit seiner ehemaligen Gefährtin Tialva hatte Bloedgram viele Gespräche geführt. Nach dem vermeintlichen Tod ihres Kindes hatten die beiden nicht mehr miteinander reden können. Die neue Verantwortung als Eltern hatte diese Kluft nun überbrückt.
Eragon ertappte sich bei der Hoffnung, dass die beiden Elfen vielleicht wieder zueinander finden würden. Er hatte aber beschlossen sich was die Beziehung der Beiden anging zurückzuhalten. Zunächst war es wichtig für sie die Vergangenheit aufzuarbeiten und erst dann konnte die Zukunft geplant werden. Gern hatte der Anführer der Drachenreiter jedoch zugestimmt als Tialva sich das Recht ausbat in die Ostmark übersiedeln zu dürfen. Sie wollte auf jeden Fall in der Nähe ihres Sohnes bleiben.
Ein Wunsch den Eragon nur zu gut nachvollziehen konnte. Noch immer war es für ihn schwer zu begreifen das reine Ablehnung ohne einen handfesten Grund Auslöser für all diese Aufregung gewesen war. Er hatte mit Saphira darüber geredet und sich und seiner Drachendame schließlich eingestehen müssen, dass ihm dieser irrationaler Hass der Heilerin mehr in Angst versetzte als das Böse, dass er in der Vergangenheit bekämpft hatte. Sowohl für Galbatorix Wahnsinn als auch für das Verhalten der 13 hatte es nachvollziehbare Gründe gegeben. Es war schwer zu begreifen, dass es Wesen gab, die einfach hassten ohne dass ihnen Leid zugefügt worden war oder ist eine Schuld zu begleichen gab. Doch so war es. Es gab Individuen, für die die bloße Existenz einer gewissen Gruppe von Lebewesen eine Beleidigung darstellte. Eragon konnte nur hoffen, dass so jemand nie in einer Machtposition kommen würde. Der Schaden der dadurch angerichtet werden könnte, würde vermutlich immens sein.
Eragon überlegte gerade ob er sich von seiner Gefährtin noch einen Kuss stehlen wollte als der Frieden des Augenblicks durch das Geräusch von kleinen Füßen durchbrochen wurde. Eilige Schritte nährten sich auf dem Flur, die Tür wurde aufgerissen und mit einem fast panisch klingenden "Versteckt mich!" warf sich Marlena zwischen ihrer Eltern und vergrub sich eilig unter deren Bettdecke.
Eragon und Arya blickten sich etwas ratlos an. Sie glaubten nicht, dass ihre Tochter vor einer wirklichen Gefahr auf der Flucht war aber irgend etwas hatte sich offenbar zugetragen.
Die Antwort klopfte nur Augenblicke später leise an die Tür zum Gemach der beiden Drachenreiter.
Diesmal wurde die Tür langsam geöffnet und das freundlich lächelnde Gesicht von Katrina erschien im Türrahmen. Mit dem geübten Blick einer mehrfache Mutter entdeckte die junge Gräfin sofort den einen, kleinen, nackten Fuß der noch immer unter der Bettdecke hervorragte.
Mit Unschuldsmiene fragte Rorans Gattin die beiden Reitern:
"Ihr habt nicht zufällig eure Tochter gesehen oder? Da demnächst ein Fest ansteht habe ich die Badewanne für meine Rasselbande füllen lassen. Ich dachte mir, das Marlena auch ein Bad gebrauchen könnte aber offenbar hält sie davon soviel wie meine Älteste es als Kind getan hat."
Inzwischen war Katrina an das Bett ihres Schwagers und seiner Gefährtin herangetreten, ging in die Hocke und pustete vorsichtig gegen den kleinen, nackten Fuß von Marlena.
Von einem schrillen Quietschen begleitet verschwand auch dieses Körperteil nun eilig unter der Bettdecke.
Eragon musste schmunzeln und klappte nun die Decke zurück nur um sich dem vorwurfsvollen Blick seiner Tochter stellen zu müssen.
"Verräter." murmelte das kleine Mädchen mit vor der Brust verschränkten Armen.
"Na, na!" schmunzelte Eragon beschwichtigend. "Erkläre mir doch mal bitte warum du seit neuestem Wasserscheu bist?"
"Bin ich doch gar nicht!" sprudelte es aus Marlena heraus. "Ich will aber mit euch kommen wenn ihr den Elfen aus dem Norden entgegen fliegt. Mama sagt immer das geht nicht der Mann frisch gebadet ist. Dann ist man innerlich so warm und bekommt Schnupfen!"
"Das stimmt." lachte Arya und streichelte ihrer Tochter über den ungekämmten Haarschopf." Ich habe auch schon mit Fírnen gesprochen. Er trägt dich gern meine Kleine."
"Na gut." lenkte Katrina ein. "Das kann ich natürlich verstehen."
Bevor weitere Worte gewechselt werden konnten ertönte ein leises Räuspern von der Tür her. Anna, die langjährige Magd der Adelsfamilie, stand dort und bedeutete ihrer Herrin kurz mit ihr auf den Flur zu treten. Offenbar empfand sie es als unschicklich einfach ins Schlafgemach von Eragon und Arya einzutreten.
Katrina trat zu ihr, ließ sich eine kurze Botschaft zu flüstern und kehrte dann zu Eragon und seiner Familie zurück.
"Dein ehemaliger Schüler Tar hat sich über den magischen Spiegel bei uns gemeldet. Er möchte dringend mit dir sprechen Eragon. Es geht wohl um seine Schülerin Naja. Er sagt er bräuchte einen Rat von einem erfahrenen Lehrer des Ordens."
"Gut, dann mach das mal Papa." kommandierte Marlena noch bevor irgendjemand anders etwas sagen konnte." Ich kuschle so lange noch mit Mama."
Mit diesen Worten griff sich das kleine Mädchen einen Arm der Elfe, wickelte sich darin ein und schmiegte sich eng an ihre Mutter. Arya konnte ihren Gefährten nur noch ein Lächeln und einem mitleidigen Blick mit auf den Weg geben als dieser sich erhob um sich anzuziehen.
Während Katrina bereits wieder auf den Flur hinaustrat und die Tür hinter sich schloss spürte er Eragon plötzlich eine Welle von Heiterkeit die nicht von ihm ausging.
"Saphira? Bist du das?"
"Wer sonst?" gluckste die wohl bekannte Stimme der Drachendame.
"Und was findest du so erheiternd meine Schöne."
"Nur die Tatsache, dass mein Kleiner gerade von seinem eigenen Küken aus seinem Nest vertrieben worden ist."


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