Veröffentlicht am 11.08.2024
DR. TABEA ROHDE
14.05.
Tränen fließen bei mir. Ich höre, wie die Tür sich schließt. Endlich bin ich alleine. Ich drehe mich ganz zur Seite und es fließen mehr Tränen. Was bin ich nur für eine Mutter? Ich müsste für Leo da sein stattdessen lasse ich ihn alleine. Wie gerne ich mich irgendwo auch ihm kümmern würde, ich weiß, dass ich das nicht schaffe. Ich fühle mich zu schwach dafür. Ich kann ihm nichts bieten. Und wenn er eines Tages erfährt, dass ich ihn alleine gelassen habe, dann wird er mich hassen. Zurecht, denn welche Mutter lässt ihr Baby zurück?Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter. Ich erschrecke mich und schaue auf. Johanna sitzt auf der Kante der Liege.
Johanna: „Ich bin da.“
Ich schüttle meinen Kopf. „Warum?“
Johanna: „Weil ich nicht möchte, dass du jetzt alleine bist.“
Ich will was sagen, aber es geht nicht. Tränen fließen. Johanna bleibt da. Sie sagt nichts, aber ihre Hand auf meiner Schulter zeigt mir, dass sie da ist. Ich beruhige mich langsam und wende mich ihr zu. Sie nimmt ihre Hand von meiner Schulter. Ich lege mich auf den Rücken.
Johanna: „Ich stelle das Rückenteil höher“, steht auf und macht es, „Ist es so ok?“
Ich nicke.
Johanna setzt sich wieder auf die Kante. Sie sagt nichts, sie schaut mich nur an.
Ich: „Ich bin keine gute Mutter. Ich habe Leo alleingelassen. Dafür wird er mich hassen, zurecht. Ich kann keine gute Mutter für ihn sein. Wie soll das gehen in Vollzeit und Schichtdienst und ohne Wohnung? Einen Vater wird er nicht haben, weil Frederik ihn nicht sehen will. Was ist das für eine Zukunft für ein Kind?“
Johanna: „Jedes Kind wächst anders auf und Leo ist nicht das erste Kind welches ohne Vater aufwächst. Und wer weiß vielleicht wird Frederik doch für ihn da sein. Er befindet sich aktuell in einer Ausnahmesituation, genau wie du.“
Ich: „Das wäre für Leo schön, wobei ich nicht daran glaube. Ich muss ohne ihn planen.“
Johanna: „Und das kannst du. Du kannst raus aus den Schichtdienst. Erstmal kannst du in Elternzeit gehen, dann raus aus den Schichtdienst, evtl. erstmal nur Teilzeit in Elternzeit arbeiten. Und das mit der Wohnung, bist du eine hast kannst du vielleicht weiter bei Cati wohnen. Von Frederik wirst du Unterhalt bekommen und ggf. stehen dir weitere finanzielle Hilfen zu.“
Ich: „Bis das alles erledigt ist, ist Leo groß.“
Johanna schüttelt ihren Kopf. „Du hast eine gute Basis und bist nicht obdachlos. Du musst es nur wollen dich zu verändern.“
Ich: „Ich weiß nicht ob ich das will.“ und schaue zur Decke.
Johanna: „Die Entscheidung des Wollens musst du treffen. Das muss nicht jetzt sein. Vielleicht hilft es dir mit dem Jugendamt zu sprechen oder mit anderen Institutionen, welche dir deine Möglichkeiten erklären können. Es kann auch helfen Leo wiederzusehen.“
Ich zucke mit den Schultern.
Johanna: „Weglaufen ist der falsche Weg. Diese Entscheidung bestimmt über dein ganzes Leben. Daher sollte sie bewusst getroffen werden. Du kommst jetzt erstmal wieder zu Kräften. Morgen überlegen wir gemeinsam ob du verlegt werden kannst und das möchtest. Wenn du lieber hier bleiben möchtest akzeptiere ich das. Wichtig ist gerade, dass du gesund wirst. Im übrigen ist Leo versorgt.“
Ich: „Ok. Vermutlich ist auch schon eine Familie für ihn gefunden worden.“
Johanna: „Das weiß ich nicht. Cati könnte dir das sagen.“
Ich schaue zu ihr: „Bei dir ging es damals auch sehr schnell. Und Leo ist wie Maja damals auch ein Baby. Babys werden gut vermittelt.“
Johanna schaut kurz zur Seite und dann zu mir. „Zur Adoption kann er nur gegeben werden wenn du das unterschreibst. Bis dahin ist er nur in Pflege.“
Ich: „Wo ich kein Kind wieder rausholen würde. Das kann Bindungsängste auslösen.“
Johanna: „Das hängt mit zusammen wie lange es dort ist und auch das Alter vom Kind. Und bei Leo sieht es noch ganz anders aus. Er ist in der Klinik.“
Ich: „Leider.“
Johanna: „Und kämpft. Er will leben.“
Ich: „Ich hoffe er schafft es.“
Johanna: „Das hoffe ich auch.“Ich: „Wie war es denn für dich als du plötzlich Mutter geworden bist?“
Johanna stockt kurz. „Überraschend. Wobei wir ein Kind wollten und mit Maja zur Familie wurden.“
Ich: „Wie verlief die Vermittlung zu euch?“
Johanna: „Das ging alles sehr schnell. Und da der Umzug geplant war ist Maja direkt mitgezogen.“
Ich: „Wisst ihr warum ihre Eltern sie abgegeben haben?“
Johanna: „Nein.“
Ich: „Habt ihr Informationen von den Eltern?“
Johanna: „Nein.“
Ich: „Wisst ihr wie sie ihre ersten Monate verbracht hat?“
Johanna: „Nein.“
Ich: „Was werdet ihr Maja sagen wenn sie nach ihren biologischen Eltern fragt?“
Johanna: „Bis dahin ist zum Glück noch Zeit. Und wenn der Moment kommt wird uns was einfallen.“
Ich: „Werdet ihr ihr nicht sagen, dass sie adoptiert ist?“
Johanna: „Schon, aber erst wenn sie älter ist.“
Ich: „Wissen viele, dass sie adoptiert ist?“
Johanna: „Nein. Unsere Familien und engen Freunde, mehr nicht. Maja ist unsere Tochter.“
Ich: „Sie hat tolle Eltern bekommen.“
Johanna lächelt.
Ich: „Darf ich dich was persönliches fragen?“
Johanna: „Ja.“
Ich: „Warum habt ihr ein Kind adoptiert?“
Johanna: „Es hat bei uns auf normalen Weg nicht geklappt und dann haben wir uns für eine Adoption entschieden.“
Ich: „Das tut mir Leid.“
Johanna: „Es ist ok. Noch mehr seitdem wir Maja haben.“
Ich: „Möchtet ihr noch ein Kind adoptieren?“
Johanna: „Ich denke nicht. Wir sind mit ihr glücklich.“
Ich: „Und wenn du jetzt schwanger wirst?“
Johanna: „Das wird nicht passieren. Maja bleibt ein Einzelkind.“
Ich merke, dass ihr das Thema nah geht. Sie wirkt aufgeregt. „Ich wollte dir nicht zu nah treten.“
Johanna: „Es ist ok. Ich spreche nur ungern darüber.“
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Das verlorene Kind
FanfictionDr. Charlotte Engel ist 32 Jahre, Ärztin und arbeitet in der Klinik am Südring. Sie ist eine gute, beliebte Ärztin. Von ihren Kollegen wird sie sehr geschätzt, u.a. für ihre einfühlsame Art, wie auch ihrer Hilfsbereitschaft. Sie versucht jeden Fall...