107. Emma soll sich entscheiden

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Veröffentlicht am 15.02.2020

FREDERIK
Es ist Samstag. Gerade haben Emma und ich zusammen gefrühstückt.

Das Gespräch mit Frau Fuh, Emmas Klassenlehrerin, hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Keinesfalls möchte ich alleine entscheiden, wie ihre schulische Laufbahn weitergeht. Am liebsten würde ich es einfach vergessen, dass es das Gespräch gab oder noch mehr drüber nachdenken. Nur was bringt mir das? Mehr als bisher nicht. Außer, dass mir die Zeit davon rennt, denn Freitag gibt es schon Zeugnisse.

Also beschließe ich, das Gespräch mit meiner Tochter zu suchen.

Emma sitzt auf dem Sofa und liest ein Buch. Ich setze mich zu ihr.
Ich:"Emma. Hast du Zeit für mich?"
Emma:"Ja." und legt das Buch auf ihren Schoß.
Ich:"Ich möchte mit dir was besprechen."
Fragend schaut sie mich an.
Ich:"Magst du dafür das Buch zur Seite legen?"
Emma:"Ok." und legt es auf den Wohnzimmertisch.
Ich:"Du weißt doch, dass ich ein Gespräch mit Frau Fuh hatte."
Emma:"Ja."
Ich:"Sie hat mir erzählt, wie gut du mitarbeitest und vorallem wie schnell und dass du auch die Zusatzaufgaben gut machst."
Emma lächelt stolz.
Ich:"Sie glaubt, dass dir langweilig ist, weil du schon alles kannst."
Emma:"Ich kann auch schon alles, aber die andern nicht."
Ich:"Ist dir denn langweilig in der Schule?"
Emma:"Manchmal ja. Wenn die anderen das einfach nicht verstehen, obwohl es doch so einfach ist. Und dann brauchen die ewig für eine Aufgabe und ich bin schon längst fertig."
Ich:"Stört dich das?"
Emma:"Manchmal ja."
Ich:"Weißt du, Frau Fuh hat die Idee, dass du vielleicht in eine andere Klasse kommst, wo du andere Sachen lernst und dir nicht mehr langweilig ist."
Emma:"In welche Klasse denn?"
Ich:"In die 3.Klasse."
Emma lehnt sich zurück und denkt nach. "Geht da noch jemand aus meiner Klasse hin?"
Ich:"So viel ich weiß nicht."
Emma setzt sich auf. "Dann geh ich da nicht hin. Alleine ist das doof."
Ich:"Du bist nicht alleine. In der Klasse sind andere Schüler."
Emma:"Aber meine Freunde nicht."
Ich:"Du kannst neue Freundschaften schließen und die anderen siehst du weiterhin in der Pause und im Hort."
Emma denkt nach. "Trotzdem bin ich alleine. Die kennen sich alle schon."
Ich:"Ja, wobei im Leben ist es immer so, dass sich schon welche kennen und Neue hinzukommen. Zum Beispiel Greta und Oskar kannten sich aus der Kita und du kennst sie seit der Schule."
Emma:"Stimmt."
Ich:"In der 3.Klasse lernen die anderes als in der 2.. Manchmal hast du schon Zusatzaufgaben davon bekommen, welche du gelöst hast."
Emma lächelt. "Die Zusatzaufgaben sind das beste im Unterricht."
Ich:"Stell dir vor du hättest nur noch so welche Aufgaben?"
Emma:"Das wäre toll."
Ich:"In der 3.Klasse wäre das so."
Emma:"Manches was die machen kann ich auch schon. Zum Beispiel das Rechnen mit plus und minus ist total einfach und bis 1000 zu rechnen sowieso."
Ich:"Dann wäre es doch toll, das immer zu haben."
Emma:"Ja, aber was ist wenn die was machen,  was ich nicht kann und die haben das schon gelernt? Das ist doof für die wenn das wegen mir nochmal gelernt werden muss."
Ich:"Ich bin mir sicher, dass das nicht nur für dich nochmal gelernt wird und an der Wiederholung lernt man."
Emma:"Ja, aber ich bin viel kleiner wie die. In Sport kann ich nicht so hoch springen und so schnell rennen kann ich auch nicht und dann bekomme ich eine schlechte Note. Das will ich nicht."
Ich:"Die Lehrer wissen, dass du jünger bist und noch nicht alles können musst, was die können. Aber du zeigst, dass du es willst, und das zählt und macht die Note aus."
Emma:"Aber die sind alle älter wie ich und ich bin für die ein Baby."
Ich:"Das bist du nicht, weil die schnell merken werden,  dass du genau so schlau bist wie die."
Emma:"Aber wenn ich da schlechte Noten bekomme ist das doof."
Ich:"Schlechte Noten bekommt jeder mal. Ich hatte auch nicht nur 1en."
Emma:"Bist du dann nicht traurig, weil ich eine schlechte Schülerin bin?"
Ich:"Nein, denn du bist meine Tochter. Ich hab dich lieb, egal welche Noten du hast. Im übrigen kannst du auch, wenn es nicht klappt zurück in die 2.Klasse"
Emma:"Das ist blöd, erst gehen und dann wiederkommen. Entweder man geht oder man bleibt."
Ich:"Du darfst selbst entscheiden was du möchtest. Ich bin mit beidem einverstanden. Entweder du bleibst in der 2.Klasse oder du wechselst in die 3.Klasse. Vielleicht kannst du auch mal zur Probe in die 3.Klasse? Ich könnte das Frau Fuh fragen."
Emma nickt. "Wann soll ich denn eigentlich in die 3.Klasse?"
Ich:"Du sollst nicht; du darfst. Frau Fuh meint, dass es nach dem Halbjahr gut wäre."
Emma:"Das ist in einer Woche."
Ich nicke.
Emma:"Kann wirklich keiner meiner Freunde mitkommen?"
Ich:"Ich glaube nicht, wobei ich Frau Fuh fragen kann."
Emma nickt.
Ich:"Soll ich sie auch fragen, ob du mal zur Probe dahin gehen kannst? Nur mal so zum Schnuppern?"
Emma:"Ja."
Ich:"Das mach ich. Ich schreibe ihr eine E-Mail."
Emma:"Ok.", nimmt ihr Buch vom Tisch und liest weiter.

Ich nehme mein Laptop und schreibe eine E-Mail an Frau Fuh.

Montagnachmittag bekomme ich die Antwort, dass keine weiteren Kinder die Klasse wechseln werden und Emma stundenweise zur Probe in die 3.Klasse gehen kann. Sie wird das mit Emma besprechen.

Ich erzähle Emma von der E-Mail. Sie hat Angst davor ihre Freunde zu verlieren. Allerdings möchte sie die Probestunden wohl machen.

Es ist eine sehr schwere, weitreichende, Entscheidung, welche ich eine 6-jährige treffen lasse. Vielleicht muss ich da doch mehr eingreifen? Aber wie? Ich weiß nicht, was wirklich das Beste schulisch für sie ist. Einerseits braucht sie kognitiv mehr, andererseits nehme ich ihr dadurch die Freunde. Einerseits behält sie ihre Freunde, andererseits ist sie kognitiv unterfordert und langweilt sich. Welches von beiden ist besser?

Das verlorene KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt