Veröffentlicht am 19.12.2021
TABEA
Es ist 5 Uhr als ich aufwache. Ich schaue mich im Zimmer und sehe, dass ich alleine bin. Ich lege vorsichtig meine Hände auf meinen Bauch. Ich frage mich, wie es dem Baby wohl geht? Spreche ich wirklich schon nur von Baby? Es sind doch zwei. Auch wenn eines nicht mehr lebt, es ist in meinem Bauch. Es ist neben seinem Zwilling gestorben. Es wird mit dem Zwilling zur Welt kommen und leider keinen Atemzug machen. Es wird keinen Schrei von sich geben. Wie sehr hätte ich dem Baby das gewünscht, doch es hat sich entschieden zu gehen. Vielleicht ist es für das Baby besser, denn niemand konnte mir sagen, ob und wie es leben wird. Vielleicht wollte es kein Pflegefall sein. Ich hätte das angenommen, doch jetzt ist es anders und ich muss mich damit abfinden mein Baby gehen zu lassen. Ich habe es schon mal gemacht, doch diesmal ist es anders. Dieses Baby wird beerdigt werden. Ich werde mein Baby zu Grabe tragen. Ich will es nicht, sondern muss es.Leise öffnet sich die Tür. Dr. Oliver Dreyer kommt herein und stellt sich neben mein Bett.
Oliver:" Hallo Tabea. Ich habe deine veränderten Werte gesehen und mir gedacht, dass du vermutlich wach bist."
Ich:"Ja, das bin ich."
Oliver:"Wie geht es dir?"
Ich:"Es könnte besser sein." und schaue auf meine Bettdecke.
Oliver:"Das stimmt, wobei die Operation Vorteile hatte."
Ich:"Ich weiß. Ich hätte sonst ein Frühchen oder gar zwei tote Babys. Beides wollte ich nicht. Und da alles gut gegangen ist wird der Rest auch klappen."
Oliver: "Den Optimismus darfst du nicht verlieren."
Ich:"Das habe ich nicht vor. Wie geht es eigentlich Frederik?"
Oliver: "Den Umständen entsprechend. Er ist stabil und wenn es so bleibt wird er später extubiert."
Ich atme leicht durch.
Oliver:"Er wird das schaffen, denn er weiß, was auf ihn wartet."
Ich:"Er erwartet das Schöne. Vielleicht spürt er schon längst, dass es nicht mehr so ist."
Oliver schaut auf mein Bett. "Darf ich mich zu dir setzen?"
Ich nicke und mache ihm Platz.
Oliver:"Ich glaube, dass Frederik genau weiß, dass es anders ausgehen kann. Aber ihm ist eure Liebe wichtiger."
Ich:"Ich hoffe."
Oliver:"Das weißt du."
Ich:"Mmh."
Oliver:"Du hättest ihn jetzt gerne bei dir?"
Ich:"Ja."
Oliver:"Das verstehe ich. Er kann es leider nicht. Glaube mir, er würde es gerne sein."
Ich:"Das weiß ich, dass er lieber hier wäre als dort wo er jetzt ist. Ich wäre jetzt auch lieber bei ihm.", stocke, "Ich lasse ihn alleine."
Oliver:"Das machst du nicht. Es geht gesundheitlich gerade nicht anders und dafür hat er Verständnis."
Ich:"Ich denke, aber ich habe dafür keins."
Oliver: " Das musst du dir geben. Es ist gesundheitlich nicht möglich und so schwer es auch ist, es bringt dir nichts, dir deshalb Vorwürfe zu machen. Das würde Frederik nicht wollen."
Er legt eine Hand auf meinen Unterarm. "Ihr seit beide Kämpfer. Ich wünsche euch, dass ihr in ein paar Wochen zusammen sitzt und sagt, wie gut das es so gelaufen ist."
Ich: "Das hoffe ich auch. Nur die Gewissheit gibt es dafür nicht "
Oliver:"Leider nicht. Aber daran zu glauben kann viel bewirken."
Ich nicke.
Seine Hand löst sich von meinem Unterarm.
Ich:"Glaubst du, Frederik hat gespürt, dass was mit ihm nicht stimmt?"
Oiver:"Ich weiß es nicht. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass er bewusst was verschwiegen hat."
Ich:"Vielleicht um mich zu schützen?"
Oliver:"Vielleicht. Nur hätte er dann mit jemanden anderes sprechen können."
Ich:"Stimmt. Wobei er da stur ist."
Oliver:"Oh ja. Wobei da kenne ich noch jemanden die das ist." und schaut mich mit einem Grinsen im Gesicht an.
Ich grinse kurz.
Oliver:"In dem Punkt seit ihr euch gleich."
Sein Pieper geht und er schaut darauf. "Der OP ruft." und steht auf. "Versuch noch ein bisschen zu schlafen. Es ist noch Nacht."
Ich:"Ich versuch es."
Er verlässt den Raum.Ich schaue zum Fenster und bemerke, dass ich keines habe. Es wird mir bewusst, dass ich auf der Intensivstation liege. An mir sind Käbel, die mich überwachen und es würde Alarm abgeben, wenn was nicht stimmt. Im Schwesternzimmer können die meine Werte am Monitor sehen. Das erspart es immer wieder beim Patienten rein zu müssen.
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Das verlorene Kind
Fiksi PenggemarDr. Charlotte Engel ist 32 Jahre, Ärztin und arbeitet in der Klinik am Südring. Sie ist eine gute, beliebte Ärztin. Von ihren Kollegen wird sie sehr geschätzt, u.a. für ihre einfühlsame Art, wie auch ihrer Hilfsbereitschaft. Sie versucht jeden Fall...