130. Glück II

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Veröffentlicht am 20.08.2020

TABEA
Es ist Ende Mai. Vor einem Monat hat Miriam mir erzählt, dass sie schwanger ist. Seitdem spricht sie fast nur noch darüber. Sie und ihr Freund freuen sich sehr auf das Baby.

Ich freue mich für sie, doch es wird mir langsam zu viel. Als eine gute Freundin von ihr erzählt sie mir vieles und das ungefragt. Ich finde es toll, dass sie mir vertraut, doch diesmal fällt es mir schwer Fassung zu bewahren. 
Miriam weiß nicht, dass ich eine Mission Abortion hatte. Sie weiß nicht, dass das nicht mal ein Jahr zurückliegt und wenn das Baby zur Welt gekommen wäre, wäre es jetzt ein paar Wochen alt. Ich denke oft daran wie es dann wohl wäre. Ich wäre zuhause im Mutterschutz. Wäre ich in Elternzeit gegangen oder Frederik? Wie hätte Emma und Lisa auf das Baby reagiert? Wie hätten Frederiks Eltern es gefunden und besonders seine Mutter? Schließlich hatte sie mich schon am Anfang der Beziehung gefragt, ob ich Kinder möchte und mir ihre Meinung dazu gesagt, dass Frederik das nicht mehr braucht und sie auch nicht. Warum nur denke ich so oft daran? Wieso kann ich es nicht einfach beiseite schieben und mich voll und ganz für Miriam freuen? 

Es ist Montag und ich fange um 10 Uhr an zu arbeiten. Ich gehe in den Aufenthaltsraum wo Miriam am Tisch sitzt und in einer Zeitschrift was liest.
Ich:"Hallo."
Sie schaut zu mir, lächelt:"Hallo Tabea. Schön, dass du da bist, und dass wir uns hier treffen. Ich muss mit dir reden."
Ich schaue sie überrascht an. 
Miriam:"Setz dich." 
Ich setze mich hin und sehe, was für eine Zeitschrift sie vor sich hat. Es ist eine über Babysachen. Mein Blick fällt dort hin.
Miriam sieht das. "Es ist garnicht so einfach alles zusammen zu bekommen. Manche Sachen haben bis zu sechs Monate Lieferzeit. Da ist das Baby schon fast da. Und dann gibt es so viele Sachen zu beachten. Beispielsweise beim Kinderwagen. Welche Bereifung man möchte, passt die zu dem was man damit vor hat, soll der Sitz ergonomisch geformt sein oder lieber flache Liegeposition. Was meinst du, was ist da besser?"
Ich:"Beides ist gut."
Miriam:"Das hilft mir gerade nicht weiter, aber egal. Weshalb ich mit dir reden muss. Wir haben am Wochenende überlegt, wer die Paten unseres Kindes werden und ich möchte, dass Du es wirst." Erwartungsvoll und lächelnd schaut sie mich an.
Mir stockt kurz der Atem. 
Miriam:"Und?" Sie wirkt ungeduldig.
Ich:"Ich weiß nicht. Findest du es nicht noch zu früh die Entscheidung zu treffen?"
Ihr Lächeln geht weg. "Nein. Je früher wir alles fest haben, desto besser. Wenn du keine Patin sein möchtest kannst du es mir sagen."
Ich schau auf den Tisch. Irgendwas in mir sträubt sich dagegen.
Miriam:"Du willst nicht. Das ist ok."
Ich schau sie an. "Ich kann das nicht so spontan entscheiden."
Miriam:"Oh doch, das kann man. Entweder man will oder will nicht. Du willst nicht, das ist ok."
Ich:"Es tut mir Leid."
Miriam:"Das muss es nicht. Auch wenn ich nicht erwartet habe, dass du ablehnst, es ist ok. Ich werde keinen zwingen Pate zu werden."
Ich sehe die Enttäuschung in ihrer Mimik.
Miriam klappt die Zeitschrift zu und legt ihn zur Seite. Sie steht auf. "Ich muss. Meine Patienten warten." Wortlos lasse ich sie gehen.

Ich konnte nicht zusagen. Nicht wegen der Verantwortung, sondern wegen den Gefühlen. Ich kann schwer mit der Schwangerschaft umgehen. Vermutlich wäre es leichter gewesen wenn schon ein paar Jahre vergangen wären, aber so ist es nicht. Ich muss damit umgehen, dass sie jetzt schwanger ist und sollte es vielleicht als Art Therapie sehen damit umzugehen. 
Miriam war sehr enttäuscht und das tut mir weh, denn ich mag sie sehr. Sie ist eine der wichtigsten Bezugspersonen in der Klinik, eine gute Freundin, welche ich nicht missen möchte. 

Ich werde aus den Gedanken gerissen, weil mein Pieper geht. Ich muss in die Notaufnahme.

Dr.Viola Greve hat mich anfunken lassen. Es geht um einen Jugendlichen mit Bauchschmerzen. Im Behandlungsraum sind auch Schwester Selvia und Schwester Stefanie.
Ich gehe hinein.
Viola:"Hallo. Gut, dass du da bist. Schau mal." 
Sie macht gerade ein Ultraschall. Ich schaue auf den Monitor.
Ich:"Einriss der Milz. Er muss in den OP."
Selvia:"Ich kümmer mich um den OP."
Viola beendet das Sono. Sie schaut zum Patienten.
Selvia:"OP1 ist frei. Anästhesie auf den Weg und Operateure sind ja zwei da ." und schaut zu uns.
Ich:"Stimmt." und schaue zu Viola. "Kommst du?"
Viola schüttelt den Kopf.
Ich:"Was ist los?"
Sie schaut zu mir. In ihrer Mimik sehe ich, dass was nicht stimmt. 
Viola:"Ich kann das nicht", steht auf und verlässt den Raum. 
Ich schaue fragend zu Selvia und Stefanie. Beide zucken mit den Schultern.
Ich:"Ich spreche später mit ihr. Jetzt müssen wir in den OP und von unterwegs aus kümmer ich mich um einen weiteren Operateur."
Ohne weitere Worte machen wir das. Dr.Alexander Claas unterstützt mich im OP.

Das verlorene KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt