169. Erinnerungen

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Veröffentlicht am 01.03.2024

OLIVER
Das Gespräch mit Professor Filou verlief sehr gut. Ab morgen darf Freya bei mir mitlaufen.

Ich gehe zurück zur Intensivstation. Auf dem Weg dahin fällt mir ein, dass ich Frederik nicht gefragt habe, ob Tabea zu ihm kommen darf. Ich möchte sie nicht gegen seinen Willen ihn besuchen lassen. Ich stehe vor seinem Zimmer und sehe, dass er schläft.

FREDERIK
Ich wache auf und schaue mich um. Mir fehlt das Tageslicht um mich zeitlich orientieren zu können. Zudem fehlt mir Emma. Wie geht es ihr? Ich habe mich garnicht nach ihr erkundigt. Weiß Sie schon, was passiert ist? Wie hat sie darauf reagiert? Ist sie noch im Internat oder deswegen nach Hause gekommen? Und was ist mit Lisa? Wenn jemand kommt werde ich nach den beiden fragen.

Ich gehe in meine Erinnerung. Ich sehe Charlotte und mich. Wir umarmen uns und geben uns einen Kuss. Ich fühle mich wohl bei ihr. Egal was war, sie war für mich da. Sie hat auf mich gewartet und in den schwersten Stunden meine Hand gehalten. Ich habe gleiches getan, als es ihr schlecht ging. Wieso musste sie gehen? Eine selbstbewusste, starke, Frau, welche mir zeigte, was Liebe ist. In Gedanken ist sie immer bei mir. Ich kann sie nicht loslassen. Sie hat mir drei Kinder geschenkt, wofür ich dankbar bin. Sie hat nie aufgegeben, sondern immer daran geglaubt, dass es besser wird. Selbst als ihre Diagnose sehr schlecht war hat sie sich therapieren lassen und das mit dem Wissen, dass es höchstwahrscheinlich keine Heilung geben wird. Sie wusste, dass sie damit ihren Tod nach hinten schiebt. Charlotte hat es getan, weil sie noch Zeit mit uns haben wollte. Zeit, die uns niemand nehmen kann. Tränen schießen in meine Augen.

Oft denke ich an Charlotte und unsere gemeinsame Zeit. Wie gerne hätte ich sie länger bei mir gehabt. Ich musste sie gehen lassen, weil ihr Körper nicht mehr konnte. Eine Träne fließt.

Ich wurde nicht gefragt, ob ich das will. Ich wurde vor vollendeten Tatsachen gestellt. Gewollt haben will sie das auch nicht, aber ihr Körper konnte nicht mehr. Wie sehr wünsche ich mir in dem Moment bei ihr gewesen zu sein, statt im OP zu stehen. Ein paar Tränen fließen, welche ich schnell wegwische. Ich möchte nicht, dass mich jemand weinen sieht.

Fast 4 Jahre ist sie tot. In Gedanken lebt sie noch und das so sehr, dass ich sie liebe. Eigentlich sollte ich glücklich sein, weil ich seit 2 Jahren mit Tabea zusammen bin. Wir haben auch schon vieles zusammen erlebt. Vielleicht zu viel? Höhen und Tiefen und immer wieder fanden wir zusammen. Und jetzt haben wir ein Baby, Leo. Irgendwie ging das sehr schnell. Irgendwo fehlt mir die Zeit des Ankommens. Stattdessen gab es immer was Neues. Wenn ich jetzt daran denke ist mir das zu schnell gegangen und ich frage mich, ob ich Tabea wirklich liebe. Einen Moment lang denke ich darüber nach. Ist es Liebe oder bin ich mit ihr zusammen wegen des Kindes? Habe ich sie jemals geliebt? Ich habe das Gefühl, als würde mein Herz einfrieren. Denn ich sehe bei dem Wort Liebe Charlotte. Müsste daneben nicht Tabea stehen? Ich sehe sie nicht. Es kommt kein Gefühl von Liebe, wenn ich an sie denke. Es in Gefühle zu äußern kann ich gerade nicht. Mir wird bewusst, dass ich Tabea nicht mehr liebe.

Eine kurze Zeit starre ich die Decke an und frage mich, wie es weitergehen soll. Mir wird bewusst, dass wir keine Zukunft als Paar haben werden. Wenn ich ihr das sage, werde ich sie verletzen. Das möchte ich nicht. Allerdings kann ich ihr nicht den liebenden Partner vorspielen. Mir wird bewusst, dass ich schon seit langem keine Gefühle mehr für sie habe.

Und dann ist da noch Leo. Ein Baby, welches mein Sohn sein soll, den ich noch nie gesehen habe. Zum ersten Mal begreife ich wie Charlotte sich gefühlt haben muss, als sie keine Gefühle für Emma hatte. So fühle ich mich jetzt. Ich begreife, warum sie Abstand von Emma genommen hat und auch warum sie gehen wollte. Ich soll ein Kind haben, für das ich gar nichts spüre. Damals habe ich versucht immer wieder Charlotte dazu zu bringen Emma anzuschauen. Ich dachte, das bringt ihre Erinnerung und Gefühle zurück. Jetzt begreife ich, wie schlimm das für sie gewesen sein muss, denn die Vorstellung, dass ich zu Leo soll, macht mir Angst, denn ich will das Kind nicht sehen.

Das verlorene KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt