132. Glück III

919 23 10
                                    

Veröffentlicht am 10.09.2020

TABEA
Es ist Ende Juni. Ich habe Spätdienst. Eine verletze Person nach Verkehrsunfall ist angekündigt.

Die Tür zum Behandlungsraum öffnet sich. Dr.Oliver Dreyer und drei Sanitäter schieben die Trage rein. Als ich sehe wer darauf liegt stockt mir kurz der Atem. Es ist Dr.Miriam Dietz.
Oliver:"Dr.Miriam Dietz. Zustand nach VU. Auto ist ihr rein gefahren. Bei Eintreffen ohne Bewusstsein. Crahsrettung. Patientin klarte danach auf. Verdacht auf SHT, Schlüsselbeinfraktur. Prellmarke vom Gurt sichtbar."
Ich:"Verstanden. Bitte auf unsere Liege."
Gemeinsam heben wir Miriam auf die Liege des Behandlungsraums. Die Stecker vom EKG werden umgesteckt.

Ich:"Hallo Miriam. Wo hast du Schmerzen?"
Miriam:"An meiner linken Schulter. Schau bitte est nach dem Baby. Bitte. Egal was mit mir ist. Hauptsache dem Baby geht es gut."
Ich:"Das mach ich gleich." und taste die Schulter ab und den restlichen Körper ab.
An Miriams Mimik sehe ich, dass es schmerzt als ich die Schulter und das Schlüsselbein berühre. Beim Rest merke ich nichts und ihre Mimik ändert sich nicht.
Ich:"Eventuell ist das Schlüsselbein und die Schulter  gebrochen. Das werden wir nach dem röntgen sehen."
Miriam:"Auf keinen Fall röntgen."
Ich:"Es gibt keine Alternative um eine Fraktur auszuschließen."
Miriam:"Doch. Abwarten."
Ich:"Wenn es eine Fraktur ist und wir nicht handeln, dann kann es irrevariable Schäden nach sich ziehen."
Miriam:"Das nehme ich in Kauf. Ich halte die Schmerzen aus."
Ich:"Hier geht es nicht um Schmerzen, sondern bleibende Schäden. Du brauchst dein Schlüsselbein und die Schulter intakt um als Ärztin arbeiten zu können."
Miriam:"Ja, aber es heilt auch so."

Ich merke, dass das bei ihr abblockt.

Ich gehe zum Ultraschallgerät.
Ich:"Ich mache jetzt ein Sono."
Miriam nickt. In ihrer Mimik merke ich Anspannung.
Ich mache den Ultraschall. Ich sehe keine inneren Blutungen und ein Embryo, welches sich bewegt.
Ich:"Keine inneren Blutungen und das Baby bewegt sich."
Sie atmet tief durch. Ich beende das Ultraschall.

Ich:"Ich weiß, dass Röntgen in der Schwangerschaft nicht empfohlen wird, aber um eine Fraktur auszuschließen sollte es gemacht werden."
Miriam schüttelt den Kopf.
Ich:"Du möchtest doch dein Baby ohne Schmerzen auf den Arm nehmen können?"
Miriam:"Natürlich."
Ich:"Dann sollte geröntgt werden um zu schauen, was es ist."
Sie wirkt nachdenklich. "Ok. Machen wir es. Aber nur ein Bild. Das muss reichen."
Ich:"Eins von der Schulter und eins vom Schlüsselbein, ok?"
Miriam:"Ok."
Ich:"Vorher nehmen wir routienemäßig noch Blut ab."
Sie nickt.

Schwester Selvia nimmt ihr Blut ab. Danach wird sie zur Radiologie gebracht.

Kurze Zeit später kommt sie wieder und ich schaue mir das Röntgenbild an.
Ich:"Es ist eine Fraktur des Schlüsselbeins. Nicht verschoben. Du bekommst einen Rucksackverband. Damit sollte es in 4-6 Wochen verheilt sein. Wie geht es dir sonst?"
Miriam:"Gut."
Ich:"Schmerzen?"
Sie schüttelt den Kopf.
Ich:"Wenn doch, dann sagst du Bescheid und bekommst was dagegen."
Miriam:"Ich brauch nichts. Ich halte das aus."
Ich ziehe meine Augenbrauen kurz hoch.
Miriam:"Ich schaff das."
Ich:"Wie du meinst. Wie ist eigentlich der Unfall passiert?"
Miriam:"Die Ampel tat nicht und ich wollte links abbiegen. Da habe ich ein Auto von rechts übersehen", stockt, "Ich hätte besser aufpassen müssen, aber ich wollte nur noch nach Hause."
Ich:"Warum wolltest du schnell nach Hause?"
Miriam:"Ich war total geschafft."
Ich:"Was meinst du mit >>geschafft<<?"
Miriam:"Müde halt. Das kommt wegen der Schwangerschaft. Ich bin am Überlegen, ob ich ins Beschäftigungsverbot gehe."
Ich:"Möglich wäre es, wobei ich mich frage, ob da nicht was anderes die Ursache sein könnte."
Miriam:"Nee."
Ich:"Ich halt das mit im Auge. Du kommst jetzt erstmal auf die Gynäkologie, wo nochmal ein Sono gemacht wird. Das sind die Profis für Baby gucken."
Miriam lächelt.

Zwei Schwestern bringen sie auf die Station.

Zwei Stunden später.
Selvia:"Die Blutergebnisse von Miriam" und reicht sie mir.
Ich schaue sie mir an. Nicht alle Werte gefallen mir. "Wenn was ist, ich bin auf der Gynäkologie." und gehe dort hin.

Auf der Station kommt mir Dr.Catharina Engel entgegen.
Ich:"Hallo Catharina."
Cati:"Hallo Tabea. Was führt dich zu uns? Miriam?"
Ich:"Die Blutergebnisse von Miriam."
Cati:"Ach, sind die bei dir angekommen?"
Ich:"Ja, Notaufnahme. Magst du sie dir mal anschauen? Der HCG-Wert und TSH gefallen mir nicht."
Ich gebe den Zettel Miriam, welche sich den anschaut.
Cati:"Der TSH ist viel zu hoch. Sie hat eine Schilddrüsenüberfunktion.", stockt, "der HCG entspricht nicht der aktuellen Schwangerschaftswoche."
Ich:"Das habe ich auch so gesehen."
Cati:"Die Werte sind schlecht. Der TSH muss niedriger werden und wegen des HCG möchte ich nochmal Blut abnehmen und hoffe, dass er dann niedriger ist. Erstmal gehe ich jetzt zu ihr und sage es ihr. Möchtest du mitkommen?"
In dem Moment geht mein Pieper, der mir die Antwort abnimmt. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich nicht dabei sein,denn ich weiß nicht, wie Miriam reagiert.

Dr.Catharina Engel
Ich gehe zu Miriam ins Zimmer. Sie liegt im Bett und schaut mich überrascht an.
Ich:"Wie geht es dir?"
Miriam:"Gut, aber deshalb bist du nicht schon wieder hier, stimmt's?"
Ich nicke. "Deine Blutwerte sind da. Du hast Tabea erzählt, dass du müde bist. Ich denke, dass es dafür eine Ursache gibt. Dein TSH ist sehr hoch."
Miriam:"Schilddrüsenüberfunktion?"
Ich:"Ja."
Sie legt ihre Hände auf ihren Bauch."Das schadet dem Baby."
Ich:"Es wurde erkannt und du bekommst jetzt Medikamente zum mindern des Wertes."
Ihr Blick wird nachdenklich.
Ich:"Woran denkst du?"
Miriam:"Medikamente schaden dem Baby, aber ein hoher TSH schadet auch."
Ich:"Mit dem TSH-Wert ist eine spätere Frühgeburt wahrscheinlich und es kann zu Schädigungen beim Kind kommen und dein Körper arbeitet auf Hochtouren. Es gibt Hoch- und Tiefphasen und in der Tiefphase kommt die Müdigkeit."
Miriam wirkt nachdenklich.
Ich:"Es ist deine Entscheidung, ob du Medikamente nimmst. Als Ärztin muss ich dich darauf hinweisen welche Folgen keine Behandlung hat."
Miriam:"Ich weiß und ich weiß auch wie wichtig eine Behandlung ist. Ich werde Medikamente nehmen."
Ich:"Das klingt vernünftig. Allerdings zeigt das Blutergebnis noch was anderes. Der HCG-Wert ist zu hoch für die 16.Schwangerschaftswoche. Es scheint noch garnicht gesunken zu sein, was in im jetzigen Monat der Fall sein sollte, weil die Plazenta die Versorgung von Progesteron übernimmt. Ich möchte das nachprüfen und deshalb wird dir nochmal Blut abgenommen."
Miriams Atmung wird schneller. In ihren Augen sehe ich Angst.
Ich:"Das muss nichts negatives heißen. Warten wir das zweite Ergebnisse ab."
Miriam:"Und wenn das genauso ausfällt?"
Ich:"Das sehen wir dann. Erstmal warten wir das Ergebnis ab."
Miriam:"Du brauchst mir nichts vorzumachen. Ein hoher HCG kann auf Trisomie hinweisen."
Ich:"Kann, muss es nicht. Im Sono habe ich keine Auffälligkeiten beim Baby gesehen."
Miriam:"Es gibt Fälle, wo es nicht gesehen wurde."
Ich:"Ein hoher HCG kann viele Ursachen haben. Es kann auch sein, dass er wegen der Aufregung so hoch ist."
Miriam schaut mich skeptisch an.
Ich:"Warten wir erstmal das Ergebnis ab. Vermutlich wird es erst morgen da sein. Bis dahin bewahren wir Ruhe und gehen davon aus, dass alles ok ist."
Miriam nickt leicht.
Ich:"Was ist eigentlich mit deinem Partner? Wurde er schon darüber informiert, dass du hier bleibst?"
Miriam:"Ja. Eine Schwester hat ihn angerufen. Ich habe auch schon mit ihm telefoniert. Er kommt gleich."
Ich:"Das ist gut. Dann bist du nicht alleine. Ich ordne das erneute Blut abnehmen an und sollte etwas sein, dann klingelst du."
Miriam:"Das mach ich."

Ich verlasse das Zimmer und bitte Schwester Stefanie um die Blutentnahme.

Das verlorene KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt