36. Die Diagnose

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Veröffentlicht am 12.05.2019

CHARLOTTE:
Es ist Ende Mai.

Ich bin in der 17.SSW und heute habe ich den Termin beim Spezialisten. Wenn ich könnte würde ich davor fliehen. Ich möchte da nicht hin. Egal was mit dem Baby auch sein kann, es ist immer ein kann. Es kann trotz aller Untersuchungen auch gesund zur Welt kommen. Das Wunder gab es schon öfter und wer weiß, vielleicht trifft es auch uns.

Frederik macht sich viele Gedanken darum. Ich mir ja auch, aber soweit es kein hundert Prozent gibt, keine genaue Diagnose, will ich da noch gar nicht so dran denken. Ich ignoriere es.

Ich habe sowieso das Gefühl, dass ich diese Schwangerschaft ganz anders erlebe als die von Emma. Die Situation ist eine andere: Wenn ich nach Hause komme kann ich mich nicht ausruhen. Nein, da ist Emma, welche bespaßt werden möchte, der Haushalt und Frederik. Wenn er auch schon vieles wieder selbständig macht, er braucht immer noch Hilfe und das viel mehr wie damals. Es ist nicht so, dass ich die Schwangerschaft nicht genieße. Das tue ich, wenn auch anders als bei Emma. Auf dem Sofa liegen und eine Spieluhr auf den Bauch legen; bei Emma hatte ich die Ruhe dazu, jetzt nicht. Irgendwie überschattet die Schwangerschaft auch, dass was mit dem Baby sein könnte.

Was erwarten denn alle von den Untersuchungen? Erwarten sie, dass ich das Kind dann abtreibe? Niemals wird das passieren. Meinen sie, dass ich das Kind dann nicht möchte und zur Adoption freigebe? Warum? Es ist mein Kind und egal ob gesund oder nicht, es bleibt mein Kind. Natürlich wünsche ich mir ein gesundes Kind. Sollte es aber anders kommen gibt es dafür auch Wege damit zu leben.

Ich habe im letzten Jahr so viel durchgemacht. Ich hätte nie gedacht, dass es so sein wird und das ich das schaffe. Ich habe es geschafft. Mein Leben hat sich komplett verändert, aber es ist weiterhin lebenswert. Und all die Zweifel welche ich in dieser Zeit hatte sind zum großen Teil verflogen und manche immer noch da. Doch ist es nicht auch normal an sich zu zweifeln?

Bis jetzt wissen nur Frederik und ich davon, dass mit dem Baby evtl. was nicht in Ordnung ist. Das haben wir bewusst so entschieden, weil wir nicht möchten, dass andere sich Sorgen machen. Wir müssen für uns entscheiden was wir wollen und möchten dabei nicht beeinflusst werden.
Dr.Saskia Smolka hat damals das Ultraschall gemacht und gemeint, was sehen zu können. Angesprochen hat sie mich darauf noch nicht wieder. Sie unterliegt auch der ärztlichen Schweigepflicht.

Heute um 15:30 Uhr habe ich den Termin beim Spezialisten Dr. Tayfun Kraft. Seine Praxis liegt direkt neben der Klinik am Südring und er ist stundenweise auch als Gynäkologe in der Klinik tätig. Gesehen habe ich ihn schon mal. Zusammen gearbeitet haben wir noch nicht.

Emma wird heute von Helga und Kurt von der Krippe abgeholt. Denen haben wir gesagt, dass wir einen Termin in Köln haben. Zwar ist Helga sehr neugierig; wir haben ihr nicht gesagt worum es geht.

Frederiks Reha ist in Köln. Er wird immer mit Taxi dahin gebracht und abgeholt. Heute nutzt er das Taxi nicht und kommt mit dem Bus zur Klinik.

Frederik ist selbstsicherer geworden. Er hat so vieles wieder erlernt.
Seine Beine, insbesondere Füße, sind seine Schwäche. Sie funktionieren noch nicht so wie er es möchte. Evtl. wird das auch immer so bleiben.
Anfangs dachte er, dass er deswegen nicht mehr als Arzt arbeiten kann. Doch das ist möglich, insofern die Räume behindertengerecht ausgestattet werden. Und in unserer Klinik ist das bei manchen schon der Fall. Selbst operieren könnte er im Rollstuhl.
Die Reha arbeitet darauf hin, dass er trotz Rollstuhl seiner Arbeit wieder nachgehen kann.
Für Frederik wäre das sehr gut und vor allem für sein Selbstbewusstsein genial.
Ich würde mich sehr freuen, wenn das klappt.

Mein Dienst verläuft heute sehr schleppend. Ständig schaue ich auf die Uhr. Es ist immer nur ein paar Minuten später. Auf Station ist es ruhig. Es steht nichts besonderes an. Die Berichte habe ich alle fertig geschrieben, sogar die für meine Kollegen.
Prof. Filou hat mich dafür gelobt.
Und jetzt sitze ich im Aufenthaltsraum und warte auf den Feierabend.
Umso weniger ich zu tun habe desto mehr werde ich unruhig. Ich bin doch aufgeregt und dabei wollte ich es total entspannt angehen.

Das verlorene KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt