100. Vertrauen können, Zuhören können

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Veröffentlicht am 09.02.2020

FREDERIK
Es ist Anfang September.

Ich habe Frühdienst, so dass ich heute morgen die Wohnung verlassen habe, als Emma (6) noch schlief.
Eigentlich hätte ich Tagesdienst gehabt. Da Emmas Klassenlehrerin, Frau Fuh, um ein Gespräch um 15 Uhr gebeten hat, habe ich mit Dr. Oliver Dreyer meinen Dienst getauscht.

Der Vormittag verlief nach Plan. Ich habe erst Visite gemacht und danach drei Operationen durchgeführt. Für die restliche Zeit bin ich in der Notaufnahme, weil es dort an Ärzte mangelt.

Ich kümmer mich um eine Seniorin, welche im Pflegeheim gestürzt ist. Als ich sie untersuche höre ich, dass es im Nebenraum kurz laut ist. Scheinbar ist was auf den Boden gefallen. Kurz darauf höre ich jemanden schreien.
Ich sage zu der Seniorin und Schwester Leandra: "Entschuldigt mich bitte. Ich schaue nebenan nach dem Rechten."
Seniorin:"Tun Sie das. Ich laufe nicht weg."
Ich grinse kurz und verlasse den Raum.

Ich gehe zu zum anderen Raum. Ich höre schon von außen, dass die Personen dort lauter sprechen. Es ertönt ein Schrei.
Ich öffne die Tür. Dr. Tabea Rohde sitzt auf dem Boden, Schwester Anna steht in einer Ecke, ein Mädchen liegt auf der Liege, die Mutter steht in einer anderen Ecke und der Vater hebt gerade seine Hand und will Tabea schlagen.
Ich:"Stopp! Was machen Sie da?"
Der Vater nimmt die Hand runter und schaut mich an.
Ich gehe auf ihn zu. "Was machen Sie da?"
Vater:"Verschwinden Sie."
Ich:"Nein. Ich lasse nicht zu, dass sie meine Kollegen verletzen."
Vater:"Ich verletzte keinen."
Ich:"Und warum sitzt meine Kollegin auf dem Boden?"
Der Blick des Vaters wird wütend. "Weil Sie mir nicht glaubt, dass meine Tochter gefallen ist. Sie meint ich sei blöd und weiß nicht worauf sie hinaus möchte. Ich schlage mein Kind nicht."
Ich:"Ok. Kommen Sie bitte jetzt erstmal dort weg."
Vater:"Wenn es sein muss." und kommt ein paar Schritte auf mich zu. "Was machen Sie überhaupt hier?"
Ich:"Nach dem Rechten schauen, nachdem ich Schreie gehört habe."
Ich sehe, dass Tabea langsam aufsteht und sich auf den Hocker setzt.
Vater:"Schreie. Wer das glaubt. Die Kleine schreit halt mal wenn ihr jemand weh tut."
Ich:"Hörte sich aber nicht nach der Kleinen an."
Er kommt schnell auf mich zu und holt seine Hand aus und schlägt mir gegen mein Schlüsselbein.
Mutter:"Nein. Hör auf." und will dazwischen gehen.
Der Mann schlägt nach hinten, so dass sie hinfällt. Danach will er mich schlagen, doch ich wehre mich. Wir gehen beide zu Boden und rangeln uns, bis ich es geschafft habe, dass er auf dem Bauch liegt und ich auf seinem Rücken kniee.
Ich schaue zu Anna. "Ruf die Polizei.", was sie auch macht.
Ich:"Und bitte bringe das Kind und die Mutter raus.", was sie auch macht.

Ich schaue zu Tabea, welche auf dem Hocker sitzt und mich und den Mann anstarrt. Ich sehe, dass sie unter Schock steht.
Ich:"Du kannst auch rausgehen. Ich habe den Mann im Griff."
Mann:"Das haben sie nicht. Lassen sie mich los."
Ich:"Ruhe!" und schaue zu Tabea. "Tabea. Hörst du mich?" Sie reagiert nicht.

Es dauert nicht lange, da kommt die Polizei und nimmt den Mann fest.

Ich gehe zu Tabea und hocke mich hin. "Es ist vorbei."
Tabeas Blick fällt zu mir.
Ich:"Er ist weg und ich glaube auch nicht, dass er so schnell wieder frei sein wird."
Tabea:"Ich habe die Kleine nur gefragt, ob sie mit jemanden gerangelt hat und ob sie jemand geschlagen hat. Da hat der Mann die Schale auf den Boden geschmissen und mich am Arm festgehalten und geschrien, dass sein Kind gefallen sei. Ich habe das dann so hingenommen. Die Kleine hat dann leise gesagt, dass sie gehauen wurde und er hat geschrien, mit den Armen um sich geschlagen und dann mich am Arm gepackt und vom Hocker geschubst." Sie stockt kurz. "Wenn du nicht gekommen wärst. Ich hatte keine Chance. Der hätte auf mich eingeschlagen."
Ich:"Zum Glück ist es nicht so weit gekommen und jetzt ist der Mann weg."
Tabea:"Und die Kleine hat alles mit ansehen müssen."
Ich:"Leider. Aber ihr wird jetzt geholfen und der Mutter auch."
Tabea:"Hoffentlich. Hoffentlich hält sie nicht weiter zu ihm.", schaut zum Boden und legt eine Hand auf ihren Oberarm.
Ich:"Ich hoffe, dass sie das nicht tun wird und wenn doch, wir haben dem Kind geholfen. Das wird da nicht mehr hin zurück müssen."
Tabea:"Mm."
Ich:"Darf ich mir mal deinen Arm anschauen?"
Tabea schaut zu mir.
Ich:"Darf ich?"

Das verlorene KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt