22. Die Fahrstuhlfahrt ins Leben

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Veröffentlicht am 02.04.2019

CHARLOTTE:
Ich bin in der 36SSW. Mir geht es gut. Den Unfall habe ich gut verarbeitet. Ich bin jetzt im Mutterschutz, aber arbeiten tue ich seit 6 Wochen schon  nicht mehr. Ich langweile mich inzwischen sehr.
Die Wohnung ist sauber - so sauber war sie noch nie. Bei uns kann vom Boden gegessen werden.
Fast jeden Tag kommt Tessa zu Besuch und möchte mit mir Eiskönigin gucken. Natürlich geht das nicht jeden Tag und ich überrede sie dazu zum Spielplatz zu gehen oder Eis essen. Ab und zu schauen wir aber auch die Eiskönigin und ich kenne den Film jetzt sehr gut. Das Baby schaut ja immer mit. Es muss den Film auch schon sehr gut kennen. Und Tessa schaut ihn jedes Mal so, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen.
Begeisterung bei Kindern - ein Phänomen für sich.

Einmal war meine Hebamme zu Besuch. Sie war nett, aber wirklich was getan hat sie nicht. Vielleicht bin ich als Ärztin medizinisch zu erfahren.

Einen Geburtsvorbereitungskurs habe ich noch nicht besucht. Ich habe mich erst in der 16SSW drum gekümmert. Das war zu spät und ich stand auf der Warteliste. Dann rückte ich tatsächlich nach, aber mit geprelltem Becken und Fuß und Schongang bin ich in der 32SSW nicht da gewesen. Nun ja, ich werde es auch ohne überstehen. Medizinisch kenne ich mich ja aus und ich habe mich im Internet eingelesen. Und hecheln muss ich nicht lernen.
Ich mache mir eher Sorgen um Frederik. Er ist manchmal ein wenig panisch und überbesorgt. Hoffentlich hält er die Geburt durch. Wenn ich daran denke, wie er nach dem Unfall im Schockraum drauf war und das soll ich dann stundenlang aushalten - bitte nicht.

Meine Kliniktasche ist schon gepackt und die Kreißsaaltasche auch. Unglaublich, ich reise mit zwei Taschen an. Ich habe immer die Frauen für verrückt erklärt die das machen und jetzt mache ich es selbst auch. Am meisten habe ich Musik eingepackt. Ich möchte auf keinen Fall andere schreiende Frauen hören und vielleicht möchte ich auch nicht hören, wie Frederik vor lauter Sorge mich minütlich fragt, ob alles ok ist.
Ich liebe Frederik wirklich sehr. Nur Übervorsorge brauche ich nicht.

Letzte Woche haben wir uns in der Uniklinik vorgestellt. Eines steht schon fest seitdem ich weiß, dass ich schwanger bin: Ich entbinde nicht in >>meiner<< Klinik. Ich möchte nicht, dass meine Kollegen mich so sehen und ich möchte auch nicht, dass sie mich unten rum frei sehen. Dafür schäme ich mich.
In einer anderen Klinik ist das für mich ok. Mit den Ärzten, Hebammen, usw. muss ich später nicht mehr zusammenarbeiten. Ich bin da nur zu Besuch. In >>meiner<< Klinik wäre das nicht der Fall. Meine Kollegen wissen das auch und akzeptieren es. Ich komme sie mit Baby besuchen.

Am Montag rief Prof. Filou mich an. Aufgrund meines schnellen Ausscheidens fehlen ihm noch Unterlagen von mir. Heute mittag um 12 Uhr habe ich ein Termin bei ihm.

Um 10.30 Uhr gehe ich zum Auto.
Es ist ein warmer Sommertag.
Ich trage ein langes, rotes Sommerkleid. Kleider trage ich zurzeit viel, weil sie einfach leicht an- und auszuziehen sind. Ich trage schwarze Ballerinas. Ich habe meine Brille auf. Seit zwei Wochen kann ich die Linsen nicht mehr gut tragen. Meine Augen sind zu trocken. Das ist in der Schwangerschaft aber normal. Über dem Kleid trage ich eine hellblaue Bluse. Meine Haare liegen in Wellen. Ich bin zufrieden mit mir und finde mich schön.
Ich fahre mit dem Auto zur Klinik, wo ich bereits um 11 Uhr ankomme. Das war auch mein Plan, denn ich wollte vorher noch bei meinen Kollegen im den Aufenthaltsraum vorbei schauen.

Ich gehe lächelnd in den Aufenthaltsraum.
Ich:"Hallo."
Dr. Oliver Dreyer, Dr.Catharina Engel, Dr. Saskia Smolka, Dr. Debbie Fischer, Dr. Katharina Zimmer, Dr. Miriam Dietz und Dr. Jannik Pfeil sind da.
Sie begrüßen mich herzlich mit Umarmung.
Oliver:"Was machst du denn hier? Hast du nicht ein Arbeitsverbot?" Er grinst.
Ich:"Ja, aber Prof. Filou möchte mich nochmal sehen."
Oliver:"Hat er jetzt schon Sehnsucht?"
Ich:"Vermutlich."
Ich setze mich hin und wir unterhalten uns.

Das verlorene KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt