Kapitel 5

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Vivis Worte, hallten die nächsten Tage in Samus Bewusstsein nach. Ja, es wäre unfair gewesen. Ihnen beiden gegenüber. Wie gut, dass Vivi in solchen Situationen einen klaren Kopf behielt. Und, dass sie keine Gefühle für ihn hatte. Zumindest keine, die über freundschaftliche hinaus gingen. Das kam ihnen beiden schon immer gelegen. Samu seufzte. Seine Finger strichen über die Saiten seiner Lady. Irgendwie war ihm danach, sie wieder mal in die Hände zu nehmen. Warum wusste Samu auch nicht. Er sass nun schon seit einer halben Stunde da und hatte noch keinen Ton gespielt. Ausser dem gelegentlichen über die Saiten schrummen. Nicht einmal mehr das, bekam er gebacken. Frustriert kickte Samu einen Stein, der vor ihm am Boden lag, weg. Was sollte er denn noch tun, um wieder irgendwas zu fühlen. Er konnte, von nun an doch nicht die ganze Zeit herum reisen, nur damit ihm nirgends die Decke auf den Kopf fallen konnte. Die Tage in Sydney, waren gefühlt noch viel länger, als Zuhause. Irgendwann gingen alle wieder ihren geregelten Tätigkeiten nach. Und er sass in dieser tollen Stadt und wusste einmal mehr, nicht was mit sich anzufangen. Stand neben sich. Fühlte sich, je länger je mehr, nicht sich selber. Wie lange passten der Kerl im Spiegel und der, der in seinem Körper sass, schon nicht mehr zusammen? Ein paar Wochen, Monate, Jahre? Samu wusste es nicht. Alles was er wusste war, dass er sich wieder finden musste. Sich und sein Leben wieder in den Griff bekommen. Weshalb Samu seine Zelte, kurz nach Silvester, in Sydney abbrach und weiter zog. Bevor ihm die Decke, vollends auf den Kopf fiel. Quer durchs Land, bis Samu schliesslich in Neuseeland landete. Es tat seiner rastlosen und getriebenen Seele gut. Diese innere Raserei, machte Samu beinahe wahnsinnig. Es fühlte sich genau so an, wie damals, bevor Riku, wortwörtlich in sein Leben platzte. Dieser ihm, unbewusst, wieder Boden unter den Füssen gab, damit er in diesem Strudel des berühmt werden nicht unter ging. Nun musste Samu selber wieder zu dieser Ruhe finden. Das Reisen half ihm und liess Samu ruhiger werden. Beobachten von Fremden und ins Gespräch mit Selbigen kommen, fütterte Samus Geist, der in den letzten Monaten verkümmerte und vor sich hin vegetierte, bei all dem Nonsens in seinem Leben. ‘Sei nicht zu hart zu dir. Du befandest dich in einer Trauer Phase’, sprach seine innere Stimme mit ihm. Befand? Oder befindet er sich immer noch darin? Zur Zeit, fühlte sich Samu wie im freien Fall, der kein Ende nehmen wollte. Jedoch mit der sicheren Gewissheit, hart aufzuschlagen. Vor ihm lag eine unsichere Zukunft. Ohne eine bestimmte Richtung. Wenn er keine Songs mehr schreiben konnte und seine Gitarre eigentlich verabscheute, war es das mit seinem Traum Musik zu machen. Frustriert raufte sich Samu durch die Haare. Schloss die Augen und atmete die frische Meer Luft in sich auf. Im Kopf war so viel. Sobald Samu aber die Gitarre in die Finger nahm, war alles weg. Als hätte er eine Abwehrreaktion gegen seine Gitarre entwickelt. Sie, die am wenigsten für diesen ganzen Schlamassel verantwortlich war. Früher mal seine beste Freundin in allen Lebenslagen. Sie reinigte immer sein Inneres. Besser als es wohl jeder Psychiater gekonnt hätte. Ohne seine Lady mit den sechs Saiten und dem wundervollen Klang, wäre Samu schon so oft durchgedreht und verrückt geworden. Seit Monaten, war sie ihm keine Hilfe mehr. Fast schon das Gegenteil war der Fall. Je mehr Samu es wollte, desto weniger ging es. Eine unsichtbare Mauer baute sich auf, kaum nahm er sie in seine Hände. Die Worte, der Klang in seinen Ohren, wie seine Gitarre dazu klingen sollte, während Samu die Worte zu Papier brachte oder in sein Handy tippte und das Gefühl in seinem Herzen, welches die Emotionen in den Text brachten und teilweise auch zur Auswahl der passenden Worte führte, waren weg. Die essentiellen Dinge, um einen guten Song zu schreiben. Es überfielen ihn auch schon seit ewiger Zeit, keine Melodien oder Worte mehr. Nicht wie damals, als ihm diese eine Melodie einfach nicht mehr aus dem Kopf ging. Samu nicht schlafen liess, bis er etwas damit machte und danach, mitten in der Nacht zu seinem Gitarristen fuhr. Ein Lachen entwich Samu, als er Riku vor sich sah. Verschlafener Blick und völlig verwuschelten Locken. So, wie er ihn irgendwann später am liebsten sah. Dabei ganz nah bei sich, unter die selbe Decke gekuschelt. Dieses Glück, durfte jetzt jemand anderes erfahren. Den Stich, bei diesem Gedanken, ignorierte Samu. Es war ihr erster gemeinsamer Song. Samus erster Song, denn er für Riku schrieb. Und der Song, mit dem er der ganzen Welt sagen wollte, für wenn sein Herz schon seit Jahren schlug. Samu wischte sich über sein Gesicht. Weil sich einmal mehr Tränen unter seinen Lidern hervor stahlen, als er an Riku dachte. „Your memory haunts me. I’m living on the Afterglow...“, sagte er leise mit brüchiger Stimme. Wie automatisch legten sich seine Finger um den Hals seiner Lady, während seine andere Hand über die sechs Saiten strich. Etwas undefinierbares entlockte Samu seiner Lady. Tief atmete er durch und öffnete die Augen. Sein Blick glitt über das türkisblaue, klare Wasser. Kaum eine Welle war auf der Oberfläche aus zu machen. Am Horizont traf der stahlblaue, wolkenlose Himmel auf das Meer und sie schienen sich, im Flimmern der Luft, miteinander zu vermischen. Eins zu werden.

'You left your ghost behinde my door
It whispers you’ll be back for more
Was it your intention
To own and possess my soul?'

Sang Samu die Worte, die ihm augenblicklich durch den Körper jagten.

'I got my days I’m half all right
I found new things, that make me smile
But then it hits me
They’re nothing compared to us.'

Hatte er wirklich was gefunden, was ihn lächeln lässt und einigermassen zufrieden machte? Die Antwort war ein klares Nein. Er hatte die Liebe seines Lebens von sich weg, in die Arme von jemand anderem getrieben. Seine Freunde auch alle, immer wieder vor den Kopf gestossen. Sogar seine Mama verletzt, mit seiner Laune.

'I’m trying to make room for love
But it’s crowded inside me
I know it’s time to let you go
So won’t you come and get your gost
Your memory haunts me
I’m living on the Afterglow.'

Samu musste Riku aus seinem Herzen ziehen lassen. So verdammt weh es auch tat. Er hatte jemanden gefunden, der ihm das gab, was Riku verdiente. Mit diesem Menschen er das Leben, leben konnte, von dem er immer geträumt und Samu Riku immer verwehrt hatte.

'Where are you know, who has my place
Hope when you kiss, you still see my face
No bad intentions
But I hope it’s not true love.'

Wer seinen Platz hatte, wusste Samu. Mia. Die Frau, mit der Riku einen One Night Stand hatte. Die Frau, die die eine gewesen wäre, wären da nicht die Gefühle für Samu dazwischen gekommen. Die Frau, von der Riku immer und immer wieder beteuerte, dass sie nur eine gute Freundin sei. Doch die Bilder sprachen Bände. Und dieses Mal die Richtigen. Sie wirkten so vertraut, wie sie auf Uunisaari am Meer standen und Riku Mia im Arm hielt. Sie küsste. Samu wünschte ihnen nichts Böses. Nur, dass die Liebe nicht so Grenzenlos ist, wie ihre es war.

'I threw our past against the wall
But I can’t wash your handprints
Off my soul
What the hell am I doing
Have I lost it all?'

Hinter einer dicken Mauer versteckt, lauerte ihre Vergangenheit. Der ganze Schmerz, welcher die Trennung in ihm ausgelöst hatte. Doch konnte er keinen einzigen von Rikus hinterlassenen Fingerabdrücken von seiner Seele und aus seinem Herzen wischen. So sehr es Samu auch versuchte.

Hatte Samu wirklich alles verloren? War ihre Liebe zwischen ihnen, die über all die Jahre, alle Widrigkeiten überstand, wirklich nicht mehr zu retten? Liebte Riku Mia mit seinem ganzen Herzen? So tief und innig, wie er ihn liebte? War es schon zu spät? Hatte er zu lange gewartet, um Riku zu kämpfen? Was zur Hölle sollte er jetzt tun? Was tat er eigentlich noch hier, statt in seine Heimat zurück zu fliegen und auf all seine Fragen eine Antwort zu suchen? Energisch wischte sich Samu die Tränen von seinem Gesicht und stand, mit wackeligen Beinen auf. Dieser Song hatte die Mauer um sein Herz aufgerissen und den ganzen Schmerz durch Samus Körper fliessen lassen. So schnell und heftig, dass es brannte und tiefe Wunden hinterliess. Schmerzen, für die er teilweise mit schuldig war. Entstanden aus den Konsequenzen, seiner Gleichgültigkeit, seinem Egoismus und seinem sturen Kopf, einmal mehr etwas alleine durchzuziehen, wofür er die Hilfe seiner Freunde gebraucht hätte. Die Quittung dafür, dass er Riku irgendwann für selbstverständlich genommen hat. Statt ihm weiterhin und wie Samu es Riku immer und immer wieder beteuert und versprochen hatte, jeden Wunsch von den Augen ab zu lesen. Bis ans Ende ihres Lebens. „Rik, ich liebe dich! Und werde verdammt noch mal für dich kämpfen! Koste es, was es wolle! Olet minun elämäni!“ Schrie Samu übers Meer hinweg. Verschaffte sich Luft und verringerte etwas den Druck auf seiner Brust, der ihm die Luft zum Atmen nahm.

I am living in the AfterglowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt