Johannes:
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war ich mir sicher, dass ich schon ewig nicht mehr so gut geschlafen hatte. Jess gab mir einfach so unglaublich viel, was ich nie in meinem Leben bekommen hatte. Noch nie hatte sich jemand so liebevoll um mich gekümmert und mich so sehr umsorgt, wie sie es tat. Und das tat so unglaublich gut. Wenn ich diesen Entzug mit irgendwem schaffen konnte, dann mit ihr. Müde streckte ich mich und drehte mich zu Jess, doch dort war niemand mehr. Alarmiert saß ich sofort senkrecht im Bett, als sich mein Rücken plötzlich mit starken Schmerzen meldete. Fuck! Das hatte ich schon fast vergessen. Verdammt, ich hätte nie gedacht, dass ein Entzug so hart sein könnte! Ich spürte auf einmal Knochen von denen ich nicht mal wusste, dass ich sie hatte. Doch meine größere Sorge war, wo Jess war. Neben mir lag sie jedenfalls nicht und auch sonst in dem gesamten Raum konnte ich sie nirgendwo erkennen. Doch dann fand ich einen kleinen Zettel neben mir auf dem Schränkchen.
Ich bin gerade im Stall, bin aber spätestens um zwölf wieder da. Wenn du Schmerzen hast, dann nimm die Tabletten, die hier liegen und mach dir ruhig nochmal einen Tee. Such dir einfach zusammen, was du brauchst. Wenn noch irgendwas ist dann ruf an. Im Notfall bin ich sofort wieder da. Und meld dich zwischendrin ruhig mal.
Wow. Das erste Mal in meinem Leben machte sich jemand ernsthaft Sorgen um mich. Und das nicht zu wenig, denn in diesem Moment gab mein Handy einen leisen Ton von sich. Eine Nachricht von Jess.
Ist alles gut bei dir? Meld dich mal, wenn du wach bist.
Okay. Sie machte sich wirklich große Sorgen um mich. Wenn sie um zwölf Uhr zurück sein wollte, war sie höchstens seit einer Stunde weg.
Ja. Alles in Ordnung. Ich komm schon klar. Keine Sorge.
Zumindest so in Ordnung, wie es sein konnte, wenn man mitten im Entzug steckte.
Gut. Dann nimm nochmal die Tabletten und versuch noch ein bisschen zu schlafen.
Schrieb sie kurz darauf auch schon zurück. Als hätte sie das nicht schon auf dem Zettel geschrieben. Aber ich wollte mich nicht beschweren. Dafür genoss ich das alles viel zu sehr. Am liebsten hätte ich es, wenn es immer so sein könnte. Wenn wir für immer zusammen wohnen würden und sie mich jeden Tag so umsorgen würde, doch daraus würde nichts werden. So sehr ich mir auch eine Beziehung mit ihr wünschte, würde daraus nichts werden. Oder? Sie schien sich schließlich doch große Sorgen um mich zu machen. Mochte sie mich vielleicht doch mehr, als sie es zugeben wollte? Nein. Bei ihrer Freundin hatte sie noch gesagt, dass wir lediglich gute Freunde waren. Ich saß eindeutig in der Friendzone fest. Wobei ich mich da schon glücklich schätzen konnte. Ich wusste jetzt schon mehr über sie als ich mir je erhofft hatte. Und das obwohl sie mir erst vor wenigen Tagen am liebsten an die Gurgel gegangen wäre. Da sollte ich einfach glücklich sein mit dem, was ich hatte. Auch wenn alles in mir nach mehr schrie. In diesem Moment spürte ich allerdings hauptsächlich einen stechenden Schmerz, der mich daran erinnerte der Anweisung von Jess nach zu gehen. Brav schluckte ich die Tabletten, die sie mir zurecht gelegt hatte und quälte mich auf die Beine, um erstmal in dem Bad zu verschwinden, bevor ich mir einen Tee machte. Dabei fiel mir auf, dass Jess nicht gerade schlecht ausgerüstet war. Sie hatte jedenfalls eine Menge verschiedener Tee Sorten mit verschiedenen Kräutern und allem möglichen. Aber sie wollte schließlich auch Ärztin werden. Vielleicht musste man das da alles haben. Immerhin war sie auch im Besitz einer beachtlichen Menge Medikamente.
Ich entschied mich schließlich für einen einfachen Hagebutten Tee, um dann fest zu stellen, dass Jess nicht im Besitz eines Wasserkochers war. Dann eben ganz oldschool mit dem Topf. So holte ich also einen Topf hervor und füllte ihn mit etwas Wasser, das ich auf der Herdplatte auf kochte, um es dann in die Tasse mit dem Teebeutel zu füllen. Das war also schonmal geschafft. Ordentlich räumte ich alles wieder zurück an seinen Platz. Ordnung war zwar nie so wirklich mein Ding gewesen, aber mir war bewusst, dass Jess viel Wert auf Ordnung legte. Das hatte ich im Stall schon gemerkt. Die Bandagen mussten immer schön gerade aufgewickelt werden, bevor sie zurück in den Schrank konnten und alles hatte seinen festen Platz an den es auch ordentlich und sauber wieder hin musste. Sogar die Schabracken hatte sie der Farbe nach geordnet und ihre Wohnung war genauso akkurat geordnet. Der einzige Ort an dem etwas Chaos herrschte war der Schreibtisch auf dem mehrere Zettel durcheinander lagen, doch im Gegensatz zu meiner Wohnung war das ein durchaus geordnetes Chaos.
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Angel behind the Appearance
Teen Fiction!Achtung! In diesem Buch werden Themen wie Gewalt, Drogen, selbstverletzendes Verhalten und verschiedene psychische Krankheiten behandelt. Wenn diese Themen dich triggern, solltest du dir gut überlegen, ob du dieses Buch wirklich lesen möchtest. "En...