Kapitel 165

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Johannes:

Nachdem wir mit den Pferden fertig waren, ging ich direkt wieder zu dem Round Pen und setzte mich, wie auch an den letzten Tagen, neben die Stute. Diese schaute mich zwar kurz skeptisch an, doch blieb ruhig neben mir stehen und fraß an ihrem Heunetz. Genau wie auch die letzten Tage.

"Du testest wirklich meine Geduld Kleine. So langsam kön-ntest du mal auf mich zu kommen. Ich tu dir nichts. Wirk-lich.", flüsterte ich und die Stute schaute mich aufmerksam an. Langsam stand ich nun wieder auf und ging einen Schritt auf sie zu. Und zum ersten Mal wich sie nicht zurück, son-dern blieb stehen und betrachtete mich mit gespitzten Ohren. Ganz langsam und vorsichtig streckte ich nun meine Hand nach ihr aus. Hoffentlich war das jetzt nicht zu viel und ich konnte von vorn anfangen. Ich ertrug dieses Warten einfach nicht mehr!

"Ich tu dir nichts. Versprochen.", flüsterte ich, doch die Stute bewegte sich nicht. Naja. Immerhin schreckte sie nicht zurück, aber mehr würde ich wohl nicht erreichen. Wie Jess schon sagte. Für die Arbeit mit Pferden brauchte man Geduld. Niedergeschlagen ließ ich meine Hand sinken und drehte mich von ihr weg, um mich wieder neben sie setzen, doch dann hör-te ich plötzlich Schritte im Sand und spürte ganz vorsichtig und zaghaft eine Pferdenase an meiner Schulter. Okay. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es war also doch so weit. Ganz langsam drehte ich mich herum und stand direkt vor der Stu-te. Erneut streckte ich langsam meine Hand nach ihr aus, bis sie die letzten Zentimeter überbrückte und ihre Nase zärt-lich an meine Hand legte. Und dieser Moment war einfach nur unglaublich! Dieses wilde, scheue Pferd vertraute mir so sehr, dass ich sie endlich anfassen konnte. Ich wagte es gar nicht mich zu bewegen. Wie versteinert stand ich dort, wäh-rend die Stute mich musterte. In ihren Augen lag solch eine Reinheit, die ich noch nie zuvor bei einem Pferd gesehen hatte. Das war einfach nur unglaublich! Diesen Moment würde ich niemals vergessen. Da war ich mir mehr als nur sicher. Ich berührte jeden Tag einen ganzen Haufen großartiger Pfer-de, doch das war nichtmal ansatzweise damit zu vergleichen. Dieses Pferd hatte einfach eine ganz besondere Ausstrahlung, die mit keinem anderen Pferd zu vergleichen war.

"Danke!", flüsterte ich. Ich konnte nicht erklären warum, aber in diesem Moment verspürte ich einfach solch eine Dank-barkeit für dieses Pferd und diesen Moment. So hätte ich den gesamten Tag stehen können, doch die Stute wand sich wieder von mir ab, um sich wieder dem Heunetz zu zu wenden.

Okay. Wow. Ich hatte gerade einen wilden Mustang berührt. Darauf musste ich jetzt erst einmal klar kommen.

In dem Moment nahm ich Jess am Rand wahr und ging zu ihr.

"Hast du das gesehen?", fragte ich völlig überwältigt.

"Ja. Sie fängt an dir zu vertrauen.", bemerkte sie mit einem Lächeln.

"Das war jetzt irgendwie total krass."

"Ja. Du hast es geschafft, dass dir ein völlig wildes Pferd so sehr vertraut, dass es freiwillig zu dir geht und sich von dir berühren lässt. Das ist was ganz besonderes. Darauf kannst du dir was einbilden."

"Wie geht's jetzt weiter?"

"Erstmal gar nicht. Für heute hat sie genug getan. Morgen fangen wir dann an, dass du sie vorsichtig streichelst und sie sich an die Berührungen gewöhnen kann. Wenn das klappt, fangen wir an und versuchen mal das Halfter zu wechseln und sie dann zu führen und zu putzen."

"Okay. Und was machen wir jetzt?"

"Nach Hause gehen. Die Pferde sind alle fertig."

"Na dann los."

In den folgenden Tagen und Wochen wurde es immer spannender. Mit jedem Tag vertraute die Stute mehr und ich konnte sie mittlerweile nicht nur problemlos überall anfassen und put-zen, sondern auch führen. Dazu ließ sie nun auch andere Men-schen an sich heran und sogar Tara konnte sie ohne Probleme führen. Diese war nun immer öfter bei uns, da es Sue zuneh-mend schlechter ging. Das war allerdings auch kein Problem, denn Tirana und Sarah waren nun bei uns eingezogen, sodass auch sie sich zwischendurch um die Kleine kümmern konnten. Es lief also eigentlich alles rund und ich hatte jedes Wo-chenende zwei kleine Helferinnen. Ab und an kamen dann auch mal Sue, Liz oder Tirana mit und das war auch an diesem Tag der Fall. Jess war mit Kyle zusammen zum Turnier gefahren, während ich mit Sue, den beiden Mädels und Lynn am Stall die Pferde fertig machen wollte. Das klappte auch ganz gut und ich konnte mit Lynn zusammen immer zwei Pferde parallel rei-ten, während Sue in der Zwischenzeit zusammen mit den beiden Mädels die Pferde fertig machte. So lief alles ganz locker, bis Sue dann rief: "Hat irgendwer von euch ein Handy dabei?"

"Ja. Wieso?", fragte ich und hielt bei ihr an, um mein Handy hervor zu kramen.

"Könntest du vielleicht mal Kyle anrufen? Mein Akku ist leer und ich hab Wehen."

"Du hast was?", fragte ich entsetzt. Das war doch viel zu früh! Das Kind sollte doch erst in zwei Wochen kommen!

"Wehen! Würdest du bitte Kyle anrufen?", fragte sie und ich konnte erkennen, wie sie schwerer zu atmen begann.

"Ja. Klar.", sagte ich also und rief Kyle an. Doch dieser hatte natürlich sein Handy aus.

"Der hat das Handy aus.", berichtete ich.

"Und Jess?", fragte sie, also rief ich sie an, doch auch sie hatte ihr Handy scheinbar aus. Und da wusste ich plötzlich, wo das Problem lag.

"Scheiße! Auf dem Turnier gibt es kein Netz.", fluchte ich.

"Bitte sag, dass das nicht dein ernst ist!", kam es von Sue.

"Doch. Die fahren erst in drei bis vier Stunden los. Soll ich dich schnell hin fahren?"

"Wenn du willst, dass ich in deinem Auto ein Kind kriege, kannst du das tun, aber mir ist gerade die Fruchtblase ge-platzt, also wäre es schön, wenn du mich einfach ins Kran-kenhaus bringen würdest."

"Ich? Ich hab keine Ahnung von sowas!"

"Du sollst mich auch nur begleiten und kein Kind auf die Welt bringen! Ich trau dir schon zu, dass du mich ins Kran-kenhaus fahren und neben mir sitzen kannst."

"Okay. Dann machen wir das."

"Was ist denn jetzt los?", fragte Lynn, die ebenfalls bei uns an kam.

"Sue hat Wehen. Ich fahr mit ihr ins Krankenhaus. Könntest du die beiden Pferde versorgen und auf die Mädels aufpas-sen?", fragte ich, denn wir konnten Tara und Sarah ja schlecht mit nehmen.

"Ja klar. Fahrt ihr nur.", meinte sie und stieg ab. Ich tat ihr das nach und übergab ihr die Zügel von Summer, bevor ich mit Sue zusammen zur Villa lief.

"Brauchen wir noch irgendwas?", fragte ich unsicher. Ich hatte doch keine Ahnung, was ich tun sollte!

"Ein Handtuch wäre ganz gut und ich brauch von zuhause noch meine Tasche.", antwortete Sue.

"Okay. Dann hol ich schnell ein Handtuch. Du kannst dich ja schon ins Auto setzten."

"Wenn du gerne möchtest, dass dein Auto nass wird, kann ich das gerne tun. Ansonsten würde ich eher warten, bis du das Handtuch geholt hast."

"Achso. Okay.", sagte ich noch, bevor ich dann schnell rein ging, um ein Handtuch zu holen. Jetzt würde ich also meine erste Geburt mit erleben.

"Was ist denn mit dir los?", fragte Spider, der mit Burce in der Küche saß, verwirrt.

"Ich fahr jetzt mit Sue ins Krankenhaus. Wenn ihr irgendwas von Jess oder Kyle hören solltet dann sagt denen bitte, dass sie so schnell wie möglich hinterher kommen sollen.", sagte ich und eilte an ihnen vorbei, um mit dem Handtuch dann wie-der zurück zu Sue zu gehen. Ihr reichte ich nun das Handtuch und kurz darauf saßen wir auch schon im Auto und ich fuhr Sue als erstes nach Hause, wo sie ihre Tasche holte und wir dann schließlich gemeinsam in das Krankenhaus fuhren. Und so langsam stieg die Nervosität doch. Das schien auch Sue zu merken, denn sie sagte: "Bleib mal locker. Es ist alles gut. Du musst nichts andere tun als daneben sitzen. Das kannst du. Da bin ich mir mehr als nur sicher."

"Wenn dir irgendwas passiert, verzeiht Kyle mir das nie.", gab ich zu bedenken.

"Und ich dachte du kennst Kyle länger als ich. Der wird eher sich die Schuld geben, dass er nicht hier war. Wir kriegen das schon hin.", versicherte sie mir jedoch und ich musste zugeben, dass sie Recht hatte. Kyle wäre wahrscheinlich der Letzte, der irgendwem für irgendwas Vorwürfe machen würde und irgendwie beruhigte mich das. Sue wusste schon, was sie tat. Immerhin hatte sie schon eine Geburt hinter sich.

"Okay. Wenn du das sagst.", sagte ich daher und kurz darauf kamen wir auch schon in dem Krankenhaus an.

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