Kapitel 129

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Jess:

"Wow! Was war das für ein Lied?", fragte ich flüsternd.

"Das hat meine erste Nanny mir abends immer vorgesungen.", erklärte Johannes.

"Aber ich könnte wetten nur halb so schön."

"Nein. Sie hatte eine unglaublich tolle Stimme. Fast noch schöner als die von Sue."

"Hast du von der nochmal was gehört?"

"Leider nicht. Das war die erste und letzte Nanny, die immer zu mir gestanden hat. Nachdem sie meinen Eltern dann erklärt hat, dass sie es nicht gut findet, was sie da tun wurde sie gefeuert und sie haben ihr jeglichen Kontakt zu mir verbo-ten. Danach kamen nur noch alte Drachen, die die Meinung meiner Eltern vollkommen geteilt haben."

"Ich glaub es ist echt besser, dass ich deine Eltern nie kennengelernt habe. Sonst hätte ich denen mal das Passende gesagt. Wie kann man sein Kind nur so behandeln?"

"Gegen deine Kindheit war das bei mir ein Kinderspiel."

"Aber ich wurde im Gegensatz zu dir immer geliebt."

"Ich hatte dafür meine Tiere. Die haben mich immer genommen, wie ich war. Und wenn gar nichts mehr ging hab ich mich im Proberaum eingeschlossen und mich in meine Musik geflüchtet. So hab ich wenigstens gelernt mich zu wehren. Und wären sie nicht so gewesen, hätte ich dich nie kennengelernt. Die hät-ten es nie geduldet, dass ich als Stallbursche arbeitet."

"Das ist ja auch so schrecklich! Menschen mit reichen Eltern müssen unbedingt Arzt oder Anwalt werden. Was sie wollen ist völlig egal. Hauptsache die Eltern sind zufrieden."

"Ja. Und wenn du das nicht willst und dich wehrst, wirst du rausgeschmissen. Aber immerhin kann man dann seinen Traumjob und sogar noch seine Traumfrau finden."

"Ich dachte dann wird man dauerhaft angezickt."

"Das auch, aber damit komm ich klar. Das bin ich von meinen Cousinen gewöhnt. Mit dem Unterschied, dass die dazu noch die Nase so hoch getragen haben, dass es wirklich ätzend war. Und vor allen Dingen haben die sich nie entschuldigt."

"Na dann hab ich ja nochmal Glück gehabt, dass ich nicht stink reich bin."

"Das wäre mir bei dir egal. Dich liebe ich. Ganz egal was du für einen Hintergrund hast. Dass das egal ist hab ich spä-testens nach den ersten beiden Wochen mit dir gelernt."

"Und ich hab gelernt, dass auch reiche Schnürsel, die alles in den Arsch geschoben bekommen nicht sofort scheiße sind."

"Das hast du von mir gedacht?"

"Ja. Als Carol mir damals von dir erzählt hat, hab ich genau das gedacht und dein Auftreten in schicker Jeans und weißen Hemd zum Misten hat das auch nicht besser gemacht."

"Ja. Das war nicht die intelligenteste Aktion. Ich hab nicht erwartet, dass ich direkt loslegen darf."

"Bei Carol immer. Wozu sollte die auch groß mit dir reden? Das Wichtigste ist sowieso, dass du mit den Pferden umgehen kannst. Und das konntest du ja."

"Bei Magic hat sich das irgendwie nicht so angefühlt."

"Zu dem Zeitpunkt war sie drei und du hast vorher noch nie mit so jungen Pferden gearbeitet. Dafür hast du das schon ganz gut gemacht. Alles andere hast du ja dann noch gelernt. Und guck mal. Jetzt reitest du mal eben eine solide S Dres-sur mit einem echt schwierigen Pferd. Also ich bin mehr als nur zufrieden mit dir. Du hast dich innerhalb von einem Jahr von Anfang L nach S hoch gearbeitet. Das ist schon eine Leistung. Vor allen Dingen, weil du dafür auch nicht die einfachsten Pferde zur Verfügung hast. Mit Summer so gut durch eine S Dressur zu reiten schafft nicht jeder. Und Win-dy macht sich unter dir auch echt gut."

"Windy ist aber auch brav und Summer mittlerweile auch."

"Nein. Summer ist nicht braver als da, wo du angefangen hast ihn zu reiten und das wird er wohl auch niemals werden. Du reitest einfach nur besser. Du weißt jetzt, was du tun mus-st, wenn er zickt und kannst das auch anwenden. Du bist jetzt so weit, dass du die schwierigen Pferde reiten kannst. Auch wenn du wahrscheinlich noch so einige Male mit Schwung runter fliegen wirst."

"Das tust ja selbst du ab und an noch. Bei solchen Pferden bleibt das nicht aus."

"Ja. Und du kannst dich ja abrollen. Da geht das schon."

"Ja. Das war das Erste, was du mir beigebracht hast bevor du mich auf deine Pferd gesetzt hast."

"Das ist bei meinen Pferden auch wichtig. Sonst hättest du dir schon einige Male deutlich mehr weh getan."

"Das kann ich mir vorstellen. Du weißt schon, was du tust."

"Dafür bin ich schon oft genug mit ordentlich Schwung geflo-gen. Ein Wunder, dass ich mir noch nie was gebrochen hab."

"Ja. Und jetzt sollten wir schlafen. Du hast noch einiges an Schlaf nach zu holen."

Am nächsten Morgen klingelte schon früh der Wecker und als ich neben mich schaute lag dort weder Johannes noch Collin. Stattdessen lag dort ein Zettel auf dem stand, dass Johannes den Jungen mit in den Stall genommen hatte. So stand ich auf und machte mich fertig, bevor ich die Jungs draußen fütter-te, um dann zur Klinik zu fahren.

Dort herrschte das absolute Chaos und so zog ich nur schnell meinen Kittel über, bevor ich zu Kasey eilte, die nach mir rief. Und was ich dort sah, ließ mich erstarren.

"Deine beste Freundin ist wieder da.", berichtete Kasey.

"Scheiße!", rutschte es mir raus.

"Ist irgendwas passiert?"

"Erklär ich dir später. Hast du schon Naloxon gespritzt?"

"Ja. Bisher spricht sie nicht drauf an."

"Dann gib ihr mehr. Wir müssen sie wieder wach kriegen!"

"Warum?"

"Sie hat einen Sohn!"

"Scheiße! Dann los!"

Zu zweit gaben wir nun alles, um sie irgendwie wieder wach zu kriegen, doch wir hatten keine große Chance.

"Jess, sie hat zu viel genommen! Wir können ihr nicht noch mehr Naloxon spritzen! Sonst bringen wir sie um!", sagte Ka-sey schließlich.

"Wir müssen sie wach kriegen! Ich will dem Jungen nicht er-klären müssen, dass wir seine Mutter nicht retten konnten!"

"Was willst du denn noch tun? Wir haben alles versucht. Mehr können wir nicht machen."

"Wir müssen!", sagte ich und spritzte ihr kurzerhand noch eine Dosis Naloxon.

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