Jess:
So verging eine extrem emotionale Stunde in der die Beiden nicht wenig weinten. Auch ich vergoss allerdings ein paar Tränen. Es war einfach so unglaublich traurig, die Wiedervereinigung der Beiden zu sehen, aber zu wissen, dass sie sich nach dieser Stunde nie wieder sehen würden. Diese Stunde verging allerdings wie im Flug und schon bald hieß es Abschied nehmen. Für immer.
"Kannst du mir was versprechen?", fragte die Frau nun.
"Was denn?", fragte Kyle.
"Bitte versprich mir, dass du was aus deinem Leben machst und auf dein Herz hörst. Sei glücklich und genieße jede Sekunde. Es kann schneller vorbei sein, als du denkst."
"Ist versprochen! Ich werd dich vermissen!"
"Du wirst drüber hinweg kommen. Du hast ganz tolle Freunde an deiner Seite, die dir helfen. Und ich sitze oben auf meiner Wolke und passe auf dich auf."
Von Kyle kam nur noch ein tränenreiches Nicken.
"Wir winken dir von unten.", sagte ich und strich ihm tröstend über den Rücken.
"Und du passt bitte gut auf meinen Jungen auf! Er braucht jemanden, der für ihn da ist, ihm aber auch mal in den Arsch tritt. Gerade für sein Abi. Der ist stinkfaul."
"Ich sorg schon dafür, dass der einen ordentlichen Abschluss macht. Keine Sorge. Er wird mich noch hassen."
"Das ist gut so. Danke!"
"Kein Problem. Ich helfe gerne. Das ist mein Job."
"Tschüss ihr Zwei!"
"Tschüss, Mum! Grüß Lizzy schön von mir!", schluchzte Kyle.
"Mach ich! Ich liebe dich, mein Großer!", sagte seine Mutter ebenfalls weinend.
"Ich dich auch! Tschüss!"
Und das war der Abschied. Langsam verließen wir das Gefängnis wieder, bis wir draußen stehen blieben. Kyle war noch immer bitterlich am Weinen und auch ich hatte Tränen in den Augen. Diese Stunde war wirklich hart.
Wortlos schloss ich ihn in meine Arme. Was sollte ich auch sagen? Kein Wort der Welt hätte ihn in diesem Moment trösten können. Das wusste ich aus eigenen Erfahrungen.
So standen wir eine lange Zeit und irgendwann erbarmte sich sogar ein Wächter und kam zu uns, um Kyle ein Taschentuch in die Hand zu drücken.
"Danke!", schluchzte dieser.
"Wir haben hier einen sehr guten Psychologen. Wollen Sie da vielleicht mal vorbei schauen?", fragte der Mann einfühlsam. Er war deutlich sympathischer als der andere Mann vorhin.
"Das ist sehr nett von Ihnen, aber wir haben zuhause unseren eigenen Psychologen und ich bin auch irgendwie eine Psychologin.", antwortete ich.
"Wie soll ich das jetzt verstehen?", fragte er.
"Ich bin Ärztin in einer Entzugsklinik. Da ist man auch irgendwie eine Psychologin.", erklärte ich.
"Oh. Okay. Zu welchem Insassen gehören Sie denn?"
"Den Namen würde ich jetzt nicht so gerne erwähnen. Das ist alles nicht so einfach."
"Okay. Und in wie weit gehört ihr Beiden zusammen?"
"Ich bin nur Begleitung. Er ist ein Kumpel von meinem Freund und bei mir in Behandlung."
"Achso."
In dem Moment klingelte mein Handy. Johannes.
"Hey! Was ist los?", fragte ich, ohne Kyle los zu lassen.
"Wann kommst du wieder?", fragte Johannes."
"Jetzt gleich. Wieso?"
"Kannst du dich ein bisschen beeilen?"
"Ich komme. Ich brauch nur noch einen kleinen Moment."
"Okay."
So legte ich wieder auf und packte mein Handy weg.
"Wir müssen los. Johannes wartet und Sue vermisst uns bestimmt auch schon.", sagte ich und Kyle nickte.
"Dann wünsche ich Ihnen noch ganz viel Kraft!", sagte der Wächter noch, bevor wir zurück zur Klinik fuhren. Dort kam Sue direkt zu uns geeilt und schloss Kyle in ihre Arme. Dieser bleib nur ruhig stehen und wartete, bis sie ihn wieder los ließ. Zusammen brachten wir ihn wieder in sein Zimmer, wo ich mich von ihm verabschiedete und mit Sue zusammen den Raum verließ.
"Wie war's?", fragte diese nun.
"Einerseits total schön, weil sie sich endlich wieder gesehen haben, aber andererseits richtig schlimm, weil sie sich zum letzten Mal gesehen haben.", erklärte ich.
"Wie geht's ihm?"
"Der ist total fertig, aber so konnte er sich wenigstens von ihr verabschieden. Das hilft."
"Ja. Ich kann's mir vorstellen."
"Wir sprechen später. Ich muss nach Hause. Johannes wartet."
"Ja. Bis später!"
So verließ ich nun die Klinik und fuhr nach Hause, wo Johannes auf der Couch saß.
"Da bist du ja endlich!", sagte er und zog mich direkt zu sich auf die Couch.
"Tut mir leid. Das war alles ein bisschen schwierig.", berichtete ich.
"Es war wirklich seine Mutter, oder?"
"Ja. Wir haben nochmal mit ihr gesprochen, sodass er sich verabschieden konnte."
"Wie geht's ihm?"
"Nicht gerade gut, aber der Abschied hat ihm gut getan."
"Und dir?"
"In so einem Todestrakt zu stehen, ist schon heftig. Da bist du umgeben von lauter Schwerverbrechern und dazwischen ist nur eine Wand. Und vor allen Dingen weißt du, dass all diese Menschen schon bald sterben werden. Und das nicht durch einen natürlichen Tod. Aber keine Sorge. Mir geht es gut.", sagte ich und wollte schon wieder nach meinen Zetteln greifen, doch Johannes hielt mich zurück.
"Du lässt das mal liegen und bleibst bei mir.", sagte er und zog mich an sich.
"Dir geht es nicht gut, oder?", fragte ich und er nickte.
"Körperlich oder Psyche?", fragte ich weiter.
"Hauptsächlich Psyche."
"Du denkst zu viel nach. Das ist nicht gut. Du musst dich irgendwie ablenken."
"Deshalb komm ich ja gleich mit."
"Wollen wir Halim schon mal fertig machen? Dann hast du was zu tun und wir können dabei reden."
"Okay."
"Gut. Dann zieh ich mich nur schnell um."
Schnell tat ich Gesagtes, bevor wir raus gingen, um Halim fertig zu machen. Dabei unterhielten wir uns etwas und als wir fertig waren, kam auch Sue.
Mit ihr zusammen gingen wir zum Stall, wo ich mit allen Pferden nochmal trainierte, bevor wir nach Hause gingen und gemeinsam etwas aßen. An diesem Tag wagte auch Johannes es eine Banane zu essen und dank dem Kräuter Tee ging das auch tatsächlich gut. Damit stand es also fest. Johannes ging es tatsächlich viel besser und das war einfach toll zu sehen!
Körperlich hatten wir also das richtige Mittel gefunden. Dafür schlug die Psyche nun immer mehr zu. Das würden wir allerdings auch irgendwie überstehen. Da war ich mir sicher. Kyle machte mir da mehr Sorgen und ich erwischte mich dabei, wie meine Gedanken immer wieder zu ihm ab schweiften.
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Angel behind the Appearance
Teen Fiction!Achtung! In diesem Buch werden Themen wie Gewalt, Drogen, selbstverletzendes Verhalten und verschiedene psychische Krankheiten behandelt. Wenn diese Themen dich triggern, solltest du dir gut überlegen, ob du dieses Buch wirklich lesen möchtest. "En...