Kapitel 124

11 0 0
                                    

Jess:

"Ja. Nachdem ich deine Vergangenheit jetzt kenne, geht es jetzt an meine. Ich reite, seit ich fünf bin und hab mit 18 meine erste S Dressur gewonnen. Von da an ging es immer wei-ter aufwärts und ich bin mit 21 international Grand Prix ge-ritten, hab mir den Stall hier gekauft und mir meine Zucht aufgebaut. Alles lief eigentlich perfekt und dann kam Queen. Als sie geboren ist, war sie total hässlich und ich dachte aus dem Fohlen würde nie was werden. Ich wollte sie schon spottbillig an irgendwen verkaufen, aber Jess hat mich davon abgehalten. Sie war die Einzige, die ihr Potential gesehen hat und mit der Zeit hat sie sich zu meinem besten Jungpferd entwickelt. Dieses Pferd ist über die Weide getanzt wie ein junger Gott. Das kannst du dir gar nicht vorstellen! Deshalb hab ich dann entschieden, dass ich sie reiten würde und Jess hat sie für mich ausgebildet. Und so kam es, dass ich mit einem sechsjährigen Pferd in die Grand Prix Meisterschaft in Aachen rein geritten bin und sogar gewonnen hab. Sie hat mich durch jede Prüfung perfekt durch getragen und ich kon-nte mit ihr die größten Erfolge und Siege feiern. Das abso-lute Highlight war dann Olympia. Silber in der Einzelwertung und Gold mit der Mannschaft. Wir haben geschafft, was zuvor noch nie jemand geschafft hat. Wir haben mit unserer Kür ei-nen Richter zum weinen gebracht und waren nur ganz knapp am Weltrekord vorbei. Es war alles wie ein riesiger Traum. Die Kleine hat mich bis nach ganz oben gebracht und sich in die Herzen der Zuschauer getanzt."

"Und was ist passiert, dass du aufgehört hast? Warum sitzen auf deinem größten Erfolgspferd jetzt irgendwelche Anfän-ger?", fragte Thomas.

"Du bist nicht irgend ein Anfänger. Dir kann ich sie mit reinem Gewissen anvertrauen und vor allen Dingen hast du keine Ansprüche an sie. Genau so einen Reiter braucht sie.", widersprach Carol ihm.

"Du willst mir jetzt aber nicht erklären, dass ich der Ein-zige bin, den du auf dieses Pferd setzt, oder?"

"Doch. Ihr Beiden passt gut zusammen. Du hast keine Erwar-tungen an sie und sie kann Lehrmeister spielen."

"Ich weiß nicht ob ich jetzt stolz sein oder Angst haben sollte, dass du mir dein bestes Pferd anvertraust."

"Sei einfach verdammt stolz und weiß es zu schätzen. Nicht jeder darf sie reiten.", antwortete ich.

"Und was ist jetzt passiert?", fragte Thomas.

Nun herrschte Schweigen, bis Carol schließlich zu erzählen begann.

"Nach Olympia ging es steil bergauf. Wir haben ein Turnier nach dem Anderen gewonnen und wurden immer besser. Es hätte alles perfekt sein können, aber dann hab ich einen riesigen Fehler gemacht. Ich hab sie jedes Wochenende drei Tage lang Prüfungen laufen lassen und das war zu viel für sie. Jess hat es gesagt, aber ich wollte nicht auf sie hören. Wir hat-ten beide so einen Spaß. Ich wollte nicht, dass es endet. Hätte ich doch nur eher gewusst, was passieren würde. Ich hätte das niemals tun sollen! Ich hätte die Zeichen sehen müssen! Ich hab gemerkt, dass sie an dem Tag unruhiger war, als sonst, aber ich bin trotzdem geritten. Ich hab sie trotzdem ins Viereck gezwungen und es waren wieder alle Ka-meras auf sie gerichtete und tausende Zuschauer haben ihr zugesehen. Und das war zu viel für sie. Sie ist gestiegen und im vollem Galopp aus dem Viereck und in den Wald. Sie ist gerannt wie bescheuert und immer tiefer in den Wald rein. Ich hab alles versucht, aber sie war nicht zu bremsen. Und dann... dann ist sie plötzlich weg gerutscht und... und wir sind... sind gestürzt und sie... sie... ist einen... ei-nen... Abhang runter gerutscht."

Weiter kam sie nicht. Zu tief lag der Schock ihr auch nach all den Jahren noch in den Knochen. Das merkte auch Thomas und legte tröstend einen Arm um sie.

"Carol ist dabei noch glimpflich davon gekommen. Nur ein paar Prellungen und eine Gehirnerschütterung. Bei Queen sah es deutlich schlimmer aus. Ihr linkes Vorderbein war drei Mal gebrochen und das rechte Sprunggelenk war mehr oder we-niger komplett zertrümmert. Unzählige Sehnen waren angeris-sen und nichts war mehr an der richtigen Stelle. Dazu war sie total in Panik und hat sich in dem Dornenbusch, der sie zum Glück aufgefangen hat, bevor sie noch tiefer stürzen konnte, alles blutig aufgerissen. So mussten sie über eine Stunde liegen, bis wir sie endlich gefunden haben. Carol wurde direkt in das nächste Krankenhaus gebracht und Queen kam in die Tierklinik. Sie hatten wir in der Zwischenzeit mit Beruhigungsmitteln voll gepumpt, damit sie sich nicht noch mehr verletzen konnte und in der Klinik haben wir dann erst gesehen, wie schlimm das alles wirklich war. Niemand wusste, ob sie jemals wieder stehen geschweige denn laufen konnte. Alle haben uns dazu geraten sie einschläfern zu las-sen, aber ich hab mich dafür eingesetzt, dass sie es wenig-stens versuchen. Ich kann nicht erklären warum, aber irgend-was in ihren Augen hat mir gesagt, dass sie noch leben will und dass sie kämpfen und alles geben würde. Sie hatte noch nicht aufgegeben und das hat ihr das Leben gerettet. Die besten Spezialisten weltweit haben dann an ihr rumgeschraubt und wie man sieht, ist tatsächlich wieder alles zusammen ge-wachsen. Trotzdem war klar, dass man sie wahrscheinlich nie mehr reiten könnte. Aber sie hat so sehr gekämpft, dass tat-sächlich fast keine Schäden zurück geblieben sind. Körper-lich war sie wieder topfit, als sie hier an kam, aber psy-chisch war sie ein völlig anderes Pferd. Sie hat kaum ge-fressen und stand selbst auf deer Weide nur am Gatter und hat gewartet, bis man sie wieder reingeholt hat. Die anderen Pferde hat sie vollkommen ignoriert und beim Longieren und später reiten hat sie alles komplett verweigert und sich teilweise auch wirklich bösartig quer gestellt. Carol hat währenddessen im Prinzip das Gleiche gemacht. Sie hat sich komplett abgeschottet, mit niemanden mehr geredet und im Stall nur das aller nötigste gemacht. Sie ist auf kein Pferd mehr gestiegen und hat gerade den Kontakt mit Queen komplett verweigert. So ging es etwas mehr als ein Jahr, bis mir der Kragen geplatzt ist und ich ihr an den Kopf geworfen hab, was sie ihrem Pferd da an tut. Wir haben uns dann erstmal eine Runde angeschrien und ich hab ihr mit der Kündigung ge-droht und bin gegangen. Danach war dann eine Woche Funkstil-le, bevor sie nochmal mit mir gesprochen hat und wir das ge-klärt haben. Danach hat sie dann mit Queen gearbeitet und die Beiden haben sich gegenseitig geheilt. Sie haben das Trauma zusammen einigermaßen überwunden, aber ich denke du kannst dir vorstellen, dass Carol niemals mehr ein Turnier reiten kann ohne an all das zu denken und bei Queen ist es genauso. Wenn man zu viel von ihr erwartet macht sie dicht. Deshalb bist du der perfekte Reiter für sie. Du erwartest nichts von ihr, weil du das alles selber nicht kannst und gleichzeitig hat sie unheimlich viel Spaß daran dir zu zei-gen, was sie kann und dir das alles bei zu bringen."

Angel behind the AppearanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt