Kapitel 29

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Johannes:

Auch weiterhin saßen wir schweigend nebeneinander, bis Jess schließlich wieder kam.

"Schon fertig mit Lernen?", fragte ich erstaunt. Normalerweise hörte sie erst auf, wenn sie irgendwo hin musste oder ich sie zur Ruhe zwang.

"Ja. So langsam kann ich das nicht mehr sehen.", meinte sie und da konnte ich sie gut verstehen. Wenn ich so viel lernen würde, hätte ich auch die Schnauze voll.

"Ich kann's verstehen. Mir wär das zu blöd.", sagte ich.

"Du hast für sowas nicht den Ehrgeiz. Ich weiß. Wie geht's dir?", wechselte sie das Thema.

"Nicht viel anders als eben. Es wird langsam schlimmer, aber es ist noch aus zu halten."

"Okay. Und was ist mit dir?", fragte sie an Kyle gerichtet.

"Genauso.", meinte er nur.

"Ich hab dir übrigens ein Zimmer fertig gemacht. Dann kannst du ein bisschen schlafen."

"Kann ich eh nicht."

"Du musst jetzt schlafen. Das wird nur noch schlimmer und wenn du zwei Wochen nicht schläfst, bist du danach halb tot. Du brauchst den Schlaf. Glaub mir."

"Das tu ich ja, aber ich kann nicht schlafen."

"Leg dich hin. Ich komm so in zwei Stunden nochmal vorbei."

"Okay. Wo denn?"

"Von hier zwei Räume weiter. Wir bringen dich."

So gingen wir nun zu unserem Schlafzimmer und brachten auf dem Weg Kyle in das Gästezimmer direkt daneben, bevor wir uns ins Bett legten.

"Wie geht's dir?", fragte Jess und drehte sich zu mir.

"Nicht gerade gut, aber es geht noch.", meinte ich. In Anbetracht auf das, was noch kommen würde, konnte ich mich in dem Moment definitiv nicht beschweren.

"Du siehst nicht gut aus.", sagte Jess dennoch besorgt.

"Ist das ein Wunder?"

"Nein. Wie geht's deinem Kreislauf?"

"Da ist alles gut. Wieso?"

"Weil dein Kreislauf zusammen gebrochen ist und du gestorben wärst, wenn ich ein bisschen später gewesen wäre?"

"Du warst ja pünktlich da."

"Ich mach mir trotzdem Sorgen! Du hast mich ganz schön geschockt!"

"Entschuldigung. Das wollte ich nicht. Ich dachte nicht, dass es so schlimm wird."

"Wie lange warst du da ohne?"

"Ich glaube zwei Tage."

"Dann wissen wir ja, was noch auf uns zu kommt. Wenn dir der Kreislauf weg kippt, sagst du bitte frühzeitig Bescheid!"

"Was heißt frühzeitig?"

"Sobald dir schwindelig wird."

"Okay."

"Dann sprech ich morgen mit Sue und besorg Medikamente."

"Wie kann Sue dir da helfen?"

"Die sitzt an der Quelle und kann mir aus der Klinik was geben. Die haben das direkt vorrätig. Eine Apotheke muss das erst bestellen und das dauert."

"Achso. Und die geben dir das einfach so?"

"Ich bin Ärztin. Ich komm da relativ einfach dran."

"Ich dachte du bist noch gar keine Ärztin."

"Ich bin Assistenzärztin. Ich darf dich nicht alleine mit den heftigen Mitteln behandeln, aber mit den harmlosen schon und können tu ich das. Mit fehlt nur die Berechtigung."

"Das heißt du kannst alles, darfst es aber erst machen, wenn du ein Zettel hast, wo drauf steht, dass du das kannst."

"Genau."

"Und mit der Prüfung hast du deine Ausbildung dann fertig?"

"Ja. Ich werde irgendwann aber noch die Ausbildung zur Oberärztin dran hängen."

"Und was bringt dir das?"

"Dann darf ich ausbilden, die Anderen rum kommandieren und bekomme mehr Geld."

"Und du behandelst dann den Rest deines Lebens so Leute wie mich?"

"Ja. Das ist mein Traumjob.

"Was ist so toll daran irgendwelche Junkies zu behandeln?"

"Du triffst dabei auf ganz tolle Menschen mit ganz vielen interessanten Geschichten und du hast jeden Tag eine neue Herausforderung. Und vor allen Dingen Kann ich Menschen helfen, denen es so geht, wie mir damals. Ich will anderen Menschen helfen ein normales Leben zu führen. Genau, wie mir damals geholfen wurde. So hat das, was ich erlebt habe, wenigstens einen Sinn."

"Kyle hat schon Recht. Du bist was ganz besonderes! Jemanden wie dich, gibt es nur einmal. Ich liebe dich!", flüsterte ich und zog sie sanft zu mir.

"Ich dich auch!", sagte sie in der gleichen Lautstärke und schon lagen unsere Lippen auf einander. Schon nach kurzer Zeit löste sie ihre Lippen allerdings von meinen und flüsterte: "Lass dich von Kyle nicht so provozieren."

"Ich kann es aber nicht leiden, wenn er mit dir spricht wie mit seinen Schlampen!", schimpfte ich deutlich lauter.

"Ich kann dich ja verstehen, aber er meint das nicht böse. Als Drogendealer brauchst du ein gewisses Image und da baust du dir deine Verhaltensweisen auf. Das ab zu legen geht nicht von heute auf morgen. Nimm ihm das nicht übel. Du kannst ihn doch eigentlich auch gut leiden."

"Ja, aber...", begann ich, doch sie unterbrach mich: "Nichts aber. Gib ihm ein bisschen Zeit. Für ihn ist das nach so vielen Jahren alles andere als einfach. Außerdem kann ich mich durchaus alleine verteidigen."

"Oh ja! Das kannst du!"

"Na also. Dann ist doch alles gut. Und jetzt solltest du auch ein bisschen schlafen.", sagte sie und strich mir sanft über das Haar. Was solch eine kleine Berührung selbst nach so vielen Jahren noch in mir auslöste! Da waren plötzlich alle Sorgen und Ängste vergessen.

"Du weißt wahrscheinlich selber am Besten, wie schwer das in dem Zustand ist.", erwiderte ich.

"Ja, aber das wird nur noch schlimmer. Du musst schlafen.", ließ sie nicht locker und strich mir erneut durch das Haar. Und damit war ich ihr chancenlos unterlegen. Sie wusste einfach, wie sie mich schwach machen konnte.

"Bleibst du hier?", fragte ich.

"Ich bleibe, bis du schläfst, gucke dann kurz bei Kyle und komme dann wieder. Ich lass dich schon nicht alleine. Keine Sorge.", antwortete sie.

"Danke!"

"Ich hab dir versprochen, dass ich dir helfe und dann tu ich das auch. Ich lass dich nicht im Stich."

"Was würd ich nur ohne dich tun?", fragte ich und zog sie noch etwas fester an mich.

"Genug geschleimt für heute. Schlaf!", flüsterte sie nur.

"Kann ich nicht."

"Das sehen wir dann noch.", sagte sie und kuschelte sich an mich. Sie wusste nicht nur, wie sie mich schwach machte, sondern auch wie sie mich zum Schlafen brachte. Eng hatte sie sich an mich gekuschelt und strich mir immer wieder sanft über meinen Arm, den ich um sie geschlungen hatte, bis ich schließlich ein schlief.

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