Kapitel 142

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Jess:

"Hallo, Kasey. Was gibt's?", meldete ich mich.

"Kannst du schnell kommen? Der Notfall von eben bringt alle zur Verzweiflung und ich kann das noch nicht.", fragte sie.

"Ich komme sofort."

"Okay. Dann bis gleich."

So legte ich wieder auf und wand mich Norris zu.

"Kleine Planänderung. Ich muss schnell zurück in die Klinik. Ist es okay, wenn du direkt mit kommst?"

"Ja klar. Gar kein Problem."

"Okay. Du warst schonmal in einer Entzugsklinik?", fragte ich, während ich los fuhr.

"Ja, aber nur in einer kleinen für Alkoholsucht."

"Okay. Hier ist das ein bisschen größer und wir behandeln hauptsächlich die harten Fälle. Lass dich von denen nicht abschrecken. Die sind deutlich netter, als sie aussehen."

Die Fahrt über unterhielten wir uns locker über alles mögliche, bis wir an der Klinik an kamen.

"So. Da wären wir. Links siehst du die Koppeln mit den Jung-pferden, die noch zu dem Gestüt gehören, wo ich arbeite und das ist die Entzugsklinik.", erklärte ich.

"Die ist ja riesig!"

"Ja. Aber sehr schön. Wie gesagt. Die sehen alle schlimmer aus, als sie sind.", sagte ich und stieg aus, um mit ihm zusammen die Klinik zu betreten. Dort kam Kasey mir schon entgegen und sagte: "Gott sei Dank! Die treibt echt alle zur Verfzweiflung."

"Wo liegt denn das Problem?", fragte ich, während ich mein Zeug ablegte und den weißen Kittel an zog.

"Die ist durchgängig nur am Heulen, aber lässt niemanden nä-her als zwei Meter an sich ran und spricht mit niemanden."

"Okay. Ich guck nach ihr, aber das sieht schwer danach aus als würde das länger dauern. Könntest du...", begann ich, doch bevor ich weiter kam, klingelte mein Handy. Carol.

"Entschuldigung. Ich muss mal kurz.", sagte ich und wand mich von den anderen Beiden ab, um dran zu gehen.

"Was gibt's?", fragte ich.

"Hey! Hast du kurz Zeit?", fragte sie.

"Solange es wirklich nur kurz ist."

"Hast du schon mal was von dem Mustang Makeover gehört?"

"Ja. Wieso?"

"Ich wurde angefragt, ob ich nicht eine Trainerin hätte, die mitmachen will. Würdest du das tun? Das wär die perfekte At-traktion für den Tag der offenen Tür und dazu noch eine su-per Werbung für das Gestüt."

"Wann soll ich das denn noch machen? Ich hab so schon mehr als genug zu tun!"

"Ich weiß ja, aber könntest du das nicht irgendwie mit Jo-hannes zusammen machen? Irgendwie so, dass er mit dem Pferd arbeitet und du ihm Tipps und Anweisungen gibst? Das wäre doch auch für ihn als Übung ganz gut."

"Das muss ich erstmal mit ihm absprechen."

"Könntest du mit ihm sprechen und mir morgen sagen, ob das geht?"

"Okay, aber ich kann dir nichts versprechen."

"Super! Danke!"

"Ja. Wir sehen uns dann."

Ich legte nun wieder auf und fluchte erstmal vor mich hin.

"Alles okay?", fragte Kasey vorsichtig.

"Carol hat nur gerade spontan beschlossen, dass es die per-fekte Werbung für sie wäre, wenn ich und Johannes beim Mustang Makeover mit machen."

"Was ist das denn?"

"Man bekommt ein Wildpferd vor die Nase gesetzt, das sich gerade so am Kopf anfassen lässt, damit man es einigermaßen verladen kann und hat dann ein paar Monate Zeit, das so weit wie möglich aus zu bilden. Ich hab ja auch nichts anderes zu tun und kann den ganzen Tag mit einem Wildpferd arbeiten."

"Na super. Dann nehmen wir einfach alle deine Überstunden und du machst so lange frei."

"Und wer macht für mich Vertretung? Das würde höchstens funktionieren, wenn Sue und Jakob arbeiten würden und selbst die kommen mit meinen Spezialfällen nicht klar."

"Ich hab letzte Woche eine Anfrage von einer Fachärztin be-kommen, die frisch aus der Ausbildung kommt und sich hier auf Heroin spezialisieren will. Wie wäre es, wenn du die einarbeitest und die für dich Vertretung macht solange das Pferd da ist. Und danach könntest du ihr vielleicht beibrin-gen, wie du das mit deinen Spezialfällen machst."

"Das kann ich niemanden beibringen und das weißt du selber. Dafür müsste sie die Erfahrungen haben, die ich gemacht habe und das hat sie ziemlich sicher nicht."

"Kannst du es nicht wenigstens versuchen?"

"Okay. Und was ist in der Zeit mit meinen Spezialfällen?"

"Und wenn du nur die behandelst? Dann würdest du nur ein paar Stunden arbeiten."

"Und du glaubst wirklich, dass sich das auf ein paar Stunden beschränkt?"

"Einen Versuch wäre es wert."

"Ich sprech mit Johannes. Wenn der einverstanden ist, machen wir das."

"Gut."

"Und als erstes guck ich jetzt mal nach unserem Notfall. Norris, willst du mitkommen oder willst du dich lieber hier noch ein bisschen umschauen?", fragte ich.

"Ich komm mit. Vielleicht kann ich noch was lernen.", meinte er.

"Gut. Welches Zimmer?"

"Rechts neben deinem standart Zimmer."

"Okay."

So gingen wir nun los und Norris fragte: "Hast du schon eine Vermutung?"

"Was meinst du denn als Psychologe?"

"Es klingt schwer nach PTBS."

"Ja. Und sie zeigt eine ablehnende Haltung anderen Menschen gegenüber. Das lässt darauf schließen, dass ein Mensch ihr oder jemanden der ihr nahe stand etwas angetan hat."

"Aha. Und du bist wirklich keine Psychologin?"

"Nein. Das ist reine Erfahrung."

"Und was machst du jetzt mit ihr?"

"Was würdest du denn machen?"

"Versuchen Kontakt auf zu nehmen indem ich mit ihr spreche?"

"Und wenn sie nicht antwortet und sich nur noch mehr von dir abwendet?"

"Es weiter versuchen?"

"Nein. Das hat dann keinen Sinn. Damit bewirkst du nur, dass ihre ablehnende Haltung noch stärker wird."

"Okay. Und was machst du stattdessen?"

"Diese Menschen haben Angst vor dir. Das heißt bevor du ir-gendwas machen kannst, musst du ihnen zeigen, dass du ihnen nichts böses willst. Ich wende da etwas an, was ich bei der Arbeit mit den Pferden gelernt hab. Ich gehe hin und biete ihnen an mit mir zu reden. Irgendwann siegt die Neugier und sie reden. Wichtig ist dabei, dass du sie den ersten Schritt machen lässt. Auch, wenn sie so weit sind und mit dir reden. Und wenn du merkst, dass es ihnen zu viel wird, oder sie sich wieder von dir abwenden, gehst du wieder einen Schritt zurück. Bei solchen Menschen ist Vertrauen eine ganz wich-tige Sache und bis das aufgebaut ist, dauert es."

"Hast du das mit Nithan auch so gemacht?"

"Ja. Bei ihm hab ich stundenlang gesessen und gewartet, bis er Vertrauen gefasst und sich mir geöffnet hat. Und genau das machen wir jetzt auch."

"Okay."

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