Kapitel 110

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Jess:

Lange unterhielt ich mich an diesem Tag noch mit dem Mann und er erzählte mir alles über seine Vergangenheit, die nicht gerade schön war.

Als alles geklärt war, fuhr ich endlich nach Hause, doch ich konnte einfach nicht aufhören darüber nach zu denken, was gerade passiert war. Und mit jeder Minute tat mir dieser Mann mehr leid und sein Schicksal nahm mich mehr mit. Das machte mich einfach fertig und ich hatte wirklich schwer mit den Tränen zu kämpfen. Da waren auf einmal so viele Gefühle und das, obwohl ich diesen Mann nicht mal wirklich kannte.

Zuhause angekommen, war ich einfach nur noch völlig fertig und trotzdem führte mein erster Weg in den Stall. Da aber bei allen vier Pferden alles in bester Ordnung war, ging ich rein, wo ich fröhlich von Shark begrüßt wurde.

"Willst du noch was essen? Bruce hat gekocht.", fragte er und das war ja auch wirklich nett von ihm, aber ich bekam echt nichts runter.

"Nein.", sagte ich also und warf meine Tasche in die Ecke.

"Ist alles in Ordnung?", fragte er weiter.

"Alles gut.", meinte ich und meine Jacke folgte der Tasche.

"Sicher?", harkte er nach und das war zu viel.

"Lass mich bitte einfach in Ruhe!", fuhr ich ihn an, machte auf dem Absatz kehrt und ging raus, um das Haus noch zu ver-lassen, bevor ich endgültig in Tränen ausbrach. Völlig fer-tig ging ich in den Stall und setzte mich zu Halim in das Stroh. Der Hengst schmiegte sich direkt an mich, aber so wirklich half das auch nicht. Diese Geschichte hatte mich einfach ganz tief im Herzen getroffen und das machte mich gerade vollkommen fertig.

Irgendwann raschelte es dann im Stroh und irgendwer setzte sich neben mich, um dann sanft einen Arm um mich zu legen.

"Magst du mir erzählen, was los ist?", fragte er und ich er-kannte, dass es Thomas war.

"Warum ist das Schicksal so ein Arschloch?", schluchzte ich.

"Das weiß ich auch nicht. Geht es um dein Schicksal?"

"Nein."

"Die Arbeit?"

"Ja."

"Ein langer Tag?"

"Viel zu viele Notfälle und schlimme Zwischenfälle."

"Erzähl."

"Drei Todesfälle in zwei Stunden und ich konnte keinem hel-fen. Sie hätten es fast geschafft und dann das."

"Ach Jessie. Du kannst nunmal nicht jedem helfen. Ich bin mir sicher, dass du alles in deiner Macht stehende getan hast. Mehr kannst du nicht tun. Wenn Menschen den Entschluss gefasst haben zu sterben, kannst du daran nichts ändern."

"Leider nicht."

"Das ist nicht alles oder?"

"Nein."

"Was ist denn noch?"

"Einer der Notfälle hat mich ganz schön mit genommen."

"Erzähl."

"Darf ich nicht."

"Scheiß auf Schweigepflicht. Deine Gesundheit ist wichti-ger."

"Er kam mit einer Überdosis und wir konnten ihn noch retten. Er hat mit niemanden gesprochen und ich hab mich dann zu ihm gesetzt. Ich hab zwei Stunden bei ihm gesessen, bis er mir seine Geschichte erzählt hat. Das war so unglaublich hart."

"Dann erzähl doch mal. Ich sag es schon keinem weiter."

"Er ist in der Nacht nach seinem 18. Geburtstag vergewaltigt worden. Das hat er mir bis ins kleinste Detail beschrieben und es war so unglaublich hart, wie ausdruckslos und trotzdem so detailliert er das beschrieben hat. Als wäre es gar nicht ihm passiert, sondern irgendwem anders. Er hat sich nicht getraut mit irgendwem zu reden und ist einfach verstummt. Am nächsten Morgen wollte er seine Schwester zum Kindergarten bringen und sie hatten einen Unfall, weil er natürlich unkonzentriert war. Sie ist dabei gestorben und er ist weg und ans Heroin gekommen. Ich weiß nicht warum, aber das hat mich alles so sehr mit genommen."

Angel behind the AppearanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt