Kapitel 62

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Jess:

Die nächsten Tage sahen ungefähr genauso aus. Jeden Tag trainierte ich meine Drei und unterrichtete Johannes, um dann noch ein wenig zu packen, denn am Donnerstag ging es schließlich nach Aachen zu meinem ersten internationalen Turnier und dazu noch meiner ersten Grand Prix Dressur. Es würde also ein nervenaufreibendes Wochenende werden an dem ich zum ersten Mal in einem riesigen Stadion reiten würde. Zwar nicht gegen die ganz großen Reiter, aber es war doch anspruchsvoll und auf jeden Fall aufregend. Vor allem, weil nicht nur Stephanie und Johannes mit kamen, sondern auch Sue, Kyle, Thomas und auch Carol, meine Trainerin. Dazu kam noch, dass ich einen schwerwiegenden Entschluss gefasst hat-te, der so einiges in meinem Leben verändern würde.

Donnerstag war es also so weit. Alles war organisiert und einige Stunden später ging mein großer Traum in Erfüllung. Ich stand mit Halim auf dem Turnierplatz in Aachen. Das war so überwältigend, dass ich die Tränen einfach nicht zurück halten konnte.

"Was ist denn jetzt?", fragte Thomas verwundert.

"Ihr größter Traum geht gerade in Erfüllung.", erklärte Jo-hannes und legte einen Arm um mich. Thomas nickte nur, bevor er mit den Anderen verschwand, um unsere Sachen zu verstau-en. Zurück blieben nur Johannes, Halim und ich.

In dem Moment kam eine Frau vorbei und blieb bei uns stehen.

"Warum weinst du denn?", fragte sie, doch das machte es nicht wirklich besser.

"Oh mein Gott!", schluchzte ich nur.

"Bin ich so schrecklich?", fragte sie verwundert.

"Nein. Das ist nur gerade alles leicht überwältigend.", schluchzte ich.

"Dein erstes Mal Grand Prix?"

"Ja."

"Dann reitest du die kleine Meisterschaft?"

"Ja."

"Wo kommst du her? Deinem Akzent nach aus Amerika, oder?"

"Ja. Wir kommen aus Keswick in Iowa.", antwortete Johannes.

"Dann kommt ihr von Carol aus dem Stall, oder?"

"Genau."

"Ist das ein Pferd von Carol?"

"Der kommt aus ihrer Zucht, gehört aber Jess."

"Achso. Okay. Wie heißt er?"

"A beautiful mind, aber bei uns heißt er nur Halim."

"Die langen Namen sind unpraktisch. Aber ein schöner Name!"

"Ja. Er passt auf jeden Fall zu ihm."

"Und wie alt ist der jetzt?"

"Da bin ich jetzt überfragt.", sagte Johannes ehrlich.

"17.", antwortete ich also wieder.

"Wow! Dafür sieht er aber noch echt fit aus!"

"Ist er auch."

"Und wie lange reitest du den schon?"

"Ich hab ihn eingeritten. Morgen werden es 14 Jahre."

"Dann hast du ihn als Fohlen gekauft?"

"Nein. Er gehört mir, seit er fünf ist."

"Achso. Und ihr seid zu zweit hier?"

"Eigentlich zu sechst. Die Anderen sind schon am Auspacken."

"Achso. Jetzt müsst ihr aber glaube ich erstmal euren Halim versorgen. Der wird langsam ungeduldig. Und dann lernt ihr auch mal mein Team mit Pferden kennen."

"Jetzt ernsthaft?", fragte ich ungläubig. Ich konnte das alles einfach nicht glauben. Das war wie in einem Traum!

"Ja klar. Jetzt hab ich euch ausgequetscht, dann dürft ihr das auch mit mir."

"Oh mein Gott!", sagte ich nur völlig überwältigt, während Johannes mich verwirrt anschaute.

"Du hast keine Ahnung, wer ich bin, oder?", lachte die Frau.

"Nein. Ehrlich gesagt nicht.", antwortete Johannes ehrlich.

"Das ist Charlotte Dujardin. Zweifache Siegerin in der Ein-zelwertung bei Olympia und haufenweise Siege bei Weltmeis-terschaften und Europameisterschaften. Und sie hält drei Weltrekorde in der Dressur. Das ist die beste Dressurreiter-in der Welt!", erklärte ich.

"Das würde ich jetzt nicht behaupten, aber mit den Erfolgen hat sie Recht. Weißt du das ernsthaft alles auswendig?", fragte die Frau erstaunt.

"Ja. Sie sind mein größtes Vorbild, seit ich Dressur reite. Es war immer mein Traum Sie einmal treffen zu können!"

"Du bist ja süß! Aber wir bleiben mal bitte beim du. Wir kennen uns ja jetzt."

Gemeinsam gingen wir nun zu den Stallungen, wo Johannes und ich Halim versorgten und in die Box stellten. Dort unter-hielten wir uns noch ein wenig mit Charlotte, bevor wir uns Valegro anschauen durften.

Dieser fraß entspannt sein Heu, doch als er uns entdeckte kam er zur Boxentür und beschnupperte uns interessiert.

"In Wirklichkeit ist der ja noch toller!", sagte ich begeis-tert und strich ihm über den Kopf.

"Ja. Er ist toll. Ich bin froh, dass ich ihn reiten darf. Er gibt mir so unheimlich viel!", stimmte Charlotte mir zu.

"Das sind die once in a lifetime Pferde."

"Ja. Ich kann mir echt nicht mehr vorstellen, wie es ohne ihn wäre."

"Da geht's mir mit meinem Halim nicht anders. Bei mir ist es nur so, dass wir nicht mehr ewig Zeit miteinander haben."

"Ja. Das ist dann nach so vielen Jahren echt hart. Wie lange willst du ihn noch auf Turnieren reiten?"

"Nach dieser Saison ist Schluss. Der ist zwar noch top fit, aber man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist."

"Ja. So mach ich das auch immer lieber. Auf welchem Turnier willst du ihn verabschieden? Ist da schon was geplant?"

"Ich glaube das hier wird sein letztes Turnier. Dann können wir mit einem Höhepunkt abschließen."

"Das ist eine gute Idee. Hast du da schon irgendwas geplant wegen der Verabschiedung?"

"Wie Verabschiedung? Ich nenne danach keine Turniere mehr und das war es."

"Ne, ne. Du bist jetzt im internationalen Sport unterwegs. Da gibt es eine vernünftige Verabschiedung!"

"Ich hasse sowas. Mir reicht es schon, wenn ich zweimal vor so vielen Leuten reiten muss. Da muss ich nicht nochmal komplett im Mittelpunkt stehen."

"Das sehen wir dann noch."

Lange unterhielten wir uns an diesem Tag noch und nach für nach kamen auch die Anderen dazu und wir stellten fest, dass Carol und Charlotte sich besser kannten als erwartet und schon seit einigen Jahren befreundet waren. Das wunderte mich allerdings nicht wirklich, denn Carol war schließlich selber viele Jahre im großen Sport geritten und kannte daher so einige große Reiter persönlich.

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