Kapitel 43

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Johannes:

Am Abend saßen wir noch zusammen und schauten einen Film, doch ich konnte Jess anmerken, dass sie nicht bei der Sache war. Zwar hatte ich sie dazu bringen können ihre Zettel weg zu legen, aber entspannen konnte sie sich nicht. Irgendwas schien sie zu beschäftigen und das fiel nicht nur mir auf.

"Wo bist du denn gerade?", fragte Sue nach einer Weile mit einem Lächeln. Doch Jess war nicht zum Lachen zu mute.

"Bei Kyle. Ich weiß nicht, ob es wirklich so gut ist, ihn hier alleine zu lassen.", antwortete sie besorgt.

"Kyle ist jahrelang alleine klar gekommen. Da schafft der das jetzt auch zwei Tage und in der Klinik kann ihm nichts großartig passieren.", versuchte ich sie zu beruhigen.

"Ich weiß ja, aber das war heute echt heftig. Der war völlig am Ende und hat nur noch geweint. Ich mach mir wirklich Sorgen.", sagte sie jedoch. Sie schien das alles doch mehr mitgenommen zu haben als sie zugeben wollte. Das wunderte mich allerdings nicht. Einen Besuch im Todestrakt eines Hochsicherheitsgefängnisses konnte man nicht so einfach verkraften.

"Er ist in der besten Klinik, die es hier im Umkreis gibt. Die passen schon auf ihn auf. Und du kannst ja mit ihm telefonieren.", stimmte Sue mir zu, doch ich kannte Jess und wusste, dass ihr das alles nicht helfen würde.

"Wann soll sie hingerichtet werden?", fragte ich daher.

"Morgen früh um acht.", antwortete Sue.

"Dann kannst du da doch nochmal zu ihm. Ich helf dir mit den Pferden und dann schaffen wir das, dass du eine Stunde bei ihm bleiben kannst.", schlug ich vor und konnte sehen, wie sich die Anspannung, von ihr löste.

"Danke!", sagte sie und gab mir einen Kuss, bevor sie das Aufgabenheft hervor kramte und eine der Seiten auf schlug.

"Wir hatten doch abgemacht, dass heute Abend mal Pause mit Lernen ist.", sagte ich und nahm ihr das Heft aus der Hand.

"Ich muss die Aufgabe noch auswendig lernen.", widersprach sie mir und wolle schon wieder nach dem Heft greifen, doch ich hielt sie zurück.

"Du bist völlig fertig und brauchst mal eine Pause.", sagte ich und hob sie auf meinen Schoß. Müde kuschelte sie sich an mich und ich schloss sie fest in meine Arme. Schon konnte ich sehen, wie ihr immer wieder die Augen zu fielen, bis sie schließlich eng an mich gekuschelt ein schlief. Ich schaute nur mit einem Lächeln auf sie runter.

"Wie lange hat sie jetzt nicht geschlafen?", fragte Sue.

"Keine Ahnung. Mindestens drei Tage.", antwortete ich.

"Und selbst dann muss man sie noch zur Ruhe zwingen."

"Ja. Bei ihr stand Schlaf schon immer an letzter Stelle."

"Verstehst du das?"

"Das hängt mit ihrer Vergangenheit zusammen. Sie hat mal ge-sagt, dass es da zu gefährlich war lang zu schlafen."

"Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie nach allem, was sie erlebt hat noch jeden Tag so positiv sein kann."

"Sie hat auch ihre Tage an denen es ihr nicht gut geht. Sie lässt es sich nur nicht anmerken, weil sie nicht gern über all das spricht. Aber ich bin mir sicher, dass ihr das nicht so leicht fällt, wie sie immer behauptet und dass sie gerade ihren Bruder unheimlich vermisst. Sie hat immernoch ein Bild von ihm im Schlafzimmer stehen."

"Warum ausgerechnet ihren Bruder? Der war es doch, der ihr das Heroin gegeben hat."

"Ja, aber er hat immer auf sie aufgepasst und sich um sie gekümmert. Ich denke wir können das einfach nicht verstehen. Wir waren damals nicht dabei."

"Ja, aber ich würde das trotzdem gerne irgendwie verstehen."

"Vielleicht erklärt sie es uns irgendwann, wenn sie so weit ist. Wir sollten sie auf jeden Fall zu nichts drängen."

"Ich glaub ich hab noch nie eine bessere Entscheidung getroffen als euch Beiden zu verkuppeln. Ihr gehört einfach zusammen. Für immer."

"Ja. Ich denke schon länger über ein für immer nach."

"Tu es einfach. Was besseres kann euch nicht passieren."

"Meinst du sie sieht das auch so?"

"Sie hat sofort die Pferde stehen lassen, als du angerufen hast. Einen größeren Liebesbeweis kann sie dir nicht geben. Du bist der erste Mensch, der es geschafft hat ihr genauso wichtig zu werden, wie ihr Halim. Sie liebt dich genauso sehr, wie du sie auch. Glaub mir!"

"Hilfst du mir?"

"Natürlich. Ich hab Montag frei. Dann lassen wir Jess lernen und fahren schnell Ringe kaufen."

"Super! Danke!"

"Kein Problem. Ihr Beiden gehört einfach zusammen. Und wenn sie nein sagt, mach ich sie fertig! Das versprech ich dir!"

"Und ich dachte sie wäre deine beste Freundin."

"Jess muss man manchmal zu ihrem Glück zwingen."

"Oh ja. Das muss man.", sagte ich mit einem Lächeln. Das hatte ich in den letzten Jahren gelernt. Bei ihr brauchte man Durchsetzungsvermögen und vor allen Dingen ein dickes Fell. Sie war eben nicht einfach, aber das wusste ich von Anfang an. Ich hatte mich trotzdem auf sie eingelassen und ich bereute es kein Bisschen.

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