Kapitel 11

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Johannes:

Und da stand ich nun. In dem Wissen, dass meine Eltern tot waren und mit Jess, die ihre Arme um mich geschlungen hatte und mir immer wieder tröstend über den Rücken strich. Wahrscheinlich erwartete sie, dass ich am Boden zerstört war, aber das war ich nicht. Ich wusste ehrlich gesagt selber nicht, was ich fühlen sollte. Einerseits waren sie meine Eltern, aber andererseits hatten sie mich nie wie einen Sohn behandelt und ich hatte nie ein wirklich enges Verhältnis zu ihnen. Wie auch? Sie waren ja nie da. Außerdem machte mich ihre Umarmung viel zu verrückt, um noch klar denken zu können. Wie eine einzige Geste von einem bestimmten Menschen einen so verrückt machen konnte! Am liebsten würde ich sie jetzt einfach küssen, aber das wäre mehr als unangebracht. Doch da war auch ein ganz anderes Bedürfnis, dass sich in mir immer weiter nach oben drängte und ich spürte, wie ich immer mehr zu zittern begann.

"Tu es nicht! Du musst jetzt stark bleiben!", flüsterte Jess als könnte sie Gedanken lesen.

"Was?", fragte ich leicht verwirrt.

"Weder zur Spritze greifen noch Selbstmordversuche starten."

"Ich kann nicht mehr."

"Doch! Du schaffst das! Du musst jetzt nur durchhalten! Deine Eltern hätten es garantiert so gewollt."

"Meine Eltern können mich mal!", brach es aus mir heraus.

"Was?", fragte sie völlig verwirrt.

"Meine Eltern haben sich nie für mich interessiert. Seit ich denken kann haben sie mir irgend eine Nanny vor die Nase gesetzt und sind zu ihren Jobs gefahren. Mir haben sie nur alles zu geschickt, was ich wollte und mich runter gemacht, wenn ich nicht genug Erfolg gebracht habe. Ich war immer nur der dumme Drogenjunkie und eine Schande für die Familie."

"Das bist du nicht und ich verstehe nicht, wie Eltern so etwas sagen können."

"Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht."

"Ich hab genug erlebt, um eine gute Menschenkenntnis zu haben. Du bist nicht so grausam, wie du gerade denkst. Deine Eltern müssen wirklich dumm gewesen sein, wenn sie nicht gesehen haben was für ein großartiger Mensch du bist. Also bitte, denke niemals so! Deine Eltern werden schon sehen, was sie in den letzten Jahren verpasst haben.", sagte sie und damit schaffte sie es mir ein leichtes Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Auch wenn es schon nach wenigen Sekunden wieder verflog, hatte sie dennoch erreicht, dass es mir wenigstens etwas besser ging. Gerade auch mit der Tatsache, dass sie mich tatsächlich zu mögen schien. Für sie war ich nicht nur der dumme Drogenjunkie und das tat verdammt gut!

"So. Komm. Wir müssen los.", riss sie mich allerdings kurz darauf aus meinen Gedanken und ließ mich los. So stiegen wir also wieder in den riesigen Transporter und es ging wieder nach Hause. Nach zwei Tagen allein mit ihr, musste ich mich nun bald wieder von ihr verabschieden und würde sie wieder nur wenige Stunden am Tag sehen können. Und sie würde wieder in den alltäglichen Stress kommen und ihre Launen an mir auslassen. Aber trotzdem war ich glücklich. Mir ging es komplett beschissen und ich hatte gerade erfahren, dass meine Eltern tot waren, aber ich wusste, dass sie mich mochte. Sie mit den unglaublich grünen Augen.

Mit diesem Gedanken schlief ich ein und verschlief die gesamte Fahrt, bis wir schließlich vor dem Stall an hielten und ich verschlafen die Augen öffnete.

"Na? Ausgeschlafen?", fragte Jess mit einem Lächeln. Ich nickte nur müde.

"Gut. Dann los. Einmal alle Pferde und das ganze Zeug abladen. Du nimmst die Jungs und ich Melody.", sagte sie motiviert und stieg aus. Ich tat ihr das nach und wenig später war auch schon wieder alles da, wo es hin gehört und Jess schloss alles wieder ab. Vor dem Stall blieb sie allerdings stehen und schien schwer nach zu denken.

Angel behind the AppearanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt