Kapitel 46

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Johannes:

Wieder in unserem Zimmer angekommen, telefonierte Jess noch mit Kyle, während ich mich ins Bett legte. Wirklich schlafen konnte ich allerdings nicht. Zu viel schwirrte in meinem Kopf und ich hätte es am liebsten gehabt, wenn Jess wieder zu mir gekommen wäre, doch ich wusste, dass sie lernen musste. Und das waren die Momente in denen sich das Gedanken Karussell drehte und das böse Männchen in meinem Kopf mir die schlimmsten Dinge sagte.

Als ich es einfach nicht mehr aus hielt, stand ich auf und setzte mich zu Jess an den Schreibtisch, wo sie mal wieder über ihren ganzen Zetteln saß.

"Was ist los?", fragte sie mit sanfter Stimme.

"Es geht wieder los. Ich hab zu viel Zeit.", erklärte ich.

"Es tut mir leid, aber ich kann nicht jede Nacht neben dir sitzen und nichts tun. Ich muss lernen. Ich hab nichts dagegen, wenn du dich zu mir setzt, aber ich muss was tun."

"Okay."

So blieb ich bei ihr sitzen und schaute ihr zu, bis ich schließlich an ihre Schulter gelehnt ein schlief.

Der nächste Tag war dann genauso stressig. Hier kam allerdings noch dazu, dass Jess tierisch nervös war und das wurde mit jeder Stunde, die die Meisterschaft näher rückte, schlimmer.

Erstmal kamen allerdings die kleinen Klassen und hier räumte sie auch an diesem Tag ordentlich ab. Am Ende hatte sie noch drei weitere Schleifen, was bei vier gerittenen Prüfung eine verdammt gute Bilanz war.

Und dann war es auch schon so weit. Jess würde ihre aller erste S**** Dressur reiten und die sollte direkt eine Meisterschaft sein. Und gleichzeitig auch noch die Qualifikation für Aachen und damit ihren großen Traum. Sie war tierisch nervös und daher begleitete ich sie als moralische und see-lische Unterstützung zum Einlass. Mittlerweile konnte sie kaum noch still sitzen und die vielen Zuschauer, die sie nun sah, machten das nicht unbedingt einfacher. Sie würde zum ersten Mal vor vielen hundert Zuschauern reiten.

"Entspann dich. Du hast so hart dafür trainiert. Das kann nur gut gehen! Außerdem hast du Halim an deiner Seite. Egal was passiert, er lässt dich auf keinen Fall im Stich. Du hast die Aufgabe stundenlang trainiert. Notfalls läuft er das auch alleine. Ihr beiden könnt das!", redete ich beruhigend auf sie ein, doch ich musste zugeben, dass ich auch nicht wenig nervös war. Diese Prüfung würde alles entscheiden und ich gönnte ihr diesen Sieg so sehr. Sie hatte dafür so lange und so ehrgeizig trainiert. Sie hatte es einfach verdient und ich hoffte inständig, dass alles klappen würde.

Und dann war es auch schon so weit. Sie war an der Reihe.

"Du schaffst das! Ich drück dir ganz fest die Daumen!", sagte ich noch, bevor sie in die Arena ritt.

Dort ritt sie erst einmal ein paar Runden um das Viereck herum, bis sie einritt. Perfekt hielt sie vor den Richtern und grüßte.

"Und jetzt noch einmal tief durch atmen und dann los! Du kannst das!", flüsterte ich leise vor mich hin. Oh man! Ich musste nicht mal reiten und war trotzdem tierisch nervös!

Zitternd stand ich am Rand und drückte die Daumen so gut ich konnte. Jede Bewegung der Beiden verfolgte ich genau, bis sie schließlich wieder vor den Richtern hielt und tosender Applaus von den Zuschauern kam. Das war verdammt gut! Zumindest so, wie ich das beurteilen konnte. Jess schien allerdings auch zufrieden zu sein, denn sie fiel ihrem Hengst mit strahlenden Augen um den Hals. Und dann sagte der Richter das Ergebnis durch. Sie war vorerst auf dem zweiten Platz. Somit durfte sie definitiv die Kür am Abend reiten.

Viel Zeit zum Feiern blieb uns allerdings nicht, denn nun ging es für Jess noch in zwei Prüfungen mit Lucifer in denen sie noch zwei Schleifen abholte. Also ein weiterer, erfolgreicher Tag. Nun hieß es allerdings warten, bis zu der Kür am Abend. Das Problem daran war, dass die Nervosität von Jess mittlerweile den absoluten Höhepunkt erreicht hatte und wir alle darunter leiden mussten. Ich konnte es ihr zwar nicht verübeln, aber trotzdem hätte ich sie erwürgen können, als sie gefühlt zum hundertsten Mal die Zöpfe von Halim wieder neu ein flocht, weil sie doch noch ein Haar fand, das heraus schaute. Wenn Jess nervös war, war sie einfach unerträglich. Die ganze Zeit sprang sie wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her, bis es dann endlich los ging.

Gemeinsam sattelten wir Halim und sie ritt ihn warm, bevor wir auch schon wieder am Einlass standen. Dieses Mal aber vor mindestens dreimal so vielen Zuschauern. Die Flutlichtkür war jedes Jahr das absolute Highlight und das merkte man deutlich.

Jess erlitt daher erstmal einen halben Nervenzusammenbruch und auch wenn ich mein bestes gab, um sie irgendwie zu beruhigen, hatte ich da keine große Chance. Ich konnte sie allerdings verstehen. Wenn ich wüsste, dass ich vor so vielen Menschen reiten müsste, wäre ich auch nervös. Mir reichte ja schon der Gedanke daran, dass Jess da gleich rein reiten würde. Trotzdem zwang ich mich zur Ruhe. Ich musste sie jetzt nicht noch mehr beunruhigen.

Und dann war sie auch schon an der Reihe, doch ich konnte sehen, wie sie zögerte. Sanft legte ich meine Hand auf ihren Oberschenkel und sagte ernst: "Du kannst das! So oft, wie du diese Kür geritten bist, kann das nur perfekt werden! Du reitest jetzt da rein und machst alle fertig!"

Sie nickte nur und dann ritt sie ein. Gott, ich war so nervös! Dabei musste ich nichtmal reiten.

Nun kamen auch Sue und Zoe zu mir und Sue fragte mit einem Lächeln: "Ist da etwa jemand nervös?"

"Überhaupt nicht! Ich bin die Ruhe selbst, während meine Freundin die Kür reitet, die ihr ihren größten Traum verwirklichen könnte.", antwortete ich gereizt. Konnte sie das nicht selber sehen?

Sie lächelte allerdings nur und legte einen Arm um mich, bevor sie sagte: "Sie macht das schon. Da hab ich gar keine Bedenken. Jess ist viel zu ehrgeizig, um jetzt einen Fehler zu machen."

Und dann herrschte absolute Stille. Niemand wagte es noch etwas zu sagen, während Jess eine Runde nach der nächsten um das Viereck ritt. Dann hob sie allerdings ihre Hand und die Musik ertönte. Perfekt ritt sie ein und hielt auf den Punkt genau vor den Richtern. Ein letztes Mal atmete sie tief durch und dann schien sie mit Halim zu einer Einheit zu verschmelzen.

Absolut perfekt schwebten sie durch das Viereck und es glich mehr einem verflochtenen Tanz als einem Ritt. Es war einfach nur perfekt und am Ende fiel Jess dem Hengst über glücklich um den Hals. Das Publikum um sie herum tobte und wir taten es auch.

Jess ritt nun zu uns und stieg vom Pferd, um mir direkt um den Hals zu fallen.

"Das war unglaublich! Ich hab noch nie so eine tolle Dressur gesehen! Nichtmal von dir!", sagte ich begeistert.

"Dieses Pferd ist der Hammer!", brachte sie nur zwischen lauter Freudentränen heraus.

"Ja. Und du auch! 92,38%! Das schaffen außer euch nur Charlotte Dujardin und Valegro!", fügte Zoe hinzu.

"Die Wertung ist mir gerade scheiß egal. Fest steht, dass der Kleine absolut perfekt gelaufen ist! So toll ist dieses Pferd noch nie gelaufen! Der stand so unglaublich gut an den Hilfen und hat echt alles gegeben! Ich bin so stolz auf dich mein Kleiner!", schluchzte sie und fiel nun wieder ihrem Pferd um den Hals, um ihn dann sämtliche Leckerlies zu zu stecken, die sie noch in der Tasche hatte.

Kurz darauf war dann auch schon die Siegerehrung und Jess hatte doch tatsächlich ihre erste S**** Meisterschaft gewonnen! Der absolute Hammer! Zum ersten Mal ritt sie also mit Schärpe, Blumenstrauß und goldener Schleife im vollem Galopp an den hunderten Zuschauern vorbei, die begeistert applaudierten. Mit einem breiten Grinsen, gab sie Halim schließlich die Zügel frei und raste im Jagdgalopp um das Viereck.

Vor lauter Freude setzte Halim auch noch einige Buckler dazwischen, doch Jess saß das locker aus und bekam das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. So glücklich hatte ich Jess noch nie gesehen. Da war ich mir sicher und das ließ mich mindestens genauso glücklich sein. Ich war so unglaublich stolz auf sie! Das konnte ich gar nicht in Worte fassen.

Das war einfach ein unglaublicher Tag! Doch es sollte noch unvergesslicher werden...

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