Kapitel 23

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Johannes:

So vergingen sechs Jahre. Jess hatte mit ihrem grandiosen Abschluss ihre Stelle in der Entzugsklinik problemlos bekommen und arbeitete jeden Tag voll dort. Ich hingegen arbeitete noch immer als Stallbursche auf dem Gestüt und war mehr als nur glücklich damit. Mittlerweile waren wir alle ein eingespieltes Team und die ganzen Abläufe waren längst zur Normalität geworden. Auch wenn jeder Tag ein bisschen anders war, denn die jungen Pferde waren unberechenbar.

Vor den Reitstunden, die Jess mir schon seit Jahren geben wollte, hatte ich mich allerdings gedrückt. Bei den ganzen Überstunden, die sie in der Entzugsklinik machte, hatte sie dafür einfach keine Zeit und dazu standen auch mal wieder Prüfungen vor der Tür. Die letzte Hürde, bevor sie Ärztin war. Aus diesem Grund lernte sie schon seit Wochen mehr als nur ehrgeizig und hing in ihrer geringen Freizeit vor ihren Büchern. Ich war allerdings trotzdem mehr als nur glücklich. Sechs Jahre waren wir schon zusammen und ich liebte sie jeden Tag mehr. Und auch wenn ich wusste, dass es ein Pferd gab über das ich niemals drüber kommen würde, war ich doch glücklich, dass sie mich mittlerweile mit ihrem Halim auf eine Ebene stellte. Mehr konnte ich nicht erreichen. Doch momentan vermisste ich sie, denn neben der halben Stunde in der wir das letzte Pferd gemeinsam versorgten, hatten wir fast keine gemeinsame Zeit. Außer dem Schlaf, den wir ab und an nebeneinander hatten, wobei sie den auf ein absolutes Minimum reduziert hatte. Wenn sie schlief dann ein oder zwei Stunden zwischendurch. Dafür hatte sich ihr Kaffee Konsum massiv erhöht, was mich allerdings nicht wunderte. Ich bezweifelte, dass das so gesund war, aber sie war die Ärztin und ließ sich sowieso von niemanden was vorschreiben. So war sie eben und solange sie glücklich war, war mir alles andere egal. Trotzdem war ich einsam. Gerade an den Wochenenden an denen kein Turnier war und wir nur morgens die Pferde machten, bevor Jess zum Lernen verschwand. Das waren die Tage an denen ich nicht wusste, was ich tun sollte.

An diesem Tag war es allerdings ganz anders, denn Jess hatte Wochenend Dienst und musste arbeiten. Ich war also allein und hatte nur die Aufgabe die Pferde zu longieren, da Jess erst am Abend wieder kommen würde und keine Zeit hatte zu reiten. So machte ich in aller Ruhe alle Pferde fertig, bevor ich mit einem Blick in den Kühlschrank beschloss einkaufen zu fahren. Ich fuhr also in die Stadt und wollte gerade in den Laden gehen, als ich plötzlich am Handgelenk gepackt wurde. Sofort fuhr ich herum und erkannte einen alten Bekannten.

"Du lebst ja auch noch! Lang nicht gesehen.", bemerkte er.

"Ja. Ziemlich genau sechs Jahre.", antwortete ich.

"Wo hast du dich rum getrieben?"

"Ich arbeite jetzt als Stallbursche bei einem großen Gestüt und wohne wieder in der Villa von meinen Eltern."

"Echt? Habt ihr es doch geschafft euch zu vertragen?"

"Nein. Sie sind tot. Autounfall. Ich hab alles geerbt."

"Und da gehst du noch arbeiten? Hast du nicht genug geerbt?"

"Eigentlich schon, aber ich mach meinen Job nicht wegen dem Geld. Dann wäre ich als Stallbursche definitiv falsch."

"Warum machst du es dann?"

"Weil es Spaß macht. Pferde stellen keine Fragen und verurteilen niemanden. Und dabei sehen sie wunderschön aus."

"Besonders mit einer hübschen Reiterin drauf."

"Vor allen Dingen, wenn man behaupten kann, dass man mit der hübschesten von ihnen zusammen ist."

"Ach ja. Auch noch eine Freundin?"

"Ja. Wir sind mittlerweile auch fast sechs Jahre zusammen."

"Und sie arbeitet auch auf dem Gestüt?"

"Ja, aber nur nebenbei. Eigentlich ist sie Ärztin."

"Dann musst du nur noch Anwalt werden und dann sind deine Eltern zufrieden."

"Nein. Ich werde nie Anwalt und sie hätten sie gehasst."

"Wieso?"

"Sie ist zu ehrlich. Sie hätte denen eiskalt vor den Kopf geknallt wie scheiße sie sie findet."

"Und ihr wohnt jetzt zu zweit in der fetten Villa?"

"Ja. Zusammen mit dem Hund, dem Pfau und ihrem Pferd."

"Das nenn ich mal eine bunt gemischte WG."

"Ja. Und was hast du so getrieben?"

"Das übliche halt. Drogen vertickt und hier und da mal mit ein paar Mädels Spaß gehabt. Nichts besonderes."

"Meinst du nicht, dass du mal was ändern solltest? Du siehst echt scheiße aus.", sagte ich mit einem Blick auf die offenen Wunden an seinen Armen und den schwarzen Rändern unter seinen Augen. Er war in den letzten Jahren extrem gealtert und sah einfach nur schrecklich aus. Genau so, wie man sich einen Heroin Junkie vorstellt.

"Ich komm schon klar. Und wenn ich an dem Zeug verrecken soll, dann ist es so. Was ist mit dir? Kommst du noch mit?"

Sollte ich das? War es eine gute Idee jetzt mit Kyle zu dem Ort zu gehen an dem mein Absturz begann? Ich musste ja nichts nehmen. Ich würde nur mit einem alten Freund mit gehen und ein bisschen Zeit mit ihm verbringen. Das war doch völlig in Ordnung. Und einkaufen konnte ich danach immernoch. So nickte ich also und ging mit ihm zu dem verlassenen Bahnhof.

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