Kapitel 7

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Johannes:

Das war's dann wohl mit meinem Job. Und alles nur, weil ich vergessen hatte diesen verdammten Riegel zu zu machen. Meine Eltern hatten Recht. Ich war ein Nichtsnutz. Nichtmal ein Pferd in die Box stellen konnte ich und Jess hasste mich jetzt endgültig. Damit hatte ich mir auch die letzte Chance darauf sie kennen zu lernen verbaut. Und ich konnte sie sogar verstehen. An ihrer Stelle würde ich mir auch nie wieder verzeihen. Ich hatte gewaltig Scheiße gebaut.

Wie sollte es jetzt nur weiter gehen? Ich hatte keinen Job, meine Eltern wollten mich nie wieder sehen und die Frau in die ich mich verliebt hatte, hasste mich. Wie konnte ein Leben innerhalb von wenigen Tagen so sehr den Bach runter gehen? Hatte ich es vielleicht einfach nicht verdient glücklich zu sein? War ich einfach dazu verdammt irgendwann neben Kyle auf der Straße zu landen? So, wie meine Eltern es sagten? Fest stand, dass ich erst einmal gehen sollte, bevor Jess mir doch noch an die Gurgel ging. Doch wohin? Ich brauchte jetzt erst einmal kurz einen Moment für mich.

Nach kurzem Überlegen fiel mir der Heuboden ein. So ging ich also zu der Treppe, wo ich mich ein letztes Mal zu Jess rum drehte. Was ich dort sah, brach mir endgültig das Herz. Sie stand dort, die Arme um den Hals ihres Pferdes geschlungen und weinte bitterlich. Und das war allein meine Schuld. Doch was sollte ich tun? Sollte ich zu ihr gehen und sie trösten?

Nein. Sie wollte mich garantiert nicht in ihrer Nähe haben. So ging ich schweren Herzens die Treppe hoch und setzte mich auf einen Strohballen. Sehnsüchtig schaute ich aus dem kleinen Fenster auf die Weiden wo die Pferde friedlich grasten. Das würde wohl das letzte Mal sein, dass ich diese Aussicht genießen konnte. Wie sehr ich das doch vermissen würde. Ich war zwar erst seit drei Tagen hier, aber dennoch hatte ich die Pferde und auch die Menschen hier in mein Herz geschlossen. Vor allen Dingen aber auch die Arbeit. Einen besseren Job konnte ich mir nicht vorstellen. Nicht jetzt und auch sonst niemals. Doch das musste ich wohl. Diese Tat war nicht zu verzeihen. Nicht jetzt und auch sonst niemals.

Schweren Herzens senkte ich meinen Blick und holte das lebensrettende, weiße Pulver aus meiner Tasche. Das brauchte ich jetzt einfach. Routiniert machte ich mir meine Dosis fertig und setzte die Spritze vorsichtig an meinem Arm an, bevor ich mir den Stoff spritzte. Schon spürte ich die wohlige Wärme und plötzlich waren mir all die Probleme völlig egal. Ich war einfach nur glücklich.

Bis jemand hinter mir plötzlich rief: "Was tust du da?"

Erschrocken fuhr ich herum und erkannte Jess, die mich völlig entgeistert und geschockt anschaute, bevor sie mir die Tüte mit dem restlichen Pulver aus der Hand nahm und es in dem Waschbecken neben mir entleerte.

"Ist dir eigentlich klar, was das gekostet hat?", schimpfte ich aufgebracht.

"Heroin ist scheiße. Das treibt dich nur in den Ruin.", sagte sie unbeeindruckt.

"Als ob du dich da auskennst.", schimpfte ich weiter. Die hatte doch keine Ahnung! Sie war noch nie in meiner Lage und nur, weil sie Medizin studierte, meinte sie mir sagen zu müssen, was ich tun sollte. Auch wenn ich sagen musste, dass sie auch trotz rot geweinten Augen und verwuschelten Haaren verdammt gut aussah. Gerade die dunkelgrüne Bluse stand ihr echt gut. Aber ich musste anfangen sie zu vergessen. Jetzt wollte sie ganz sicher nichts mehr mit mir zu tun haben.

"Das tue ich.", sagte sie jedoch und schob den Ärmel ihrer Bluse hoch. Und als ich ihren Arm sah, klappte mir die Kinnlade runter. Deutlich waren unzählige Narben zu erkennen und ich wusste genau wovon diese Narben kamen. So sahen die Arme von all den Junkies an dem alten Bahnhof aus und auch ich hatte diese Narben. Die Narben von den Einstichen.

"Hast du etwa...", stotterte ich, doch ich schaffte es nicht den Satz zu beenden. Ich konnte das einfach nicht glauben. Nicht bei ihr. Das konnte nicht sein! Oder?

"Ich war über 10 Jahre süchtig, bis ich fast daran kaputt gegangen wäre. Dieses Zeug zerstört dich und dein gesamtes Leben! Mach jetzt einen Entzug, bevor es zu spät ist! Mit Hilfe kannst du es da raus schaffen!", sagte sie jedoch und ich fiel aus allen Wolken. Dennoch wusste ich, dass sie Unrecht hatte. Ich würde es nicht da raus schaffen.

"Mir kann keiner helfen. Ich hab alle Kliniken durch.", widersprach ich ihr, doch sie sagte: "Mit Hilfe meine ich keine Klinik. Du brauchst etwas oder jemanden, der dich anspornt. Für das du diesen Entzug durchziehen musst."

"Und wen? Meine Eltern wollen nichts mehr von mir wissen."

"Selbstmitleid hilft nicht. Du bist noch verdammt gut dran! Immerhin hast du noch Eltern und einen vernünftigen Job."

"Ach und du nicht? Du bist diejenige, die Medizin studiert!"

"Ja. Jetzt. Ich hatte damals gar nichts. Meine Eltern sind gestorben, als ich 6 war. Mein Vater hatte eine Überdosis und meine Mutter hat sich daraufhin vor meinen Augen die Kehle aufgeschnitten. Danach hat mein großer Bruder auf mich aufgepasst. Er war Dealer und hat mir gezeigt, wie man sich Heroin spritzt. Als ich 15 war, wurde er verhaftet. Seit dem sorge ich für mich selbst. Zwei Jahre danach wäre ich fast an einer Überdosis gestorben, aber man hat mich früh genug gefunden. Daraufhin bin ich von einer zur nächsten Entzugsklinik gewandert, bis ich Halim kennengelernt hab. Für ihn habe ich den Entzug durch gezogen und mein Abi nachgeholt. Mit einem Durchschnitt von 1,1 habe ich ein Stipendium bekommen und konnte Medizin studieren. Nebenbei hab ich jede frei Sekunde hier im Stall gearbeitet, um mir irgendwie eine Wohnung und ein Auto finanzieren zu können. Jetzt bin ich seit acht Jahren clean, reite Dressur auf S Niveau, hab ein Pferd, eine Wohnung, ein Auto und bald hoffentlich ein abgeschlossenes Studium."

Geschockt schaute ich sie an. Was sollte ich dazu jetzt sagen? Ich hatte mein Ziel erreicht. Sie hatte mir einen Blick hinter ihre Fassade gewährt und dort verbarg sich weitaus schlimmeres als ich erwartet hatte. Wie konnte diese Frau so glücklich sein, obwohl sie alles verloren hatte? Da fühlte ich mich mit meinen Problemen richtig schlecht.

"Und was ist an deinem Leben so schrecklich, dass du meinst Heroin nehmen zu müssen?", fragte sie.

"Wenn ich das mit dir vergleiche geht's mir doch ganz gut.", antwortete ich und hoffte, dass sie nicht weiter fragte.

"Wo liegt dein Problem? Du wirst das Zeug wohl kaum aus Langeweile nehmen.", beharrte sie jedoch auf ihrer Frage.

"Mir wurden immer jegliche Drogen verboten und ich wollte es ausprobieren. Das hab ich getan und nicht mehr aufgehört."

"Und was hast du für Gründe weiter zu machen?", fragte sie und das traf mich unvorbereitet. Warum nahm ich dieses Zeug?

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