48

543 34 8
                                    


•Marks Sicht•

Weihnachten war schneller da, als ich dachte. Also war ich auf dem Weg nach Winnweiler, wo wir dieses Jahr bei meiner Mutter zu Hause feiern sollten. Es war zwar irgendwie schade, dass wir dieses Mal nicht nach Polen fahren würden, da meine Tante dort sich nach einer Krankheit noch schonen sollte, weshalb Mama die Feier übernehmen wollte, aber es war auch praktisch. So war es einfacher am ersten Weihnachtsfeiertag nach Hannover zu fahren, zu Lena. Mama wusste nur, dass ich einer Freundin bei einem Geschenk helfen wollte. Eigentlich wollte ich ihr heute noch die Wahrheit sagen und ihr von Lena erzählen. Irgendwie hatte ich aber ein bisschen Angst vor ihrer Reaktion.

Es war der 23.12.19 und ich fuhr grade bei meiner Mutter vor und parkte. Heute Morgen war ich in Berlin losgefahren, Lena ebenfalls nach Hannover. Sie hatte mir schon geschrieben, als sie angekommen war und das tat ich jetzt auch. Plötzlich klopfte jemand an mein Autofenster und ich fuhr erschrocken zusammen. „Natalie", seufzte ich erleichtert und stieg aus, um sie zu begrüßen. „Erschreck deinen armen Bruder doch nicht so", lachte ich und umarmte sie zur Begrüßung. „Wenn er vom Chat mit seiner Freundin abgelenkt ist", meinte sie nur und grinste mich an, als wir uns lösten. „Ich freu mich echt für euch", sagte sie dann etwas ernster. „Danke", lächelte ich verlegen. „Mama weiß noch nichts... nur dass ich übermorgen einer Freundin helfe und am nächsten Tag wiederkomme", erklärte ich meiner Schwester. „Sagst du es ihr, bevor ihr beide hier aufschlagt?", wollte sie wissen während ich meine Tasche aus dem Auto nahm. „Ja, bevor hier die ganze Familie ankommt, wollte ich mit ihr sprechen", gab ich zurück. „Wo ist dein Mann eigentlich?", fragte ich dann. „Robin kommt morgen nach, er musste heute noch arbeiten", erklärte sie. Irgendwie wirkte sie anders als sonst. Glücklich, aber anders.

„Man, ich wollt's erst morgen sagen aber ich muss es loswerden", brach es plötzlich aus ihr heraus und sie grinste wieder breit. „Was denn?", fragte ich sofort neugierig. Sie hielt mir ihre Hand vor die Nase und ich erkannte einen zarten, goldenen Ring. „Er hat gefragt", quietschte sie fröhlich. Sofort umarmte ich sie. Sie freute sich so sehr und ich auch für sie. Robin war ein total netter Mann, ich mochte ihn und es freute mich unfassbar, dass meine Schwester so gut aufgehoben war bei ihm. „Herzlichen Glückwunsch", sagte ich ehrlich zu ihr. „Nichts Mama sagen! Das sag ich erst Heilig Abend", mahnte sie. Ich nickte sofort, schließlich hatte ich auch noch was, was ich Mama sagen müsste und niemand mir vorweg nehmen sollte.

Dann gingen wir endlich zur Tür und klingelten. Mama begrüßte uns überschwänglich und wollte uns beide gar nicht mehr loslassen. Ich konnte sie ja verstehen. Wir waren wirklich zu selten hier und es tat uns beiden leid. Natalie war noch öfter hier als ich aber auch für sie war es schwierig aus Zürich herzukommen. Nach einer sehr langen Begrüßung verzogen Natalie und ich uns kurz nach oben. Das Haus hatte ein Gästezimmer und einen Dachboden, auf dem Platz für Matratzen war. Wir mussten beide auf den Dachboden und auch Robin und Lena würden mir dort rauf müssen. Das Gästezimmer war quasi reserviert für meine beiden Tanten, die aus Polen kommen würden. Papa kam nicht an Heiligabend. Er wohnte zwar nicht weit weg aber wir hatten schon vor einigen Jahren festgestellt, dass es besser war, wenn Natalie und ich am zweiten Weihnachtsfeiertag zu ihm fuhren und er und Mama sich nicht an Heilig Abend die ganze Zeit sahen. Zwar kamen sie mittlerweile gut miteinander aus aber man musste es ja nicht übertreiben. Nachdem er damals gegangen war, hatten wir es zwar ein bisschen schwerer aber die Sache war verarbeitet und aufgearbeitet. Er hatte eine neue Frau mit der ich mich gut verstand und es war alles soweit wieder okay. Nur Weihnachten hatten wir lieber so geregelt. Dafür kamen noch ein paar andere Verwandte, die nah genug dran wohnten, um am Abend wieder heim zu fahren.

„Wenn Lena kommt und wir hier zu viert auf dem Dachboden schlafen, müsst ihr euch zusammenreißen", witzelte Natalie, während wir unsere Betten bezogen. „Was erwartest du, was wir hier machen? Neben meiner Schwester und ihrem Verlobten?", fragte ich sie schmunzelnd. „Was weiß ich? Ich kann mir schon vorstellen, dass ihr kaum die Finger voneinander lassen könnt. Du grinst ja schon, wenn du nur an sie denkst, wie ein verliebter Teenager", meinte sie. Ich merkte, dass ich rot wurde aber sie hatte ja recht. Sobald ich an sie dachte, bekam ich mein Grinsen nicht mehr aus dem Gedicht. „Kinder, kommt ihr wieder runter?!", rief meine Mutter. Wir liefen sofort runter und halfen ihr bei den weiteren Vorbereitungen. Sie wollte sich zwar nicht so richtig helfen lassen aber wir taten es einfach. Betten beziehen, Tisch schon mal für den morgigen Kuchen decken, damit dann mehr Zeit war, Geschirr fürs Abendessen am Heilig Abend aus dem Keller holen und so weiter. Schließlich mussten wir noch den Baum aufbauen. Gekauft hatte Mama ihn bereits vor ein paar Tagen aber noch stand er draußen im Netz eingewickelt. Mühsam versuchte ich den piksigen Baum in den dafür vorgesehenen Ständer zu bekommen. „Ein bisschen nach rechts", dirigierte Natalie. „Nicht so weit!", sagte sie dann. „Marek, verdreh' nicht die Augen. Deine Schwester hat schon recht", meinte meine Mutter, was uns alle etwas lachen ließ. Sie kannte mich einfach in uns auswendig. Als der verdammte Baum endlich stand, trug ich ihn ins Wohnzimmer auf den dafür vorgesehenen Teppich. „Stöhn nicht so, alter Mann", lachte Natalie, als ich anscheinend ein gequältes Geräusch von mir gegeben hatte. „Haha", maulte ich, lachte aber dann.

Den ganzen Tag wuselten wir durchs Haus und bereiteten alles mögliche vor. Erst am Abend saßen Natalie und ich allein auf dem Dachboden und wir beide griffen nach unseren Handys. Ich schrieb Lena: »Hey, noch wach?« „Wem du wohl schreibst", hörte ich Natalie lachen. Ich grinste anscheinend mal wieder. „Du hast bestimmt auch Robin geschrieben", gab ich schulterzuckend zurück. „Stimmt", gab sie grinsend zurück. Dann vibrierte mein Handy. „Uhhh, sie hat geantwortet", machte Natalie die Situation größer als sie war. Ich lachte nur und las die Nachricht: »Ja, ich bin aber schon im Bett. Ist ganz schön leer ohne dich.« Eine Gänsehaut jagte über meinen Körper. Sie war so direkt, so ehrlich und ich wusste überhaupt nicht, was ich antworten sollte. „Du denkst zu lange", meinte Natalie, als ich nicht anfing zu tippen. Sofort wurde ich unruhig. Sie hatte recht aber was sollte ich denn schreiben. Ich hätte sie auch lieber bei mir aber... „Gib mal her", schnappte Natalie mir plötzlich das Handy weg. „Hey! Gib das her!", warnte ich sie aber sie tippte schon und bevor ich ihr mein Smartphone abnehmen konnte, hatte sie schon auf senden getippt und ich konnte nur noch lesen, was sie geschrieben hatte: »Geht mir genauso. Ich vermisse dich❤️« Das klang nicht nach mir aber wie eine passende Antwort. „Hab dich nicht so. Sie grinst spätestens jetzt genauso wie du grade eben auch noch", meinte Natalie. Ich brachte nur ein ungläubiges Lachen hervor und wurde plötzlich ziemlich nervös. War das nicht zu viel? Was, wenn Lena... eine Nachricht unterbrach mich: »Ich dich auch❤️ Zwei Tage sind zu lang« Erleichtert atmete ich durch. Warum war ich nervös? Es war doch die Wahrheit. Das was sie hören sollte. „Natalie... danke... kannst du einfach immer für mich sprechen", murmelte ich ein bisschen beschämt, dass ich es nicht selbst fertig gebracht hatte das zu schreiben. Sie lachte nur. „Mark, du bekommst das schon hin. Mach dir einfach keinen Druck", sagte sie dann ernst aber liebevoll. Ich sagte nichts dazu, sah sie auch nicht an. »Ich freu mich schon auf übermorgen. Ist noch jemand da außer deiner Mutter?« Darüber hatten wir gar nicht gesprochen. Dass Natalie sich lächelnd aber wortlos hingelegt hatte, bemerkte ich gar nicht. »Nein, übermorgen nicht. Nur morgen kommen meine Oma und ein paar andere aus meiner Familie«, antwortete Lena. »Alles klar. Hier sitzen dann immer noch alle aber ich spreche morgen schon mal mit Mama«, schrieb ich dann. »Ich freu mich irgendwie aber ich bin auch ein bisschen nervös«, war ihre Antwort. »Mama wird sich freuen, da bin ich mir eigentlich sicher. Ich freu mich vor allem auf dich«, wagte ich mich dann ein bisschen zurück zur Romantik. »Ich freu mich auch auf dich❤️ Wir sollten langsam schlafen aber ich will eigentlich noch weiter schreiben«, meinte sie. Ich schmunzelte. »Du hast recht aber ich will eigentlich auch nicht«, gab ich ihr recht. »Und jetzt?«, fragte sie. »Keine Ahnung«, gab ich zu. Sie schickte mir einen lachenden Emoji, ich ihr ebenfalls. »Es fällt mir schwer aber ich schlafe gleich mal. Gute Nacht, Miss you ❤️«, war ihre folgende Nachricht. »Träum schön, Miss You to❤️«, schrieb ich noch, dann legte auch ich mein Handy weg. „Endlich", flüsterte Natalie, was mich leise lachen ließ. „Gute Nacht, Schwesterherz", sagte ich leise. „Gute Nacht", gab sie zurück, dann schliefen wir bald ein.

Noch hat er seiner Mama nichts gesagt... wann wird es wohl soweit sein? Und wie reagiert sie?

Der Weg des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt