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•Marks Sicht•

Am nächsten Tag frühstückten wir noch relativ entspannt aber bald begann der Stress. Ich hatte es immer noch nicht geschafft Mama von Lena zu erzählen, als die ersten Verwandten bereits gegen Mittag eintrafen. Ab jetzt würde es keine Minute mehr allein geben bis ich morgen im Auto zu Lena fahren würde. Ich hatte sie alle gerne aber es war auch immer ein bisschen sozial anstrengend für mich. Ich war irgendwie mit den wenigsten komplett locker und frei beim Reden. „Du hast ihr immer noch nichts gesagt", meinte Natalie irgendwann zu mir. „Ich weiß...", gab ich nur murrend zurück, konnte mich aber nicht weiter erklären, da schon wieder jemand in die Küche kam. Mama. Wir wollten den Kuchen auf den Tisch bringen, was wir dann auch taten. Beim Essen wurde laut geredet und gelacht. Teilweise auf Polnisch, teilweise auf Deutsch. Traditionell war bereits jetzt ein leerer Platz mit gedeckt. In Polen machte man das so, falls noch jemand unerwartet kommen sollte quasi. Es schien so, als würde den Platz übermorgen Lena einnehmen. Mama wusste ja nichtmal, dass ich noch jemanden mitbringen würde. Wieso hatte ich es nicht einfach sagen können? Sie würde sich bestimmt freuen, dass ich wieder vergeben war. Aber... was wenn sie und Lena sich nicht verstehen würde? Mein Kopf ging jedes ‚was wäre wenn' durch und es nervte mich.

„Kommst du?", fragte Natalie mich plötzlich und da merkte ich erst, als bereits alle aufgestanden waren. Wir wollten in die Kirche. Es war für mich der einzige Tag im Jahr, an dem ich tatsächlich in die Kirche ging aber dann gehörte es auch irgendwie dazu. Zu Fuß machten wir uns auf den Weg und kamen zum Glück rechtzeitig, um noch ein paar Sitzplätze zu bekommen. Weihnachten war es meist so voll, dass die ganze Kirche bis zur Tür voll war. Der katholische Gottesdienst begann. Immer mal wieder sangen wir oder es gab Gebete zu sprechen. Das alles kannte ich seit ich ein kleines Kind war und doch war es immer ein bisschen seltsam. Ich wusste nicht warum. Es kam mir komisch vor diesen einen Tag im Jahr in der Kirche zu sein und sonst nie wirklich gläubig zu handeln, was auch immer das heißen mochte. Ich hatte natürlich katholische Werte übernommen durch meine Mutter aber so richtig gläubig war ich nie gewesen.

Nach einer ganzen Weile traten wir wieder raus in die Kälte. Es hatte begonnen zu schneien und als wir zurück zu Hause waren mussten wir uns den Schnee von den Jacken klopfen. Drinnen ließen sich aber nicht alle direkt nieder. Meine Mama und ein paar Tanten verschwanden in der Küche, um das Essen vorzubereiten. In der Zwischenzeit legte jeder so nach und nach die Geschenke unter den Baum. Das Ding mit den Geschenken war eigentlich überhaupt nicht meins. Ich mochte es nicht. Weder verschenken noch beschenkt werden. Es ging doch an Weihnachten darum, mit der Familie zusammen zu sein und irgendwie ja auch um Liebe. Wieso musste man sich deshalb Sachen schenken? Die meisten in meiner Familie wussten, dass ich nicht so gut mit Geschenken war und dennoch bekam ich immer wieder welche. Verschenken tat ich eigentlich nur Kleinigkeiten an Natalie, Mama und vielleicht noch zusammen mit Natalie an andere Verwandte, wenn ich mir nicht so viele Gedanken machen musste. Dieses Jahr war noch etwas für Lena dazugekommen. Ich war mir immer noch unsicher, ob es ihr gefallen würde aber das würde ich erst morgen erfahren.

Der Heilige Abend begann also mit einem großen Essen auf dass viele Geschenke folgten, ein riesiger Aufschrei des Glückes, als Natalie ihre Verlobung kundtat, war auch dabei. Das brachte natürlich alle dazu den beiden zu gratulieren und dann mich zu fragen, wann es denn soweit wäre, schließlich war ich der große Bruder. Als ich dann erzählte, dass ich nicht mal mehr mit Finja zusammen war, waren alle irgendwie enttäuscht, auch wenn sie versuchten es nicht zu zeigen. Ein paar wussten längst davon aber nicht alle.

Am Ende des Tages waren Natalie, ihr Verlobter und ich übrig, die Mama ins Bett überredeten und dann aufräumten. „Du fährst morgen also nach Hannover und kommst mit Lena wieder, ohne dass Mama davon weiß", meinte meine Schwester zu mir. Ich seufzte. Als vorhin alle nach meinem ‚Beziehungsstatus' gefragt hatten, hatte ich es nicht geschafft vor allen zu sagen, dass ich wieder vergeben war, obwohl ich wusste, dass meine Familie sich für mich freuen würde. „Ja... jetzt ist es halt so", murmelte ich. Jetzt seufzte Natalie. „Mensch Mark, die hätten sich alle für dich gefreut und ganz vorne Mama. Das werden sie morgen zwar auch aber hast du mal an Lena gedacht? Die taucht hier übermorgen auf. Niemand rechnet damit und dann steht sie hier vor 14 Leuten, die alle nichts wussten. Also guckt sie in 14 fragende und überraschte Gesichter. Dabei ist sie bestimmt auch so schon nervös, hier mit einem Schlag deine ganze Familie zu treffen. Ihr seid grade mal ein paar Wochen zusammen, du hättest ihr wenigstens ein bisschen den Druck nehmen können, wenn du schon mal vorgefühlt hättest. Dann könntest du ihr sagen, dass sich alle gefreut haben und sie herzlich willkommen ist. Jetzt kannst du nur sagen, dass sich bestimmt schon alle freuen werden, ohne dass du das selber überzeugt rüberbringen kannst, weil du auch noch keine Reaktion kennst", redete Natalie mir ins Gewissen. Natürlich hatte sie recht aber... ach man es gab keine Ausrede. „Ich... ich hab's halt nicht hinbekommen", sagte ich also nur und ging schnell wieder aus der Küche um den Rest Geschirr aus dem Esszimmer zu holen. „Mark, ich mein das nicht böse... aber du machst dir so viele Gedanken darüber, was alles passieren könnte und kommst trotzdem nicht drauf, wie viel einfacher es wäre, wenn du es einfach hinter dich bringen würdest", sprach Natalie weiter, als sie mir nach kam. „Ich hab's verstanden!", maulte ich sie an und brachte das Geschirr in die Küche, ehe ich wortlos ins Bad und dann auf den Dachboden ging, wo ich mich ins Bett legte. Meine Schwester und Robin kamen mir recht bald nach und auch wenn Natalie recht hatte, wollte ich mir ihr nicht darüber reden. Statt dessen schrieb ich noch Lena. Ich wünschte ihr aber nur eine gute Nacht, da sie wahrscheinlich schon schlief. Das tat auch ich dann bald.

Am Morgen stand ich dann relativ früh auf, frühstückte kurz und machte mich direkt auf den Weg nach Hannover, noch bevor ich auf Mama oder sonst irgendwen traf. Jetzt war es eh zu spät, ihr alles zu sagen. Es würde genauso kommen, wie Natalie gesagt hatte. Ich würde mit Lena morgen wiederkommen und sie würde in 14 überraschte Gesichter blicken, die sie noch nervöser machen würden, als sie es schon sein würde. Und ich könnte sie nicht mal beruhigen, da es mir genauso ginge. „Du bist echt ein Idiot Forster", murmelte ich zu mir selbst während ich auf die Autobahn fuhr. Ich freute mich darauf Lena wieder zu sehen aber ich wusste nicht, ob sie sauer auf mich wäre, da ich noch nicht mit Mama oder irgendwem gesprochen hatte. Erstmal hatte ich aber noch ein bisschen Fahrt vor mir.

Was wird Lena wohl dazu sagen? 🤔

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