54

520 33 6
                                    


•Marks Sicht•

Am nächsten Morgen weckte Natalie mich mit einem Stupsen an meine Schulter. „Wollen wir schon frühstücken? Dann müsst ihr nicht nochmal mit allen beim Essen sitzen und wir können schon mal zu Papa fahren", schlug sie leise vor. Lena schlief noch in meinen Armen und ich überlegte. Sollte ich sie wecken? War es besser einfach zu verschwinden? Andererseits würden wir ja am Nachmittag wiederkommen, noch eine Nacht hier schlafen und dann erst morgen zurück nach Berlin fahren. Ich seufzte. Auch das wusste Mama noch nicht. Ob ich schon so ‚kurz' nach Weihnachten wieder wegfahren konnte würde sich herausstellen. Mama wollte mich nie gehen lassen. Aber ich wollte Lena auf keinen Fall länger zwingen hier zu bleiben. Sie fühlte sich nicht wohl und auch wenn sie wahrscheinlich spätestens heute beginnen würde das zu überspielen, merkte ich es ihr an. „Marek?", fragte Natalie nach. Ich hatte noch gar nicht geantwortet. „Ähm... ja klar, wir kommen gleich", sagte ich also und sie ließ uns lächelnd allein. Also begann ich Lena mit einem sanften Streicheln über ihren Rücken und kleinen Küssen zu wecken. „Guten Morgen, kleine Fee", sagte ich leise, als ich mir sicher war, dass sie nur noch so tat als würde sie schlafen. Sie kicherte leise, was mich sofort glücklich grinsen ließ. „Sollen wir frühstücken? Nur mit Natalie und Robin und dann fahren wir direkt zu Papa", erklärte ich. Sie nickte müde und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dabei sah sie so unfassbar süß aus, dass ich sie einfach nochmal richtig küssen musste bevor wir aufstanden.

Unten saßen Natalie und Robin bereits am Tisch. Entgegen meiner Erwartungen mit Mama. Immerhin aber nur mit Mama. „Guten Morgen ihr zwei, wie sagt man? Turteltauben?", begrüßte Mama uns und wir wurden auf der Stelle rot. So in der kleinen Runde hatte ich auch nicht das Gefühl, dass Lena sich unwohl fühlte. Sie erzählte mehr von sich aus mit den anderen und wirkte fröhlich, was mich unfassbar erleichterte. Den Rest meiner Familie würde sie ja wahrscheinlich ohnehin nur in Ausnahmefällen treffen. Es war gut, dass sie sich mit Mama und Natalie so gut verstand. Fehlte nur noch Papa. Hoffentlich würde das gut gehen. Er hatte oft nur darauf gewartet, dass ich Finja einen Antrag machen würde. Für ihn war ich schon viel zu spät dran, da war ich mir sicher und es fiel mir schwer, trotzdem vor ihm zu meinen Entscheidungen zu stehen. Als ich darüber nachdachte, schwor ich mir nochmal, mich für die Entscheidung Finja zu verlassen und mit Lena zu gehen nicht ein bisschen zu schämen. Ich liebte sie. Und ich hatte es ihr, schneller als ich dachte, sogar sagen können. Es musste richtig sein, wenn es sich so gut anfühlte.

Trotzdem war ich nervös, als Natalie uns später zu Papa fuhr. Neben ihr saß Robin und Lena und ich saßen auf der Rückbank und hielten Händchen, wie verliebte Teenager. Immer wieder trafen sich unsere Blicke und wir mussten mit roten Wangen lächeln. Irgendwie lang heute gute Laune in der Luft. Hoffentlich würde sie bleiben. Als wir klingelten war sie zumindest noch da. Papa öffnete uns die Tür und begrüßte uns fröhlich. Natalie schien ihm am Telefon von Lena erzählt zu haben. Er war nicht allzu überrascht und begrüßte auch sie freundlich, auch wenn er uns natürlich beobachtete, als wir eintraten und Jacken und Schuhe auszogen und auch weiterhin. Aber er wirkte nicht allzu kritisch, eher interessiert. „Und ihr habt deine arme Mutter also völlig ohne Vorwarnung überrascht", meinte er. „Ja... das ist wohl meine Schuld", gab ich zu und fühlte mich plötzlich wie ein kleines Kind. Aber er lachte nur. „Dabei sollte doch eigentlich langsam jeder wissen, dass du immer für eine Überraschung gut bist", sagte er scherzend. Er schien wirklich kein bisschen böse auf mich zu sein.

Das bestätigte sich später. Papa hatte mich um ein Gespräch gebeten und ich erwartete eigentlich, dass er wissen wollte, warum ich Finja verlassen hatte aber das Gegenteil war der Fall. Er erklärte mir, wie froh er war, dass ich Lena mitgebracht hatte. Für ihn war es eine Art Beweis unserer Liebe, dass ich sie nach so kurzer Zeit schon mit zu meiner Familie gebracht hatte. „Du... willst nicht wissen, warum ich Finja verlassen habe", stellte ich verwundert fest. „Nein, warum sollte ich? Ihr wirkt glücklich", gab er ebenfalls verwundert zurück. „Ich... ich dachte, du... du wolltest doch immer, dass ich heirate und... Kinder und so... als älterer Bruder und so", stotterte ich etwas durcheinander. Er umarmte mich plötzlich, was ich jetzt wirklich gar nicht von ihm kannte. „Marek, ich wollte dir nie das Gefühl geben, dass du das musst... Du hast recht, ich würde mich Freuen, wenn du irgendwann Heiraten würdest aber es ist dein Leben und damit muss ich klarkommen. Und wenn Lena deine Entscheidung ist, dann ist das gut. Sie ist nett und höflich, auch wenn ich sie kaum kenne, ich habe das Gefühl, es passt gut", erklärte er, was mich nah an den Rand der Tränen brachte. Er hatte selten so offen mit mir gesprochen. „Sie ist meine Entscheidung", gab ich entschlossen zurück. „Das meine ich. Du hättest mir das bei keiner anderen Freundin, die du jemals hattest, nach so kurzer Zeit, so entschlossen gesagt", lächelte er. Verlegen sah ich weg. Er hatte recht aber ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich war mir auch bei keiner anderen Frau jemals so sicher. „Hey, Entschuldigung, Stör' ich?", platzte Lena plötzlich rein. Ich sah in ihrem Blick, dass sie mir sofort angesehen hatte, dass ich Sekunden zu vor kurz davor war zu weinen vor Rührung. „Nein, alles gut", gab ich dennoch zurück und nahm ihre Hand als Bestätigung. Ein zufriedenes Lächeln lag auf ihren Lippen und ich nahm ihr das auch ab. Auch Papa lächelte uns zufrieden an und ich wurde langsam richtig ruhig und erleichtert. Lenas Mama freute sich für uns, meine Schwester sowieso, meine Mama war zwar überrascht aber zufrieden, mein Papa lächelte und hatte mit mir so offen gesprochen, wie noch nie und nicht zu vergessen: Lena war glücklich und fühlte sich hier nicht mehr unwohl. Es war alles gut.

Bis zum Nachmittag blieben wir bei Papa und als wir zurück bei meiner Mutter waren, waren ein paar Verwandte bereits nach Hause gefahren und nur zwei Tanten blieben übrig. Leider die, die uns am meisten kritisch gegenüber standen. Die Anspannung war also noch nicht ganz raus aber es wurde besser. Nach dem Abendessen erklärten wir dennoch, dass wir am nächsten Tag fahren würden. Es dauerte einige Minuten, Mama zu überreden, dass sie uns gehen ließ und ich musste ihr versprechen, dass wir uns ganz bald wiedersahen aber da ich bald Geburtstag hatte, war das eigentlich eh klar. Und als ich am Abend wieder mit Lena auf dem Dachboden im Bett lag, wusste ich, dass alles schon gut werden würde.

Der Weg des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt