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•Marks Sicht•

Am nächsten Tag war ich also auf dem Weg nach Frankfurt. Es gab ein paar Termine und dafür musste ich ein paar Stündchen Bahn fahren und hatte genug Zeit mir den Kopf zu zerbrechen an dem Brief von Lenas Vater, der noch immer in meiner Jackentasche steckte. Ich hatte ihn nicht vollständig gelesen. Bis auf den Absatz, in dem er erklärte, weshalb er sich an mein Management gewendet hatte nachdem ihm Lenas nie eine Rückmeldung gegeben hatte, war der Brief an Lena gerichtet und ging mich nichts an. Dennis, der mir auf der Fahrt gegenübersaß beobachtete mich die ganze Zeit und hatte so einen mitleidigen Blick aufgesetzt. Ich hasste es, Mitleid zu bekommen aber ich sah wirklich keine Lösung für meine Situation. Ich konnte nicht entscheiden, ob Lena diesen Brief jemals lesen sollte und doch musste ich es. „Ruf Bella an", meine Dennis schließlich zuversichtlich. „Nicht jetzt", gab ich nur zurück. Ihm war sofort klar, dass ich nicht in der Bahn darüber reden konnte.

Erst als ich im Hotel angekommen war und endlich keine Zuhörer mehr um mich herum hatte, wählte ich Bellas Nummer. Hoffentlich würde Lena nichts mitbekommen, die beiden waren schließlich zusammen unterwegs. „Mark? Wieso rufst du an? Ist was passiert?", fragte sie direkt. „Nein, alles gut. Also... naja... ich würd gern mit dir reden. Ist Lena bei dir?", wollte ich sichergehen. „Nein", meine Bella nur verwundert. „Wie lange hast du Zeit bis sie wiederkommt?", fragte ich nach. „Puh, eine knappe Stunde, denke ich. Wieso denn?", wollte sie dann endlich wissen. „Ich habe einen Brief bekommen, also mein Management über die Fan-Adresse", begann ich. „Okay. Geht's um Lena? Was hab ich damit zu tun? Oder ist es eine Drohung?", vermutete sie. „Nein! Also es ist keine Drohung. Zumindest keine, die als solche gedacht ist", gab ich zurück. „Hä? Mark bitte komm zum Punkt", bat Bella verwirrt. Seufzend atmete ich durch. „Es... also der Brief... ist... er ist von... Lenas Vater", stotterte ich. „Bitte?!", stieß sie ungläubig aus. Erneut seufzte ich. „Das ist ein Scherz! Sicher?", fragte sie. „Schon, ja. Er schreibt, dass er schon mehrfach versucht hat, über Lenas Management Kontakt zu ihr aufzunehmen und nie Rückmeldung bekommen hat", erklärte ich. „Ja, das stimmt...", meinte Bella dann. Einige Sekunden blieb es still. „Ich fass' es nicht", stieß sie plötzlich aus. „Hast du ihr davon erzählt?", fragte sie plötzlich hektisch. „Nein!", gab ich sofort zurück. „Ich wollte erst wissen, ob es einen Grund gibt, dass ihr ihm nie geantwortet habt", erklärte ich. „Gut... also... ja, es gibt einen Grund. Als ‚If I wasn't your daughter' rauskam, hatte ich Lena gefragt, was ich machen soll, falls er sich meldet. Wir haben beide nicht geglaubt, dass das überhaupt passiert aber es ist passiert. Jedenfalls meinte Lena damals, sie will von ihm nichts wissen. Mit dem Lied wollte sie abschließen, wie du weißt. Ich hab ihr versichert, ihr nichts zu sagen, falls er sich meldet, weil sie die alten Wunden nicht wieder aufreißen wollte", erklärte Bella mir. Das musste ich erstmal verarbeiten und schwieg ein paar Sekunden. „Okay... dann... sollte ich ihr auch nichts sagen", sagte ich schließlich. „Genau. Sag einfach nichts und schickt bitte auch keine Antwort an ihn. Ich hatte eigentlich gehofft, dass er merkt, dass sie keinen Kontakt zu ihm will", erklärte sie. „Naja... anscheinend nicht... aber gut, dann... dann sag ich nichts", wiederholte ich. „Okay. Danke, auch von Lena, da bin ich mir sicher. Denk einfach nicht darüber nach, es ist ihr Wille", machte Bella noch klar. „Ist gut, danke... dann... schönen Tag noch", verabschiedete ich mich. „Dir auch", gab sie zurück und wir legten auf.

Das war nicht sehr zufriedenstellend. Anscheinend hatte ich unbewusst gehofft, Lena würde davon wissen. Ich mochte sie nicht anlügen oder ich etwas verheimlichen aber andererseits war es ihr Wunsch, auch wenn dieser schon ein paar Jahre zurücklag. Seufzend legte ich mein Handy weg. Ich war nicht wirklich weitergekommen. Noch immer lag die Entscheidung bei mir. Würde ich wirklich nichts sagen? Vielleicht hatte sich ihre Einstellung mittlerweile geändert. Es war unmöglich eine gute Entscheidung zu treffen. Beide Möglichkeiten waren gleichfalsch.

Also verbrachte ich einen weiteren Tag damit, mir Gedanken zu machen während ich meine Termine abarbeitete. Am Abend telefonierte ich mit Lena, die unfassbar glücklich darüber war, dass ihr Album, das bald erscheinen sollte, die erste fertige Version erreicht hatte. Wahrscheinlich bemerkte sie auch nur dank ihrer Euphorie nicht, dass ich nicht so ganz bei der Sache war. Jetzt wo ich ihre Stimme hörte, wurde mir nochmal klarer, dass es tatsächlich an mir lag, ob sie von dem Brief erfahren würde. Und sie lachte so viel und ehrlich, dass ich wirklich nicht dafür verantwortlich sein wollte, wenn sie unglücklich wäre. Als wir uns mit einem lächelnden ‚Ich liebe dich' verabschiedet hatten warf ich mit einem inneren Aufschrei mein Handy aufs Bett. Was hatte ich denn getan, dass ich in dieser Situation war?

Und jetzt? Wie würdet ihr jetzt entscheiden? Sie wollte vor ein paar Jahren nichts davon wissen aber vielleicht hat sich das geändert... oder aber er würde sie nur verletzten, wenn er alte Wunden aufreißt... Für was würdet ihr euch an Marks Stelle entscheiden?

Der Weg des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt