Kapitel 20.13

1.4K 91 2
                                    

Kapitel 20.13

„Weil du mit meinem wahren Ich nicht umgehen kannst", nuschelte er undeutlich und lehnte seinen Kopf gegen die Eiswand des Brunnens.

„Ging doch ganz gut", meinte sie nüchtern. „Ich hab mich noch nirgendwo runtergestürzt oder versucht mich umzubringen." Sie hatte darüber nachgedacht, doch bisher hatte sie es noch nicht ausgeführt. Was irgendwo ein gutes Zeichen war. Zudem lag es weniger an Victor als daran, dass sie die Erwartungen der anderen nicht erfüllte. Wohl auch die von Victor nicht.

„Ja ja ...", murmelte der Prinz. Er glaubte ihr wohl nicht. Wahrscheinlich, weil er wusste, wie er selbst war.

„Das einzige, was ich je wollte, seitdem ich hier bin, ist Zeit mit Euch verbringen", murmelte sie. „Das, was mir wirklich den Mut genommen hat, war das heutige Gespräch. Ihr habt mir die Illusion gegeben, ich könnte Zeit mit Euch verbringen und kaum habe ich selbst daran geglaubt, habt Ihr diese Illusion zerstört."

Victor seufzte. „Ich habe viel zu tun und keine Zeit für eine Frau. Eric will es nicht glauben", sagte er. „Ich habe versucht, Zeit mit dir zu verbringen, um dich kennenzulernen."

„Es muss doch nicht viel Zeit sein", murmelte Nanami niedergeschlagen. Sie musste nicht ganze Tage mit ihm verbringen. Ihr reichte es, wenn sie einfach am Abend für ihn da sein konnte, mit ihm aß oder am Morgen mit ihm Musik spielte. Diese kleinen Dinge reichten für sie schon aus.

„Nanami, es ist nicht so einfach, wie du es dir vorstellst. Ich bin kein Mensch, der die Nähe anderer lange und auf Dauer ertragen kann", seufzte er.

„Ihr versucht es nicht", meinte sie nüchtern. „Weder seid Ihr damit einverstanden, dass wir zusammen am Morgen im Musikraum sind, noch wollt Ihr mit mir essen. Ich darf nicht einmal am Abend bei Euch sein, obwohl Ihr gut geschlafen habt", zählte sie auf.

„Ich ... du kennst mein Ziel. Ich will dir nichts vormachen", gestand er.

„Ich erinnere mich nicht mehr. Oder zumindest nicht an alles. Ich weiß, dass Ihr den Krieg fortführen wollt", murmelte sie. „Davon werde ich Euch nicht abhalten können, aber das ändert nichts daran, dass ich trotzdem hier leben werde. Ich bin in allen Dingen von Euch abhängig."

„Dann ist es auch besser, dir nicht zu sagen, was mein Ziel sein wird ...", nuschelte Victor und trank erneut scharf riechenden Alkohol.

Nanami tippte ihn an die Kehle. Nur ganz leicht, um zu sehen, wie viel Schaden er dort angerichtet hatte. „Ihr solltet aufpassen, sonst seid Ihr morgen heißer", meinte sie nüchtern. Wenn er es ihr nicht sagen wollte, dann war das so. Daran konnte sie nichts ändern. „Durch die Heirat werde ich Euch gehören", meinte sie plötzlich. „Ihr entscheidet darüber, ob ich lebe oder nicht. Im Grunde ist es generell Eure Entscheidung, was mit mir passiert."

„Dann bist du tatsächlich damit einverstanden, dass ich deine ganze Familie vor deinen Augen qualvoll folterte und sie töte, bevor du an der Reihe bist?", fragte er und klang gleichgültig. Er hatte sich nicht einmal bei ihrer Berührung gewehrt.

„Es ist unwichtig, ob ich damit einverstanden bin", antwortete sie genau so nüchtern. „Vielleicht habe ich gehofft, dass ich etwas ändern könnte, aber nachdem ich erlebt habe, wie die Männer hier mit Frauen umgehen, ist mir klar geworden, dass ich nichts zu sagen habe. Ich bekomme nur die Dinge, die Ihr mir einräumt. Im Grunde bin ich also nichts mehr als eine Sklavin, die tut, was immer Ihr wollt. Wenn ich etwas anderes tue, muss ich damit rechnen bestraft zu werden. Sobald Euer Vater nicht mehr ist, wird niemand mehr da sein, der sich um mich sorgt oder mir Kraft geben wird." Nur wenn er der Meinung war, dass sie Dinge tun durfte, die sie wollte, konnte sie diese auch tun. Ihr war bewusst, dass sie lediglich in das Abschaumviertel durfte, weil er es ihr erlaubte. Genauso war es ihr auch nur möglich auf dem See Schlittschuh zu laufen, weil sein Vater ihr die Möglichkeit gab. Ohne die beiden hätte sie keines von beiden je gekonnt. Hätte Victor sie an dem Tag, an dem er sie auf dem See erwischt hätte, zurechtgewiesen, wäre sie wohl nie wieder dorthin gegangen. Sie konnte sich ihm nicht widersetzen. Nicht, wenn sie nicht ständig seelischen Qualen ausgesetzt werden wollte. Mit diesen konnte sie weniger gut umgehen, als mit körperlichen.

MagierkriegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt