Kapitel 2.5

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Kapitel 2.5

„Ich werde die Tage leider nicht so oft Zeit dazu finden", meinte Nanami. Sie verstand, warum es schwer war, in der Nacht herumzulaufen, doch am Tag war sie viel zu auffällig. Zudem musste sie am Tag im Schloss bleiben. Aber vielleicht konnte sie Eric fragen, ob sie helfen durfte. Dann hatte sie wenigstens etwas zu tun. „Gibt es denn Tage, an denen es günstig wäre?"

„Ich weiß es nicht", gestand der Mann. „Man weiß nie, wann Vic vorbeikommt. Ihm möchte man nicht gerne als Außenstehender begegnen", sagte er und Nanami fiel auf, dass der Mann den Prinzen mit dem gleichen Spitznamen nannte wie Madeleine, Katja und Eric.

„Habt Ihr eine Verbindung zueinander gehabt?", fragte sie. Warum sonst sollte er diesen Spitznamen nutzen. „Und ich bin in der Lage mich zu verstecken, sollte er kommen." Vielleicht war es ihr auch möglich, in der Nacht eine Lichtspur zu legen, damit die Leute zu ihr kommen konnten.

„Ich war seit seiner Geburt sein Berater", seufzte der Mann und klang wehmütig, als er in eine Seitengasse abbog. Tatsächlich waren die Straßen leer und nur hinter ein paar Fenstern war schwaches Licht zu sehen.

„Und dann landet Ihr hier", sagte sie und klang traurig. „Sein Hass scheint vor niemandem Halt zu machen."

„Er war nicht immer so. Als er klein war, war er ein sehr guter, stolzer Junge. Liebevoll und anständig. Ein Traumprinz sozusagen. Und sehr begabt", sagte er und Nanami hörte eine beinahe liebevolle Stimme heraus. „Durch den Tod von Madeleine und seiner Schwester hat er sich sehr verändert. Und trotzdem hofft der König darauf, dass Vic sich doch noch ändert", seufzte er und hielt vor einem heruntergekommenen Holzhütte an.

„Das habe ich schon sehr oft gehört", meinte Nanami und verspürte das Bedürfnis wegzurennen. Noch mehr Leute, die hofften.

Weil sie nicht wusste, wie sie diese Herausforderung bestehen sollte, widmete sie sich dem Mann. „Ihr seht sehr erschöpft aus, darf ich euch untersuchen? Danach wird es euch besser gehen."

Einen Augenblick lang zögerte der Mann, willigte dann aber ein und betrat die schmutzige Hütte, in der es stockdunkel war. Trotzdem fand er sich irgendwie zurecht und legte das Mädchen auf einem schmutzigen Teppich ab.

„Versteht mich nicht falsch", sagte er, als er überprüfte, ob das Mädchen schlief. Anschließend kam er zu Nanami zurück, die er wohl nur vage in der Dunkelheit ausmachen konnte. „Vic war ein fantastischer Mann. Er hat immer und überall geholfen. Den Kranken, den Verletzten, sogar den Tieren. Er wurde, ganz im Gegensatz zu den früheren Generationen, von Madeleine zu einem liebenswerten Menschen erzogen", erzählte er seufzend.

Jedoch hatte Eric nach dem Tod seiner Frau eine neue geheiratet, die Victor nicht hatte ausstehen können. Er sei ihrer Meinung nach verweichlicht und kein Vorbild für die Kriegsmagier gewesen. Die Frau war das komplette Gegenteil von Madeleine gewesen.

Sie hatte die ganze Erziehung über den Haufen geworfen, Victor wegen jeder Kleinigkeit bestraft und sehr oft verprügelt. „Nur hat er sich nie gewehrt, weil seine Mutter ihm beigebracht hatte, dass auch Frauen Menschen sind und sie respektiert werden sollten, auch wenn sie unter einem stehen", erklärte der Mann.

„Davon ist leider nicht mehr sehr viel übrig, fürchte ich", meinte Nanami und erschauderte, als sie an seine Worte dachte. „Für ihn ist Krieg und Rache alles, was noch wichtig ist."

„Woher kennt Ihr ihn?", wollte der Mann wissen.

„Das ist ... eine eigentlich gar nicht so lange Geschichte, aber ich möchte sie nur ungern schon jetzt erzählen. Vielleicht später", meinte sie und wollte wissen, ob sie den Arm des Mannes berühren durfte. Mehr brauchte sie nicht, um seinen Körper zu kontrollieren.

Wortlos hielt er ihr diesen hin, meinte aber, dass es nicht nötig wäre. „Ich bin mir sicher, dass er tief in sich noch ein Stück Liebe trägt. Auch, wenn es nur ein Funke ist", sagte er.

Nanami legte ihre Hand sanft auf seinen Arm und kontrollierte seinen Körper. Er war krank, das konnte sie spüren. Da waren Erreger in seinem Blut. „Das würde ich mir wünschen", murmelte sie und ließ ihre Macht in ihn fließen, um dieses Problem zu beheben. Es war eine einfache Erkältung, weshalb Nanami auch keine große Kraft einsetzen musste.

Regungslos hielt der Mann still, als wäre er damit vertraut. „Wenn es jemand schafft, bis zu seinen Tiefen vorzudringen ... und ihn aufweckt, würde er sicherlich sehr vieles ändern", behauptete er. „Nur ist es schwer, die Panzerhülle zu durchbrechen."

Nanami schloss die Heilung ab und lächelte leicht. „Vielleicht geschieht ein Wunder", meinte sie. „Ihr habt eine Erkältung ausgebrütet. Ich habe vorgesorgt", sagte sie.

„Danke, das ist sehr nett von Ihnen. Bitte sehen Sie nach dem Mädchen. Ihr ging es die letzten Tage nicht so gut", bat er Nanami.

„Das habe ich bereits", sagte Nanami. „Ich habe ihr auch eine kleine Stärkung mitgegeben. Damit sollte sie die nächsten Tage gut zurechtkommen", versicherte sie. „Ich komme aber die nächsten Tage noch einmal nach ihr sehen."

„Danke", sagte er noch einmal und klang erleichtert. „Sie sollten gehen. Es ist schon spät."

Nanami nickte. „Das werde ich jetzt langsam auch müssen, bevor sich jemand Sorgen macht. Ich komme aber wieder. Sollte es dann jemanden geben, der Heilung braucht, stehe ich zur Verfügung", sagte sie lächelnd. „Passt gut auf die Kleine auf."

„Werde ich", sagte der Mann noch, bevor er Nanami sanft, aber bestimmt, nach draußen brachte.

Diese fühlte sich noch immer unnütz und entschied, es für heute gut sein zu lassen. Langsam machte sie sich auf den Weg zurück zum Schloss. Hoffentlich war ihr Verschwinden nicht aufgefallen.

Allerdings war es schon spät und sie hatte niemanden Bescheid gegeben.

Tatsächlich wartete Lilly unruhig vor dem Toreingang. „Wo wart Ihr? Ich habe mir Sorgen gemacht", sagte sie, als sie Nanami endlich erblickte. Es nieselte leicht und die feinen Regentropfen hatten sich auf Lillys Kleidung und Haare abgesetzt,

„Ich war in der Stadt", sagte Nanami und wirkte nicht, als würde der Regen ihr etwas ausmachen. „Danke, dass du gewartet hast, dass hättest du aber nicht müssen."

Lilly verneigte sich. „Es ist meine Pflicht als Kammerzofe", sagte sie leise und führte Nanami hinein.

Diese lief durch die Gänge und seufzte. „Ich würde mich jetzt gern zurückziehen", sagte sie leise. Es war einiges geschehen und sie hatte viel zu verdauen.

„Wie Ihr wünscht, Prinzessin. Ich werde Euch morgen früh wecken und zu König Eric bringen", wies sie Nanami daraufhin.

Diese nickte. Ob sie schlafen konnte, war fraglich, doch sie würde es versuchen.

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