Paul und ich verließen eine gute Stunde später gemeinsam die Reithalle, nachdem Felix fertig geworden war.
„Bist du ihm eigentlich böse oder ist es nur die nicht zu zügelnde Liebe, die du für Marie empfindest, die dafür sorgt, dass du gerade keine Lust hast, den beiden zu begegnen?", stichelte er.
„Wenn ich meine Liebe für Marie- ich erlaube mir jetzt einfach mal deine Worte zu gebrauchen- nicht zügeln könnte, sollte ich dann nicht vor Freude glühen, sobald ich sie erblicke?" Ich verdrehte die Augen und sah Paul an.
„Na ja, ", entgegnete er und sah zum Haus herüber, während er nach den richtigen Worten suchte. „Vielleicht brennt das Feuer eurer Liebe auch so stark, dass es dich schmerzt, in ihre wundervollen, sanften Augen zu blicken."
Ich imitierte ein Würggeräusch und Paul lachte.
„Wie unfein!"
„Oh, werter Herr, verzeihen Sie mir dieses ungehörige Benehmen. Ich gelobe Besserung."
Er schüttelte nur lachend den Kopf.
„Bist du am nächsten Wochenende hier?", fragte ich und wechselte damit das Thema.
„Nein, wir zwei sind nämlich auf demselben Turnier."
„Ernsthaft?"
„Ja, ist mir gestern aufgefallen, als ich meine Liste durchgegangen bin."
„Mit Fia?"
Zustimmend nickte er. „Lolo?"
„Ja, der muss auch mal wieder ran."
„HEY!"
Wir wirbelten beide herum und sahen Nika auf uns zustapfen.
„Ihr seid absolut taub! Ich schreie euch hinterher und ihr lauft und quatscht munter weiter."
„So sind wir...gemein, gemein." Paul zuckte mit den Schultern.
„Wie sieht das jetzt aus? Ihr habt doch davon gesprochen, dass wir vier gemeinsam schwimmen gehen. Wann wollt ihr das machen? Ich meine- ich hätte heute Abend Zeit."
Zögerlich schob Paul die Hände in die Taschen. Ich wusste, woran er dachte und hatte vermutlich denselben Gedanken.
„Ein Freund von uns ist im Moment hier und eigentlich würden wir den Abend ganz gern mit ihm verbringen, da er eigentlich nie da ist. Aber..." Er machte eine längere Pause... „Eigentlich kann er auch einfach mitkommen, wenn er Lust haben sollte, etwas mit uns zu machen, oder Kim?"
Unentschlossen zuckte ich mit den Schultern. Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Wie verrückt hatte ich mich auf Lukas gefreut und jetzt ließ er uns so hängen. Wäre es da nicht wirklich in Ordnung, ihm anzubieten, mitzukommen, den Abend aber nicht für ihn freizuhalten? Auf einen Abend im Haus, am besten auf dem Sofa, Marie noch dazu- darauf hatte ich keine Lust. Nicht einmal ansatzweise.
„Sicher. Warum sollte er etwas dagegen haben? Machen wir das so."
Eilig schlang ich das Essen herunter und fluchte, als ich mich verbrannte. Typisch! Als die Tür aufging, sah ich nicht einmal hoch.
„Hey." Lukas kam in die Küche, Marie folgte ihm. „Hunger? Oder warum isst du in rekordverdächtiger Geschwindigkeit?"
„Ich muss arbeiten."
Lukas fischte sich einen Apfel aus dem Obstkorb, lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und sah mich skeptisch an.
„Samstags ist es doch sonst nicht so hektisch."
„Viel los ist auch nicht." Ich stand auf, räumte das Geschirr in die Spülmaschine, drehte Marie den Rücken zu und lächelte Lukas freudig an. „Aber Paul und ich hatten die Idee, dich dazu einzuladen, heute Abend ein bisschen zu schwimmen. Deswegen haben wir's ein bisschen eilig. Hast du Lust?"
„Fragst du das?" Grinsend sah er mich an. „Natürlich komme ich mit."
„Ich hab' gar keine Schwimmsachen dabei.", hörte ich Marie im Hintergrund sagen.
„Wie schade, dass ich vor ein paar Tagen meinen zweiten Bikini entsorgt habe.", sagte ich mit bedauerndem Unterton und war selbst überrascht davon, wie überzeugend das klang. „Wirklich schade."
Wie Lukas es geschafft hatte, Marie loszuwerden, war mir ein Rätsel- aber eigentlich auch ein bisschen egal. Als wir am frühen Abend zu fünft durch den Schneematsch stiefelten, war ich einfach nur froh darüber, dass sie nicht dabei war.
Nika und Simon redeten über den Tag, über die Pferde und den Unterricht. Paul schwieg, lief neben Lukas her, die Hände in den Jackentaschen vergraben. Sein Training war schlecht gelaufen- Fia hatte sich vertreten und leicht gelahmt- seitdem war er tief in Gedanken versunken.
Vermutlich würde er innerhalb der nächsten halben Stunde die schlechte Laune überwinden, aber bis dahin ließ man ihn besser in Ruhe. Lukas erzählte mir von seinen Freunden, von seinem Studium und fragte nach einer Weile, wie es bei mir weitergehen würde.
Ich zuckte mit den Schultern. „Mal sehen. Erstmal ein bisschen Geld verdienen, weiter Turniere reiten und hoffen, dass es reicht."
„Und du willst echt hier arbeiten?"
„Ich will in den Betrieb einsteigen und immer mehr davon übernehmen, ja. Zumindest ist das im Moment der Plan." Ich war selbst überrascht davon, wie selbstverständlich mir das über die Lippen ging.
„Und Felix?" Lukas sah mich zweifelnd an. „Was, wenn er später das Gleiche will?"
„Keine Ahnung.", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Wird man sehen."
Ich biss die Zähne zusammen, nahm Anlauf und sprang ins eiskalte Wasser, bevor irgendwer mich reinschubsen konnte. Das eiskalte Wasser prickelte auf meiner Haut und ich tauchte eilig wieder auf.
Nika saß am Beckenrand und ließ ihre Beine ins Wasser baumeln. Weiter traute sie sich offenbar nicht.
„Komm besser selbst rein, bevor die Jungs dich reinwerfen."
„Wenn sie das machen, ich reiße ihnen den Kopf ab."
„Oder soll ich dich reinziehen?" Ich schwamm näher zu ihr und grinste.
„Stirb beim Versuch!", rief sie und zog ihre Beine hoch.
„Das du immer so nett sein musst.", lachte Simon und stellte sich hinter sie.
„Das Gleiche gilt für dich.", murmelte sie, krallte sich aber vorsichtshalber mit ihren Fingern am Beckenrand fest.
„Kriegt ihr sie nicht ins Wasser?", rief Paul, der gemeinsam mit Lukas in die Halle kam.
„Ich schaffe das ganz gut selbst!"
Schulterzuckend ging Simon an ihr vorbei und tat es mir gleich. Wenige Meter von mir entfernt tauchte er auf und schüttelte sich das Wasser aus den schwarzen Haaren.
„Du bist ein Hasenfuß. So kalt ist es wirklich nicht." Simon grinste sie an. „Komm schon."
„Ich kann das schon selbst entscheiden, danke."
Ich schwamm zum Rand, an die Stelle, wo Lukas gerade seine Zehen ins Wasser hielt.
„Na?"
Er lächelte. „Schnell reinspringen ist das Schmerzloseste, was?"
Es dauerte, aber schließlich waren alle, sogar Nika, im Wasser.
Sie planschte mit Paul herum, der sich einen Spaß daraus machte, sie immer wieder unvermittelt unterzutauchen.
Hätte er das sooft mit mir gemacht- irgendwann wäre er definitiv dran gewesen!
Lachend beobachtete Simon die beiden.
Lukas und ich hatten die Arme auf den Beckenrand gelegt und unterhielten uns.
Ich versuchte, über unverfängliche Themen ihm Informationen darüber zu entlocken, was er bitte an Marie fand, aber entweder verstand er die Andeutungen nicht oder er ignorierte sie geschickt.
Irgendwann hatte ich genug davon und nahm meinen Mut zusammen.
„Warum bist du eigentlich nicht mehr mit Inga zusammen?"
Er seufzte und schwieg einen Moment. „Weiß nicht."
„Weißt du nicht? Du warst acht Jahre mit ihr zusammen und...?"
„Ist halt so." Es war offensichtlich, dass ihm das Thema nicht gefiel. Er schloss für einen Moment die Augen. „Sollte halt nicht sein."
Zweifelnd sah ich ihn an. „Wer hat denn Schluss gemacht?"
„Keine Ahnung. Wir beide irgendwie."
Was ich mit der Antwort anfangen sollte, wusste ich wirklich nicht.
„Und Marie?", fragte ich stattdessen. Für mich klang es nicht so, als wäre Inga für ihn abgehakt und vergessen.
„Marie ist nett.", sagte er langsam.
„Sie ist nett? Sie ist deine Freundin und du findest sie nett?!" Ungläubig starrte ich ihn an.
Er wirkte unglücklich, kaute auf seiner Unterlippe herum und zuckte schließlich mit den Schultern.
„Also, ich persönlich finde sie nicht besonders nett.", sagte ich und lachte leise. „Deswegen interessiert mich halt, was du an ihr findest."
„Sie..."
Weiter kam er nicht.
Simon packte mich und zog mich unter Wasser. Alle lachten, als ich wieder auftauchte.
„Dein Gesicht hättest du sehen sollen!", japste Nika, atemlos vor Lachen. „Grandios."
Ich wusste nicht, ob ich mitlachen oder wütend sein sollte. Was Lukas mir da hatte erzählen wollen, würde er mir jetzt vermutlich nicht mehr verraten.
Lukas lachte ebenfalls und zog mich zu sich heran und schlang seine Arme um mich.
„So, wer traut sich jetzt, Kim unterzutauchen
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...