Paul saß in Jeans und Pulli auf seinem Bett und sah angestrengt auf seine Finger, die er in seinen Schoß gelegt hatte. Nachdem ich an seiner Tür geklopft und er mich hereingelassen hatte, war die Stimmung genauso kühl gewesen wie am Vorabend. Wobei- kühl war eigentlich nicht das richtige Wort. Ich war verletzt und ratlos, Paul schuldbewusst und gleichzeitig distanziert. Ich hatte keine Ahnung gehabt, was ich damit anfangen sollte, dass er mir zur Begrüßung einen halbherzigen, sehr flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben hatte. Nachdem wir es kaum geschafft hatten, einander zu fragen, wie unser Tag so gewesen war, hatte ich- während meine Hände vor Nervosität zitterten- das Gespräch auf den Vorabend gebracht und ihn gefragt, was bitte sein Problem sei: der Kuss oder mein „Ich liebe dich". Und jetzt saß er mir gegenüber, die Beine im Schneidersitz miteinander verknotet und starrte eben auf seine Hände. Dafür hätte ich ihn am lieben gewürgt. Wie am Vorabend saß ich da und wartete auf erlösende Worte, die einfach nicht kamen und wie am Vorabend fühlte ich mich wie die letzte Idiotin.
„Weißt du was?", sagte ich irgendwann und merkte selbst, wie meine Stimme jenen schnippischen Tonfall annahm, den ich nicht leiden konnte. „Wenn du nicht reden willst, dann gehe ich. Ich muss hier nicht rumsitzen und mich von dir anschweigen lassen. Davon hatte ich gestern genug."„Kim...", sagte er leise, schüttelte den Kopf und streckte seine Hand nach meinem Fußgelenk aus, als er sah, wie ich meine Beine von seinem Bett schwingen wollte. „Nicht. Lasse mich das erklären."
„Dann erkläre es aber auch.", gab ich härter zurück als beabsichtigt und merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen und mein Blick unscharf wurde. Eilig wischte ich mir mit dem Ärmel über die Augen und funkelte Paul danach weiter fest an. Seine Hand umschloss noch immer mein Fußgelenk, als ob er Angst hätte, ich könnte ihm davonlaufen, wenn er es losließe.
„Es tut mir Leid.", setzte er an. „Aber..." Er kaute auf seiner Unterlippe herum und zuckte schließlich hilflos mit den Schultern. „Weißt du, ich war damals nicht glücklich, als du mit Thomas zusammen warst, weil ich nicht wollte, dass..." Er verstärkte den Druck seiner Finger um mein Fußgelenk. „Weil ich damals schon nicht wollte, dass du einen anderen hast. Und selbst als es vorbei war, warst du noch ewig in München. Dann warst du endlich zurück und es hat trotzdem ewig gedauert, bis ich dir gesagt habe...." Er sah mich fast flehentlich an. „...dass du mehr bist als meine beste Freundin und trotzdem gab es danach noch dieses hin und her. Ich habe keine Lust mehr auf Stress und andere Typen, die dich küssen. Ich will das nicht. Das ging einfach zu lange für mich."
„Andere Typen, die mich küssen?", wiederholte ich ungläubig und sah ihn aus großen Augen an. „Paul- das war eine einmalige Sache, die nicht von mir ausging. Ich fühle mich ultra mies, weil ich zwei, drei Sekunden gebraucht habe, um ihn wegzuschieben. Darüber reden wir, nicht über wiederholtes Fremdknutschen."
„Ich weiß.", sagte er leise und zog die Schultern hoch. Er sah mit einem Mal viel jünger aus als sonst. „Es kotzt mich trotzdem an. Ich bin nichtmal böse auf dich, es kotzt mich nur einfach an, dass jemand anders dich geküsst hat und ich jetzt dieses Bild im Kopf habe. Ich bin halt eifersüchtig, was soll ich machen? Das kann ich nicht einfach abstelllen."
„Ich hätte also nichts sagen sollen.", sagte ich schroff und zog mit einem Ruck meinen Fuß an meinen Körper, so dass er mich loslassen musste.
„Doch, das war schon besser so." Er ließ den Kopf hängen und knibbelte an seinen Fingern herum. „Wenn ich das von Pia und nicht von dir gehört hätte, wäre ich durchgedreht."
„Du hast es aber von mir gehört und trotzdem sitzt du vor mir, als ob jemand gestorben wäre."
„Würde das an dir abperlen, wenn ich dir erzählt hätte, ich hätte mit einer Mitbewohnerin von Pia im Regen auf dem Balkon gestanden, ewig über irgendwelche Selbstfindungstrips nach Asien gesprochen und mich dann von ihr küssen lassen?" Eine Spur von Wut mischte sich in seine Stimme und ich brauchte keine Sekunde, um die Antwort darauf zu wissen.
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...