Part 133

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Ich wusste nicht recht, was ich darauf erwidern sollte. Ich gönnte den beiden die Reise- was hätten sie sonst auch machen sollen? Darauf warten, dass die Dinge noch schwieriger wurden, als sie vermutlich eh schon lagen? So freundlich und zugänglich meine Großmutter heute gewesen war: wenn sie sich die ganze Zeit so verhalten würde, dann hätten die beiden wohl kaum die ganze Diagnostik losgetreten. Also rang ich mir ein „Viel Spaß" ab und mein Großvater schmunzelte in sich hinein.

„Kim, du musst hier mal raus.", sagte er und klopfte mir auf die Schulter. „Lebe mal ein bisschen. Das ganze Pferdehüten macht dich viel zu ernst. Mache mal was anderes."

Ich verdrehte die Augen und erinnerte ihn daran, dass ich nicht nur gerade erst aus dem Kurzurlaub zurückgekommen war, sondern auch im Begriff war, meinen Job hinzuwerfen.

„Aller Anfang ist schwer.", erwiderte er darauf, drückte mich fest und verabschiedete sich. „Und ziehe dir diese Jacke an, bevor du noch krank wirst.", rief er mir zu, als er vorsichtig durch den Sand gen Ausgang stakste.


Es war fast zehn, als meine Mutter und ich Donni dann doch aufluden und zur Klinik fuhren. Es wurde nicht schlimmer- aber es tat sich nichts. Mir war nicht wohl dabei, die ganze Nacht davor zu zittern, dass es schlimmer werden könnte und dann mit einem wirklich angeschlagenen Pferd überstürzt loszufahren. Und meine Mutter, die zwar keine Bedenken hatte, mitten in der Nacht noch loszufahren, gefiel nicht, wie Donni mir immer öfter ihren Kopf in die Arme legte und dabei die Augen schloss. „Der geht's nicht gut, da kann sie noch so ruhig atmen und scheinbar entspannt stehen.", sagte sie, als sie sich das ein paar Minuten angesehen hatte. Ihr war die Sache zu heiß- da war sie offen. Donni war eben nicht nur eines der Familienpferde, die ohnehin mehr Aufmerksamkeit bekamen als der Rest, Donni war- trotz des drohenden Freizeitpferdstatus- immer noch eins der besten Pferde im Stall und meine Mutter machte keinen Hehl daraus, dass ihr nicht danach war, die Stute am Ende wegen einer falsch eingeschätzten Kolik einschläfern zu lassen. Überhaupt- der Ton meiner Mutter war unerwartet schroff. Während wir Donni verluden, während wir fuhren und auch, als wir sie in der Klinik anmeldeten und meine Mutter alle erforderlichen Papiere ausfüllte und mit einem Augenrollen die OP-Freigabe erteilte. „Warum bringe ich das Pferd denn sonst in der Nacht?", fuhr sie sie die junge Frau hinterm Tresen an, die erschrocken zurückzuckte. Ich lächelte ihr über die Schulter meiner Mutter hinweg aufmunternd zu, aber sie zog es vor, keine Miene mehr zu verziehen, während meine Mutter giftig ihre Unterschrift unter die Dokumente setzte. Wir luden ab, stellten Donni der diensthabenden Tierärztin vor, warteten die Untersuchungen ab und ich versuchte nervös seinem Gesichtsausdruck zu entnehmen, was er zu sagen hatte. Je mehr Zeit er sich ließ, desto mehr zog sich mein Inneres zusammen. Ich wollte Entwarnung- ich brauchte Entwarnung. Weil ich an Donni hing wie an keinem anderen Pferd, weil sie mir immer wieder den Kopf zuwandte, wie um sich zu vergewissern, dass ich noch da war und weil der Tag auch so schon einfach zu viel gewesen war. Als sie sich uns endlich zuwandte, sagte mir ihr Gesichtsausdruck gleich, dass die Nacht noch nicht vorbei war. Bei dem Wort „Dickdarmverlagerung" atmete ich aus, schlang meine Arme fest um meinen Körper und hielt erstmal die Luft an. Die Tierärztin erklärte uns freundlich und gleichzeitig sehr geschäftsmäßig, dass der Kreislauf stabil und der Darm immerhin kaum aufgegast war, weswegen sie davon ausging, dass eine Operation nicht nötig werden würde. „Ich bin ganz optimistisch, dass wir das medikamentös in den Griff kriegen.", sagte sie mit einem vorsichtigen Lächeln in Richtung meiner Mutter, die zwar nicht mehr so weiß war wie am Nachmittag, aber trotzdem noch elend aussah- elend und wirklich schlecht gelaunt.

Mir war, trotz der beruhigenden Worte der Tierärztin, die Tragweite, die das Wort Dickdarmverlagerung sonst nur allzu oft hatte, sehr bewusst. Vielleicht stand ich deshalb fast fünf Minuten mit dem Rücken zur Stallgasse in der Box, die Donni für die Nacht bezog und kraulte ihre Nüstern. „Versprich, dass du keinen Quatsch machst.", flüsterte ich ihr schließlich kurz bevor ich mich von ihr losriss zu und kämmte dabei mit meinen Fingern durch ihren Schopf. „Mache einfach keinen Quatsch."

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