Part 158

69 16 0
                                    


Bella und Pip wuselten aufgeregt um meine Beine herum, als ich mit Paul am Kofferraum stand und mir eine meiner Taschen über die Schulter hängte und Paul die zweite übergab. Er nahm sie mir wortlos ab, schlug den Kragen seiner Jacke hoch und warf einen skeptischen Blick zum wolkenverhangenen Himmel. Renesse gab alles, um ihm einen so ungemütlichen Empfang wie nur möglich zu bereiten. Auf der Fahrt hierher waren wir nicht nur in einen Stau geraten, es hatte auch ununterbrochen geschüttet und wir hatten streckenweise so langsam fahren müssen, dass wir insgesamt fast anderthalb Stunden länger gebraucht hatten als geplant. Jetzt war es zwar trocken, aber uns pfiff ein kalter Wind um die Ohren, als wir auf die Haustür zugingen, die Hunde auf den Fersen. Ich warf einen flüchtigen Blick über die Schulter in Richtung Stalltor und merkte mit großer Erleichterung, wie ich trotz Müdigkeit, trotz kalter Finger und einem schweigsamen Paul an meiner Seite froh darüber war, wieder hier zu sein.

„Ich muss dir nachher mal Highlight zeigen.", sagte ich zu Paul, als ich klingelte.

„Bin gespannt.", nuschelte er in seinen Schal und zog fröstelnd die Schultern hoch.

Als Benthe aufmachte, dieses Mal statt in Thermoleggins in einer normalen Jeans, begrüßte sie mich mit derselben herzlichen Umarmung, mit der sie mich verabschiedet hatte und reichte Paul mit den Worten die Hand, dass er dann wohl der hartnäckige Minnesänger sei. Normalerweise hätte Paul sicher darüber gelacht, aber seine Laune war zu schlecht, um anders zu reagieren als „Scheinbar" zu brummen. Als Benthe uns dann je einen riesigen Becher Kaffee kochte, sich mit uns hinsetzte und uns fragte, wie die Fahrt so gewesen sei, wanderte sein Blick durch den Raum, durchs Fenster auf den Hof und mit jedem Schluck, den er trank, wurde sein Gesichtsausdruck weniger abweisend. Ich atmete durch und als er das merkte, gab er sich wirklich Mühe. Er schleppte nach dem Kaffee mit mir meine Sachen hoch, guckte sich in dem Zimmer von Benthes Sohn um, in dem ich in den nächsten Monaten schlafen würde, befand es für gemütlich und ließ sich danach von mir den Stall zeigen. „Schon anders als bei uns.", stellte er fest, als wir die Stallgasse entlanggingen. „Schon..."

„kleiner?", beendete ich seinen Satz und griff nach seiner Hand, um ihn mit mir Richtung Reithalle zu ziehen, wo ich Marieke vermutete.

„Mehr Holz?", bot er mir ein alternatives Satzende an und ich stimmte ihm lachend zu.

Nachdem wir Marieke gefunden und begrüßt hatten, die mir bei der Umarmung ins Ohr geraunt hatte, dass das Foto von unserer Homepage Paul nicht gerecht werden würde, hatten Paul und ich uns dick angezogen und einen Abstecher an den Strand gemacht. Es war mittlerweile nach vier und Paul, der den ganzen Weg zurück nach Hause noch fahren musste, sah immer wieder angespannt auf seine Uhr. Trotzdem- oder vielleicht gerade deswegen- standen wir eine ganze Weile im Wind, sahen gemeinsam auf die unruhige See und versuchten uns gegenseitig uns mit unserem Zeitplan Mut zu machen. Er wollte in vier Wochen kommen, ich dann im Mai nach Hause fahren und für den Juni hatten wir auf den Plan gesetzt, das erste Mal zusammen in der Nordsee zu schwimmen- notfalls auch bei Regen. Auf der Rückfahrt vom Strand zu Benthe war ich versucht, ihm das Versprechen abzuringen, einen großen Bogen um die Jennys und Veronikas dieser Welt zu machen, aber ich schaffte es, mich zurückzuhalten und behielt meinen Wunsch hinter meinen Zähnen. Vertrauen statt Eifersucht war eine anstrengende Sache und so, wie er auf seiner Unterlippe herumkaute, schluckte er ähnliche Bedenken herunter.

Nachdem Paul weggefahren war, fühlte ich mich seltsam leer. Ich ging nach oben und räumte meine Taschen aus, verstaute meine Klamotten im Schrank, rief meine Mutter an, die ich gerade zwischen zwei Reitstunden erwischte und sagte Bescheid, dass ich gut angekommen und Paul schon auf dem Rückweg sei. Ich fragte unnötig lange nach Donni und sogar Felix, weil ich nicht mit der Leere in mir alleine bleiben wollte, aber es dauerte keine zehn Minuten, bis sie weitermachen musste. „Du kannst mit deinem Vater sprechen, wenn du willst.", sagte sie und ich hörte das schlechte Gewissen in ihrer Stimme. „Der sitzt auf dem Pferd, aber du weißt ja, telefonieren kann der trotzdem."

Ich lehnte das Angebot dankend ab, legte auf und richtete mich gerade auf dem Bett auf, als Benthe an der Tür klopfte und mich fragte, ob ich nicht Lust hätte, vor dem Abendessen noch Highlight zu reiten- immerhin würden wir beide es auch der Stute verdanken, dass ich nun da sei. Ohne zu Zögern nahm ich das Angebot an, zog mich um, begleitete Bente in den Stall und vergaß, kaum dass ich auf Highlight saß, wie sehr ich damit beschäftigt war, mich einsam zu fühlen.

Die nächsten Tage verflogen regelrecht: anders als zuhause saß ich nicht den ganzen Tag auf dem Pferd. Ich stand frühmorgens auf, half beim Füttern und beim Rausstellen der Pferde, gönnte mir danach oft ein ausgiebiges Frühstück mit Benthe und ritt dann vier Pferde. Eins davon war zuverlässig Highlight und ich probierte wie schon bei dem Lehrgang herum, testete meine Fähigkeiten und spielte mit dem, was die Stute anbot. Es fühlte sich erfrischend wenig wie Arbeit an, auch wenn ich ungefähr gleich oft zufrieden und verschwitzt oder sehr demütig und nicht weniger verschwitzt abstieg. Der Nachmittag war es aber, der sich wirklich von der Arbeit zuhause unterschied: je nachdem was anfiel und wie viel Benthe, Carl oder Marieke zu tun hatten, mistete ich, zog die Halle und den Platz ab, ging mit den Hunden spazieren oder kaufte für Benthe und mich ein. Es gab immer etwas zu tun, aber nach Feierabend war ich selten erschlagen, höchstens vom Seewind durchgepustet. Carl, der wie Marieke sein Glück über die kurzfristige Entlastung kaum fassen konnten, lud uns beide direkt am ersten Freitag zu sich und seiner Familie zum Abendessen ein und ich hätte mich am liebsten in den Schoko-Eierlikör Kuchen, den seine Frau für den Nachtisch gebacken hatte, hineingelegt. Die Nacht danach schlief ich, wie die übrigen Nächte auch, wie ein Murmeltier, meinen Kopf auf einem von Pauls Pullovern, den ich beim Auspacken meiner Tasche zwischen meinen Jeans gefunden hatte, weil Paul ihn als Überraschung in meine Tasche geschmuggelt hatte. Wenn ich morgens aufwachte und zuallererst Paul einen guten Morgen wünschte, kraulte ich währenddessen mit der freien Hand Pip, der schon nach wenigen Tagen gewohnheitsmäßig neben meinem Bett schlief. Ich war einfach zufrieden und mit jedem Tag, der verging und mit dem ich den Stall, die Menschen, die Tiere und meine Aufgaben besser kennenlernte, fühlte ich mich heimischer. Hätte ich nicht zuverlässig zur Abendbrotzeit, nach der ich für gewöhnlich Paul anrief und wir über unseren Tag sprachen, schmerzhaft Sehnsucht nach ihm gehabt, dann hätte es nicht besser sein können. 

----

Kim-Marie ist vorerst angekommen. Könnte schlechter für sie laufen, oder?

AuftauchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt