Part 112

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Paul stützte seinen Ellbogen auf, legte sein Kinn auf der Hand ab und sah mich an. Seine Augen blickten mich ruhig, aber besorgt an, von Müdigkeit keine Spur mehr, obwohl es wirklich mitten in der Nacht war. „Was denn?"

„Ich habe was Dummes gemacht.", flüsterte ich und streckte meine Hand nach einem Oberarm aus, als könnte ich ihn damit daran erinnern, dass zwischen uns doch alles gut war, als könnte ich damit dem Gefühl vorbeugen, dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte. „Als ich bei Pia in Berlin war."

„Kim..." Er atmete tief aus und schloss die Augen, als hätte er die Kopfschmerzen seines Lebens.

„Ihr Mitbewohner hat mich geküsst." Meine Fingernägel krallten sich bei den Worten in seinen Oberarm, als wollte ich ihn vorsorglich festhalten.

Während ich die Luft anhielt, schüttelte Paul den Kopf und fluchte leise. „Im Ernst?", fragte er dann und sah mich direkt an.

„Ich wollte das nicht, er hat mich total überrumpelt." Das stimmte zumindest zur Hälfte. Ich hatte das vielleicht nicht gewollt, aber ich hatte das schon irgendwie kommen sehen. Eine Stille so drückend wie Gewitterluft lag über uns.

„Erkläre mir das.", gab er zurück und ich hörte an der Härte in seiner Stimme, wie sehr er sich gerade zusammenriss. Also erklärte ich, erst stockend, dann immer schneller, bis meine Stimme sich beinahe überschlug. Ich erzählte davon, wie ich auf dem Balkon gestanden hatte und wie Martin nach draußen gekommen und mit mir über seine Reise quer durch Asien erzählt hatte. Ich erzählte vom Regen und meiner verlaufenen Wimperntusche und Martins Hand in meinem Gesicht. An der Stelle schob Paul meine Hand von seinem Oberarm und seine Augen nahmen einen Ausdruck an, den ich erst einmal gesehen hatte: damals, im Hotelzimmer, nach diesem dämlichen Kuss und dem noch viel dämlicheren Spruch, der ihn so verletzt hatte. Ich stockte und wollte mit einem Mal die letzten ein, zwei Sätze für mich behalten.

„Und dann?", fragte Paul kühl und ich sah, wie sich seine Kiefermuskeln anspannten und er seine Schultern zurückrollte.

„Nichts eigentlich."

„Dann hat er dich geküsst.", fasste Paul wesentlich treffender zusammen, was passiert war.

„Ja.", murmelte ich und schluckte schwer. „Paul, das ging nicht von mir aus, ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht ihn zu küssen. Es ist einfach passiert und es war quasi sofort wieder vorbei und..."

„Quasi sofort?"

„Ich bin reingegangen und mehr war nicht."

„Ja...quasi sofort." Er setzte sich auf, zog die Knie an den Körper und rieb sich mit Zeigefinger und Daumen über die Schläfe. Ich saß hilflos daneben, weil ich wusste, dass mir mein „quasi sofort" sehr wahrscheinlich das Genick brechen würde.

„Es hat überhaupt nichts bedeutet, Paul."

„Und warum erzählst du es mir dann nicht einfach direkt?" Er hob nicht einmal den Blick, während er das fragte.

„Du hast dich so gefreut, als du mich am Bahnhof abgeholt hast. Ich wollte es nicht versauen. Außerdem habe ich mich gefragt, ob ich es erzählen muss, wenn es nichts bedeutet hat. Ich wollte nicht unnötigerweise ein Fass aufmachen."

Bevor ich den Satz zu Ende gesprochen hatte, flog Pauls Kopf zu mir herum und er funkelte mich fassungslos an. „Soll ich anfangen, Dinge zu machen, die bestimmt nichts bedeuten und sie dir dann nicht erzählen?"

„Es war ein Kuss und der hat keine fünf Sekunden gedauert, Paul.", versuchte ich ruhig zu entgegnen, während ich innerlich beinahe verzweifelte. „Und ich habe es dir erzählt, weil ich ehrlich zu dir sein will und weil ich nicht möchte, dass du es am Ende irgendwie über Pia erfährst und..." Ich schloss meinen Mund, weil ich merkte, dass ich mit dem zweiten Teil meiner Begründung die Dinge nicht besser gemacht hatte.

Paul fluchte wieder, schwang seine Beine aus dem Bett und stand auf. Er wandte mir den Rücken zu, während er die Hände auf der Fensterbank aufstützte und nach draußen sah.

„Es tut mir Leid.", sagte ich und legte alle Aufrichtigkeit in die Entschuldigung, die ich aufbringen konnte. „Es tut mir ehrlich Leid und es passiert nie wieder."

Statt mir eine Antwort zu geben, drehte er mir weiter den Rücken zu und ich sah trotz der Dunkelheit, wie sich bei jedem Atemzug seine Rippen unter seinem T-Shirt hoben und senkten.  „Paul..." Ich nahm meinen Mut zusammen, schwang meine Beine ebenfalls aus dem Bett und stellte mich hinter ihn. Sehr abwartend und vorsichtig lehnte ich meine Wange an seinen Rücken und erst, als ich mir sicher war, dass er es zulassen würde, schlang ich meine Arme von hinten um ihn. Ein paar, sich wie eine Ewigkeit anfühlende Atemzüge später, schob er seine Hand auf meine und sein Daumen strich vorsichtig und fast abwartend über mein Handgelenk.

„Okay.", hörte ich ihn sagen, spürte an seinem Rücken, wie er tief ausatmete, fühlte, wie die Angst von mir abfiel.

„Danke.", flüsterte ich und schlang meine Arme fester um seinen Körper, drückte ihm einen Kuss zwischen die Schulterblätter und spürte, wie die Erleichterung das Gefühl einer sich um mein Herz krampfenden Faust löste. Es war okay, wir waren okay. Es war ausgesprochen, es konnte nicht mehr auffliegen und ich war ehrlich gewesen. Es war gut.

„Danke, dass du es erzählt hast.", sagte Paul und ich spürte, wie er sein Gewicht verlagerte und sich in meine Umarmung lehnte. Er klang müde, angestrengt vielleicht, aber nicht wütend.

„Ich wollte es wirklich nicht verheimlichen." Meine Finger kraulten fest seine Bauch und ich spürte dankbar seinem Atem unter meinen Fingern und an meiner Wange nach, während mein Herz nicht nur befreit, sondern auch verliebt gegen meine Rippen pochte. Thomas hätte mich umgebracht, wenn ich ihm sowas hätte beichten müssen. In seiner cholerischen, besitzergreifenden Art hätte er einen Wutanfall bekommen, an dessen Ende ich heulend in der Ecke gesessen hätte. Ich machte mir nicht vor, dass Paul lustig fand, was ich ihm gerade erzählt hatte. Spätestens jetzt wusste ich, dass Paul nicht weniger eifersüchtig war als ich- und ich spürte immer noch bei dem bloßen Gedanken an alles, was zwischen ihm und Jenny wohl gewesen war, tausend kleine Stiche auf der Haut und ein brennendes Gefühl im Magen. Vielleicht gab es deswegen für mich, weil ich ahnte, wie schwer ihm dieses kleine „Okay" gefallen sein musste, keine anderen Worte, um ihm zu sagen, was ich fühlte, als ich „Ich liebe dich.", flüsterte, voller Dankbarkeit und mit aufgeregt klopfendem Herzen. Die Stille, die danach eintrat, tat mehr und mehr weh, je länger sie andauerte. Er sagte nichts. Nichts. Es war, als habe ich nichts gesagt, als sei ich nicht gerade über meinen Schatten gesprungen. Dabei hatte ich genau das gemacht. Seine Muskeln unter meiner Wange hatten sich verspannt, sonst hätte ich nicht gewusst, ob meine Worte zu ihm durchgedrungen waren. Und jetzt stand er da, sah aus dem Fenster und schwieg. Zögerlich ließ ich meine Arme sinken und hob meinen Kopf. Paul rührte sich nicht, auch dann nicht, als ich mich aufs Bett fallen ließ und mir die Decke bis ans Kinn zog. Ich fühlte mich bloßgestellt, drehte mich auf den Bauch und verbarg mein Gesicht im Kissen. Die lächerlichen anderthalb Meter, die uns voneinander trennten, die Stille, die dick war wie Butter und mit jeder Sekunde, die verstrich, undurchdringlicher wurde- beides tat weh. Mit einem Ruck stieß Paul sich von der Fensterbank ab und ich spürte seinen Blick in meinem Rücken.

„Lass uns schlafen.", sagte er.


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angespannte Stimmung, würde ich sagen. Und ihr so?

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