Part 74

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Was sie in den folgenden Minuten erzählte, war für mich fast unerträglich. Die Kurzfassung war, dass ein guter Bekannter von ihr ein Pferdesportzentrum bei Ingolstadt aufbaute- geplant war es als Riesending. Angedacht war, dort fast jedes Wochenende entweder Turniere, Trainingsveranstaltungen oder Lehrgänge anzubieten. Nicht nur für Dressur und Springen, sondern eben auch für die Vielseitigkeit. Ihr Bekannter- ich hätte ihn am liebsten erschossen- hatte sie angesprochen. Man könne jemanden wie sie dort brauchen. Jemanden, der die Vielseitigkeitssparte dort voranbringen oder zumindest erstmal in Gang bringen könnte, jemanden, der bei der Ausbildung von Pferd und Reiter genauso wertvoll sein könne wie bei der Planung von Turnieren und Lehrgängen. Jemanden mit Erfahrung und Kontakten. Ihr würde doch der Vielseitigkeitssport fehlen. Das tat er. Das wusste ich. Trotzdem schüttelte ich nur verständnislos den Kopf. Das konnte nicht ihr verdammter Ernst sein. Lukas hörte mit neutralem Gesichtsausdruck zu und hatte ein paar Mal nachgefragt was ihre Aufgaben sein würden oder warum es sie reizte. Mich interessierte das herzlich wenig. Ich biss stattdessen so krampfhaft meine Zähne zusammen, dass meine Kiefermuskeln anfingen zu schmerzen. Wie stellte sie sich das bitte vor? Ich kannte die Strecke nach München und wusste, dass es nach Ingolstadt fast genauso weit war. Mein Blick fiel unwillkürlich auf Felix. Er war zwölf, verdammt. Überlegte sie gerade ernsthaft, ihn alleine zu lassen? Überlegte sie ernsthaft, mal eben sechs Autostunden zwischen sich und ihn zu bringen? Und zwischen sich und mich? Und zwischen sich und Papa? Und Lukas?

„Kim...", sagte sie vorsichtig, als sie mit ihrer Erklärung durch war und ihr Blick auf mein erstarrtes Gesicht fiel.

„Vergiss es.", sagte ich fassungslos und starrte sie ungläubig an. „Fernfamilie oder was sind wir dann?"

„Es ist ja nicht für immer.", versuchte sie mich zu beschwichtigen und brach ab, als das Essen kam.

„Wie weit ist es nach Ingolstadt eigentlich?", fragte Felix und machte sich augenblicklich über seine Spaghetti her. Wenn ich das nicht gewusst hätte, dann hätte ich vielleicht auch weniger schockiert geschaut.

„Bloß so sechs Stunden, Felix.", sagte ich und spürte, wie zynisch ich klang. „Sie wird ganz schnell da sein, wenn du sie mal brauchen solltest."

Lukas stupste mich unterm Tisch mit dem Fuß an, aber ich war so fassungslos, dass mich das herzlich wenig interessierte. Felix sah währenddessen meine Mutter aus großen Augen an.

„Das ist nicht ums Eck, ich weiß.", sagte sie und ignorierte das Essen, dass vor ihr stand. „Es ist auch nichts beschlossen. Ich wollte mit euch darüber reden, ob ihr euch das vorstellen könnt. Wenn nicht, dann ist es sofort vom Tisch"

Lukas räusperte sich und zuckte mit den Schultern. „Ich bin erwachsen und weiß selbst nicht, wo ich in ein paar Monaten bin. Ich bin also sicher nicht die entscheidende Stimme hier." Er sah zu Felix, der angestrengt auf seine Spaghetti schaute.

„Keine Ahnung.", sagte der und zuckte mit den Schultern, vermied dabei aber weiter jeden Blickkontakt mit dem Rest von uns. „Wie lange wärst du weg?"

„Der Vertrag ginge erstmal über ein Jahr."

„Erstmal.", schnaubte ich verächtlich. „Und dann? Nochmal ein Jahr? Und noch eins? Und zack, bist du entfristet und geschieden. Herzlichen Glückwunsch, Mama."

Felix zuckte und Lukas trat mich nochmal unterm Tisch, dieses Mal fester. Erschrick Felix nicht zu Tode, das sagte sein Blick eindeutig. Mir war das egal.

„Sorry, einer muss es doch sagen.", fauchte ich. „Oder habt ihr es eh schon geschafft?"

„Was geschafft?", fragte Felix und sah abwechselnd meine Mutter und mich an.

„Ob Mama und Papa ihre Ehe an die Wand gefahren haben und sie deswegen abhaut."

Sie schüttelte langsam den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Zwischen eurem Vater und mir ist alles in Ordnung. Er weißt, dass wir hier sitzen und darüber reden. Er und ich haben darüber gesprochen, aber bevor wir zu zweit entscheiden, wie wir die Idee finden, wollte ich von euch hören, ob es überhaupt eine Option sein kann." Sie sah mich an und lächelte mitgenommen. „Aber da wir eine Gegenstimme haben, ist es erledigt."

„Wow." Ich blinzelte wütend. „Jetzt habe ich es dir versaut oder was?"

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Schon gut. Es war ein Gedankenspiel."

„Spiele deine Gedankenspiele vielleicht erstmal alleine durch, bevor du uns da reinziehst!" Ich zitterte vor Wut, als ich mit meiner Gabel eine Kartoffel aufspießte. „Schön zu wissen, dass du kein Problem damit hättest uns sitzen zu lassen."

„Du bist erwachsen, Kim. Lukas ist erwachsen. Ihr seid frei, hinzugehen wo ihr wollt und zu machen was ihr wollt. Wenn ihr euch dafür entscheidet wegzugehen, dann muss ich das auch aushalten."

„Und Papa? Und Felix? Der ist zwar erst ein Sechstklässler, aber who cares. Wenn er morgen überlegt, dass er ausziehen möchte, dann findest du das sicher auch okay und musst das aushalten, oder?" Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr schäumte ich vor Wut.

Lukas nahm noch einen Schluck von seinem Bier, bevor er langsam nickte. „Du hast eine zweite Gegenstimme von mir. Wenn klar wäre, dass das befristet ist und bleibt, dann würde ich dich unterstützen. Ich weiß ja auch, wie gern du was für den Vielseitigkeitssport tun willst und wie sehr es dir fehlt. Aber mit so einer unklaren Perspektive...Ich würde schon gerne noch ein paar Jahre an Feiertagen zu meiner Familie fahren. Dafür habe ich euch schließlich und wenn du auf Dauer da unten wohnst, dann sehe ich das nicht." Er zog die Schultern hoch und sah sie nachdenklich an.

Felix sagte noch immer nichts und ich fragte mich, was in seinem Kopf vorging. Ob er gerade darüber nachdachte, ob er groß und erwachsen genug war, um sie nicht zu brauchen. Ob es besonders erwachsen und tapfer von ihm wäre zu sagen, dass sie ruhig gehen könne. Oder ob er darüber nachdachte, wie viele Freiheiten er wohl plötzlich hätte, wenn sie nicht mehr im Haus wäre. Endlich ausschlafen, Essen vom Pizzamann und niemand, der den Fernsehkonsum kontrollierte.

„Die anderen haben ja schon nein gesagt.", sagte er schließlich und war dabei ziemlich blass um die Nase. „Damit ist es ja entschieden."



Mir brannten eine ganze Reihe Vorwürfe und Fragen auf der Zunge, die ich mühsam herunterwürgte. Ob sie meinen Vater insgeheim doch loswerden wolle. Was wir ihr bitte getan hatten, dass sie das ernsthaft in Erwägung zog. Ob sie wirklich so unzufrieden war mit dem, was sie hatte, dass sie sowas Extremes machen wollte. Wer brachte denn freiwillig eine solche Distanz zwischen sich und seine Familie? Zwischen sich und seinen Partner? Wie konnte es sein, dass mein Vater nicht sofort die Vollbremse gezogen hatte und ihr den Zahn gezogen hatte, bevor sie mir dieser wahnsinnigen Idee zu uns hatte kommen können. Fand er die Idee am Ende nicht so abwegig?

„Damit ist es wohl vom Tisch.", sagte Lukas ruhig und sah zu Felix, der gleichgültig ausgesehen hätte, wenn seine Unterlippe nicht verräterisch gezittert hätte. Meine Mutter legte vorsichtig ihre Hand seinen Unterarm. „Es war nur eine Idee, Felix. Ist abgehakt."

„Weiß ich doch.", sagte er mit verräterisch brüchiger Stimme und straffte seine Schultern. „Mir wäre es eh egal gewesen."

Ich hätte meiner Mutter gegönnt, dass er in Tränen ausgebrochen wäre, aber er tat mir den Gefallen nicht. Er aß ruhig und ohne irgendwen anzusehen seinen Teller leer. Als er fertig war, hatte er seine Unterlippe wieder unter Kontrolle und längst wieder den betont lässigen Gesichtsausdruck, den er auf der Autofahrt schon gehabt hatte. Felix war- das wurde mir an dem Tag zum ersten Mal klar- eindeutig der talentierteste Schauspieler der Familie. 



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Kim ist jetzt so richtig in Partylaune 🎉🎉

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