Part 37

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„Wieso rausholen?"

Weil ich alleine gewesen war für fast drei Jahre, während sich meine Kollegen über mich das Maul zerrissen hatten. Weil ich so oft Angst vorm nächsten Morgen gehabt hatte. Weil mein Freund sich so herrisch aufgeführt hatte, dass ich genau gewusst hatte, dass ich ihn meinen Eltern nicht vorstellen konnte. Sie hätten ihn für mich rausgeschmissen. Weil ich trotzdem eine Weile bei ihm geblieben war, um nicht alleine zu sein. Weil er danach alles noch viel schlimmer gemacht hatte und ich mich so wahnsinnig dumm gefühlt hatte. „Es war mies.", setzte ich an und schluchzte so heftig los, dass ich nicht mehr weitersprechen konnte. Das war nicht mies gewesen. Es war grausam gewesen und genau das hatte sich, seit ich angefangen hatte, erst Pia und dann Paul davon zu erzählen, immer mehr in mein Bewusstsein gefressen. Ich konnte mir selbst nicht mehr verkaufen, dass es eine schwierige Zeit gewesen war, die ja glücklicherweise vorbei war und mich nicht mehr berührte, die nichts mit mir gemacht hatte. Mich machte wahnsinnig, dass ich heute, Monate nach meiner letzten Begegnung mit Thomas, alles getan hatte, um ihn nicht zu provozieren, dass ich zugelassen hatte, dass er einfach seinen Arm um meine Schulter legte und mich mit sich zog. Diese Macht, die das über mich hatte, machte mich krank vor Wut. „Geht gleich wieder.", japste ich irgendwann, lehnte mich nach vorne und vergrub mein Gesicht in den Händen, während ich versuchte, durchzuatmen. Meiner Mutter, die sich vermutlich in ihrem ganzen Leben noch nicht einmal von irgendjemandem irgendetwas hatte sagen lassen, war so viel schwieriger, als es einer Pia gegenüber auszusprechen.

„Geht es?", fragte sie vorsichtig, nachdem ich minutenlang versucht hatte, mich zu beruhigen.

Langsam nickte ich. „Ja." Ich lehnte mich zurück, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. „Ich bin in München nicht so gut angekommen.", begann ich vorsichtig und schaute ins Leere, während ich erzählte. Wie schon Paul hörte auch sie stumm zu, aber als ich zu Thomas kam, konnte ich trotzdem nicht weitersprechen. Nicht, nachdem sie ihn kennengelernt und ein Gesicht zu der Geschichte vor Augen hatte.

„Was hat er gemacht?", fragte sie schroff, als ich weiter beharrlich schwieg. Ich warf ihr einen nervösen Blick zu, den ersten, seit ich angefangen hatte zu sprechen. Sie war bleich vor Wut und hatte die Finger so fest ins Lenkrad gekrallt, dass ihre Knöchel weiß waren.

„Er war...schwierig. Ich habe mich getrennt. Er war sauer und hat sich auf die Seite der anderen geschlagen.", sagte ich und versuchte, das möglichst beiläufig klingen zu lassen, damit sie nicht nachfragte. Es war sinnlos.

„Was heißt schwierig?", fragte sie und sah dabei so angespannt aus, dass ich ihr vorsichtig die Hand auf den Unterarm legte.

„Ma...alles gut."

„Was heißt schwierig?", wiederholte sie nur mit starrem Gesichtsausdruck.

„Eifersüchtig, ", setzte ich zögerlich an. „impulsiv, bevormundend..." Ich hörte auf. Mehr musste sie nicht wissen.

„Und was meinst du damit, dass er sich auf die Seite der anderen geschlagen hat? Wie soll ich mir das vorstellen?"

Ich zögerte lange, bevor ich ihr antwortete und jedes Wort war schon mehr, als ich sie wissen lassen wollte. „Er hat den anderen ein paar Dinge über mich erzählt, die nicht wahr waren. Die fanden's lustig- ich nicht so." Fest biss ich mir auf die Unterlippe, weil ich sofort unsere Begegnung vom Nachmittag im Kopf hatte. Die anderen konnten gar nicht glauben, wie viel Spaß. Wieder vergrub ich mein Gesicht in den Händen. „Frage einfach nicht.", sagte ich und schüttelte dabei den Kopf.

Sie sprach nicht und ich sah erst auf, als ich merkte, wie sie vom Gas ging und auf einen Parkplatz fuhr.

„Was machst du?", fragte ich als sie den Transporter abstellte, die Fahrertür aufriss und ausstieg.

„Wonach sieht's aus?", gab sie zurück, griff unter den Fahrersitz, schien für einen Moment zu suchen und zog dann eine Schachtel Zigaretten hervor. Immer noch kreidebleich steckte sie sich mit zitternden Händen eine an und blieb draußen stehen. Sie nahm schweigend einen tiefen Zug nach dem anderen und wirkte so rastlos und wütend, dass ich mich erst nicht traute, auszusteigen. Erst, als sie die Zigarette ausdrückte und ich dabei sah, dass ihre Augen wieder verdächtig schimmerten, stieg ich aus, ging um den Transporter herum und nahm sie in den Arm.

Ich spürte, wie sie richtig anfing zu weinen und für einen Moment versuchte, mich wegzudrücken, bevor sie ihre Arme dann doch um mich schlang. „Ich verstehe es nicht.", schluchzte sie und ihr ganzer Körper bebte. „Wieso hast du nichts gesagt? Wir hätten dich geholt- sofort. Wir hätten dich doch nie dagelassen. Das waren drei verdammte Jahre..." Ihre Stimme brach weg und ich tat nichts weiter, als ihr über den Rücken zu streichen. „Wir haben gedacht, dass es dir gut geht und wenn wir dich gefragt haben...du hast nie was gesagt. Wir hätten dich da rausgeholt. Das weißt du, oder?"

„Es ist okay, Mama.", hörte ich mich selbst sagen.

„Du weißt, dass wir dich geholt hätten, oder?", wiederholte sie unter Tränen und ich nickte.

„Ich weiß das."



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weiß sie das wohl wirklich? ;)

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