Part 176

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Ich entließ Donni nach der Arbeit mit der Rentnergang auf die Wiese und lehnte noch eine ganze Weile am Tor, um ihr dabei zuzusehen, wie sie und Paula hingebungsvoll Fellpflege betrieben. Bevor ich nach Renesse gegangen war, war dieser Moment so wahnsinnig weit weg gewesen. Sie jetzt so zu sehen, schmerzfrei auf der Wiese und sogar wieder unterm Sattel, führte mir vor Augen, wie viel Zeit vergangen war- Monate eben. In nicht einmal zwei Monaten würde ich für diesen verrückten zweiten ersten Schultag wieder nach Hause kommen. Der Gedanke, dass ich eigentlich für sehr viel mehr als nur für die Schule hatte wieder zurückkommen wollen, drängte sich mir auf und stieß mich mit der Nase auf das Thema, dass ich schon den ganzen Tag angestrengt versuchte auszuklammern. Paul. Er rief mich seit dem Morgen an- immer wieder. Ich sah längst nicht mehr auf mein Handy, spürte es aber doch in meiner Hosentasche wieder und wieder vibrieren. Er wollte scheinbar reden, während ich versuchte zu entscheiden, was ich wollte. Der gehässige, gemeine Teil von mir schlug vor, ihn doch anzurufen und ihm zu sagen, dass er doch erstmal eine Weile darüber nachdenken solle, was für ein Freund er sein wolle. Der Rest von mir hatte keine Lust auf Sticheleien.

Langsam ging ich den langen Gang zwischen den Weiden entlang und ignorierte wie schon so oft an diesem Tag einen eingehenden Anruf, als ich ihn um die Ecke biegen sah, in Jeans und T-Shirt und mit Fias Strick zwischen den Fingern. Erschrocken hielt ich für einen Sekundenbruchteil in der Bewegung inne, bevor ich meinen Blick auf den Boden senkte und eilig weiterlief. Er hatte frei. Er hatte Urlaub. Normalerweise wurde Fia dann versorgt. Ich war mir nicht einmal sicher gewesen, ob er in der Nacht in seiner Wohnung im Haus geschlafen hatte oder ob er nie nach Hause gekommen war. Was machte er also hier? Warum war er nicht in seiner neuen Wohnung und tapezierte, spachtelte Löcher zu oder trank mit seiner Familie Einweihungskaffee? Und wer rief mich gerade an, wenn nicht er?

„Kim, warte.", hörte ich ihn sagen als uns noch wenige Meter trennten, aber ich stapfte weiter, den Blick auf den Boden gerichtet. „Kim, bitte.", schob er hinterher, aber ich bremste nicht ab, weil....

„Au." Er hatte versucht, sich mir in den Weg zu stellen und ich war ungebremst gegen seinen ausgestreckten Arm gelaufen.

„Kim, bitte höre mir zu.", flehte er und hielt meinen Arm fest. „Bitte."

Den Blick immer noch fest auf den Boden vor mir geheftet, versuchte ich mich aus seiner Umklammerung herauszuwinden. „Lasse mich los, Carstens." , fauchte ich und kämpfte gegen den unbedingten Impuls, ihm meinen Ellbogen unter die Nase zu schlagen.

„Es tut mir Leid.", sagte Paul mit Nachdruck. „Kim, bitte glaube mir einfach, dass es mir Leid tut."

„Das habe ich dir gestern schon geglaubt." Ich zog und zerrte an meinem Arm und als es mir weiterhin nicht gelang, mich aus seinem Griff zu befreien, funkelte ich ihn wütend an. Die Betroffenheit in seinem Blick machte mich nur wütend. Es tat ihm leid, ich tat ihm leid. „Leidtun reicht nicht, Paul.", setzte ich mit zitternder Stimme hinterher.

„Dann sage mir, was ich tun kann."

Wenn das so einfach wäre. Wenn ich darauf eine Antwort gehabt hätte. Wenn ich gewollt hätte, dass er die Dinge zwischen uns in Ordnung brachte.

„Du hast schon alles getan.", erwiderte ich und zog noch einmal ruckartig an meinem Arm. „Du hast mich wie eine Idiotin dastehen lassen, während du deinen Spaß mit Jenny hattest. Du hast mir das Gefühl gegeben, ich sei verrückt und hysterisch- dabei hatte ich Recht. Du hast mich darüber nachdenken lassen, wer ich sein will und währenddessen für dich entschieden, dass du ein feiges Arschloch sein willst. Ich will nicht, dass du noch mehr tust. Das geht nicht gut aus für mich.", zischte ich und sah ihm an, wie jedes Wort tiefer schnitt als das davor. Er schüttelte fast wie benommen den Kopf und ließ mich los, ich blieb vor ihm stehen und wartete.

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