Part 144

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Als wir an Rotterdam vorbeifuhren, war die Sonne schon untergegangen und ich starrte trotzdem noch nach draußen aus dem Autofenster in die Dunkelheit.

„Alles in Ordnung?", fragte mein Vater irgendwann und ich nickte leicht.

„Ja, alles gut. Ich bin nur müde." Das stimmte sogar, aber ich schloss meine Augen trotzdem nur, um der Nachfragerei zu entgehen. Ich rührte mich auch nicht, als mein Vater zuhause anrief und meine Mutter und er bestimmt eine halbe Stunde über die Freisprechanlage telefonierten, dabei darüber sprachen, was am Wochenende zuhause im Stall passiert war, wie es bei uns so gelaufen war und dass Lukas wohl endlich ein WG-Zimmer in Berlin gefunden hatte- gerade noch rechtzeitig. Der Umzug sollte in den nächsten Tagen stattfinden. An der Stelle hob ich dann doch meinen Kopf. Über den ganzen Stress der letzten Wochen hatte ich völlig verdrängt, dass Lukas wegziehen würde. Es versetzte mir- sowieso wehmütig, weil ein Teil meines Ichs dringend an den Strand nach Renesse zurückwollte- einen richtig schmerzhaften Stich. Klar, Lukas hatte schon in den letzten Jahren sein eigenes Leben gehabt und wir waren nicht ständig in Kontakt gewesen, aber es fühlte sich dennoch seltsam an, dass er jetzt so richtig wegziehen würde. Er war halt Familie. Ich verwarf den Gedanken daran, ihn zu fragen, ob er vor dem Umzug noch vorbeikommen würde, weil ich darauf vertraute, dass er den Umzug sowieso mit einem unserer Anhänger machen und den noch abholen würde. Kurz bevor mein Vater auflegen wollte, fragte ich dann doch noch, wie es Donni ging und meine Mutter versicherte mir, dass es ihr gut ginge und sie bei ihren Spaziergängen um die Stallgebäude- der einzigen Bewegung, die sie gerade haben durfte- am Wochenende ziemlich anstrengend geworden sei. Sie hatte ihr daraufhin den kleinen Paddock vor ihrer Box aufgemacht und seitdem stand sie wohl draußen, hielt die Nase in den Wind und bestaunte durch die Stangen, die ihren Paddock von Bennys trennten, den zotteligen alten Wallach, der ganz verliebt in seine neue Nachbarin war. Mir war alles lieb, was Donni über die Langeweile hinweghelfen würde, denn bevor sie auf einen der großen Paddocks oder die Wiese gehen durfte, würde einfach noch viel Zeit ins Land gehen.

„Na, vielleicht hebt das ihre Stimmung.", sagte mein Vater, nachdem er aufgelegt hatte und sah mich aufmunternd an.

„Die Idee ist bestimmt gut.", erwiderte ich und wollte schon wieder meine Augen schließen, als mein Vater sich leise räusperte.

„Kim- ich habe dich mitgenommen, damit du ein bisschen raus kommst und es dir besser geht. Jetzt guckst du schon wieder wie....ich weiß nicht...."

„Es ist wirklich nichts..." Ich sah ihn an und er warf mir einen Blick zu, der deutlicher nicht hätte sagen können, dass er mir kein Wort glaubte und so langsam seine Geduld verlor. „Marieke hat da sowas angedeutet. Dass Benthe den Stall vielleicht aufgeben will. Darüber denke ich nach, das ist alles."

„Darüber denkt Benthe nach, ja.", sagte er zu meiner Verwunderung sofort.

„Es ist ihr Zuhause."

„Ihr Mann ist da gestorben."

„Mama würde den Stall auch nie verkaufen, wenn du nicht mehr wärst."

Er seufzte leise. „Das ist was anderes. Du hast Benthes Stall selbst gesehen. Es ist ein Traumstall- für jemanden, der damit kein Geld verdienen will. Das trägt sich selbst und deckt noch mit ab, was sie zum Leben braucht- aber dafür macht sie sich auch richtig krumm. Und Jan ist nicht mehr da. Ohne ihn wäre sie nie auf die Idee gekommen, mal einen eigenen Stall zu haben. Das war sein Traumleben- und sie wollte ein Leben mit ihm. Ich kann ihr nicht verdenken, dass sie nicht weiß, ob sie da noch alleine alt werden will."

„Die Entscheidung ist also schon gefallen?"

„Das braucht. Sie muss mal alles durchrechnen und mit den Kindern sprechen. Leichtfertig trifft sie die Entscheidung bestimmt nicht. Wie du gesagt hast: Es ist ihr Zuhause."

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte und noch weniger verstand ich, warum es mir so nahe ging, dass Benthe den Stall vielleicht aufgeben würde. Es war schließlich nicht so, dass ich mit Benthe und ihrem Zuhause eng verwoben gewesen wäre. Vor dem Wochenende schonmal gar nicht. „Was ist dann mit Highlight?"

„Was soll mit der sein? Ich glaube kaum, dass sie Highlight abgeben wird. Die hat Jan selbst ausgebildet und geritten, die ist genauso Familie wie Rubinstein bei uns. Den wird Mama auch kaum loswerden, falls ich vor ihm das Zeitliche segnen sollte. Was ich übrigens nicht vorhabe." Den letzten Satz fügte er stirnrunzelnd hinzu, als ich stumm an meinen Fingernägeln herumknibbelte. „Es hat mir übrigens wirklich Spaß gemacht, dir und Highlight zuzusehen. Man hat richtig gesehen, wie du von Tag zu Tag mehr Freude an der Sache hattest. Du weißt, dass du auch immer eines von meinen Pferden reiten kannst, wenn du da noch was dazu lernen möchtest."

„Danke.", murmelte ich und seufzte leise. Er meinte diesen Vorschlag wirklich gut und ich hatte heute nach dem Training sogar kurz selbst darüber nachgedacht, ihn danach zu fragen. Wenn ich aber ehrlich mit mir war, dann hatte die Freude an der Arbeit mit Highlight wenig mit dem Wechsel vom Stangenwald ins Viereck zu tun, sondern einfach mit dem ganzen Drumherum. Meine Probleme waren zuhause geblieben, Benthe hatte uns toll umsorgt, ich hatte ein Pferd und nicht mindestens acht zu reiten gehabt und ich hatte mal wieder etwas ausprobiert, von dem ich wusste, dass ich darin nicht besonders gut war. Und genau deswegen hatte ich da auch nichts von mir erwarten müssen. Das alles ließ sich nicht damit gleichsetzen, zuhause regelmäßig eine Fanjana mitzureiten.

„Du hast dich ein bisschen in Highlight verguckt, oder?", fragte mein Vater und ich zuckte seufzend mit den Schultern.

„Nicht nur in Highlight. Ich mag Benthe und ihre Leute und den Stall und ich mag das Meer.", sagte ich leise und sah zu meinem Vater herüber.

„Benthe mag dich auch. Als sie vorhin am Strand meinte, die Hunde hätten nichts dagegen, wenn du bleiben würdest, hat sie wohl eher von sich selbst gesprochen. Fahre doch im Sommer bevor die Schule losgeht mit Paul hin. Selbst wenn sie verkaufen will, so schnell geht das ja alles nicht." Über das Wort Schule war er ein bisschen gestolpert, aber da ging es ihm nicht anders als mir. Es fühlte sich noch immer ungewohnt und unwirklich an.

„Vielleicht mache ich das."

Als wir zuhause ankamen, war es zwar schon stockdunkel, aber ich machte trotzdem einen Abstecher zu Donni, bevor ich zu Paul ins Haus ging. Sie stand in der Box, die Nase im Heu vergraben und hob aber sofort den Kopf, als sie mich sah. Seit den harten Wochen in der Klinik, in der ich Tag um Tag bei ihr gesessen und sie gekrault hatte, war sie anders zu mir. Sie guckte mehr nach mir, sie war vorsichtiger und sie legte mir immer öfter einfach ihren Kopf in die Arme und holte sich so ihre Streicheleinheiten ab. Irgendwie hatte diese harte Zeit uns doch mehr zusammengeschweißt. Vorher wäre ich auch kaum spät abends noch einfach für ein kurzes Stirnkraulen bei ihr im Stall aufgetaucht- aber jetzt wollte ich einfach sichergehen, dass es ihr wirklich gut ging. Ich schlang meine Arme um ihren Hals, wuschelte ihr kurz durch die Mähne und ließ sie los, als sie neugierig den Rucksack auf meinem Rücken unter die Lupe nahm und mit den Zähnen an der Seite zog. „Da ist nichts drin für dich, Maus.", sagte ich, ließ sie los, schob vorsichtig ihr Maul zur Seite und verriegelte ihre Box, nachdem ich draußen war. 


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Abschiedsschmerz auf mehreren Ebenen und Stallromantik. 

Was sagt ihr- Kommt Lukas noch vorbei und kann Paul Kim über das Meer hinwegtrösten? ;)

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