Part 123

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Lukas atmete noch einmal tief durch, als ob er und nicht ich in den nächsten Tagen dazu würde stehen müssen, dass ich zwar keine Ahnung hatte, was ich mit mir anfangen sollte, aber dass ich nicht einfach weitermachen würde. „Was ist dein Plan?", fragte er und ich sah, wie er einerseits fast erleichtert war und gleichzeitig ernsthaft besorgt.

„Abi machen.", sagte ich und vermied es dabei gründlich, ihn anzusehen. „Ich brauche eine Alternative, falls ich das nicht mehr packe mit dem Reiten." Oder nicht mehr will. Den Gedanken erlaubte ich mir, aber ich brachte es noch nicht über mich, das auszusprechen. Nicht, weil ich wirklich nicht mehr wollte, aber weil die Vorstellung so krass war, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich mir selbst in dem Fall verkaufen sollte, dass es eine Option war, wirklich nicht mehr zu wollen. Die ganze letzte Nacht über hatte ich, während ich meine Stirn gegen Pauls Rücken gelegt hatte, darüber nachgedacht, was ich für mich wollte, was mir wichtig war und was ich von meinem Leben erwartete. Es waren diese Gedanken gewesen, für die vor meiner Ausbildung absolut kein Platz in meinem Kopf gewesen war, weil ich nur ein einziges Ziel gekannt hatte- erfolgreich reiten. Damals hatte sich das so leicht angefühlt, so als hätte ich das Ziel eigentlich längst erreicht und nicht so, als würde es ein frustrierender, steiniger Weg werden, gesäumt von Neid, Missgunst und der Angst, den an mich geknüpften Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Außerdem- und das war etwas, dass mir auch nur langsam bewusst geworden war- einmal oben ankommen reichte nicht. Beständig weiter arbeiten, aushalten, wenn monate- oder jahrelang gar nichts lief- ich war mir nicht sicher, ob ich das aushalten würde. Ich konnte mich nicht länger an den Gedanken ketten, dass das eben so sein musste- denn das musste es nicht. Ich sah es an Lukas, an Pia, sogar an Jenny, die andere Wege einschlugen und deren Leben eine Neugier in mir weckte, die ich schwer beschreiben konnte. Ich wollte ein bisschen mehr von dem, was sie hatten, ein bisschen mehr das Gefühl, noch lernen zu dürfen, noch ausprobieren zu dürfen, mich noch umentscheiden zu dürfen. Ich wollte nicht Nicht-Reiten, ich wollte nur weniger Druck und mehr von allem anderen. Als ich das Lukas erzählte, lächelte er vage.

„Ich vergesse immer, dass du ja quasi mit sechzehn angefangen hast zu arbeiten.", sagte er und schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich bin 26 und fange meinen ersten, richtigen Job an. Das ist schon ziemlich heftig im Vergleich."

„Ja, schon...", erwiderte ich und machte mir selbst erstmal klar, was das bedeutete. Mit 16 war ich- rückblickend betrachtet- noch ein halbes Kind gewesen.

„Und wie willst du das angehen?"

Ich seufzte tief und hätte am liebsten mit den Schultern gezuckt und keine Ahnung gesagt, was aber einfach nicht mehr stimmte. Mein Plan stand- jetzt musste ich nur noch dazu stehen und das fiel mir- gerade nach der Attacke meiner Großmutter- wirklich schwer. „Ich will zum Berufskolleg."

„Und dann Fachabi?" Lukas Augen leuchteten begeistert auf und ich musste wirklich alles an Mut zusammenpacken, was übrig war.

„Vollabi." Meine Zunge klebte bei dem Wort fast am Gaumen fest und Lukas Augen wurden immer größer.

„Extrem cool, Kim.", sagte er dann und lächelte fast stolz.

Ich schob meine Hände in die weiten Ärmel meines Pullovers und konnte nicht anders, als ihn flehentlich anzusehen. „Kein Wort zu irgendwem, okay?"

„Warum denn das nicht?" Er zwickte mir sachte in die Schulter. „Das sind gute Neuigkeiten. Wer soll sich darüber ärgern? Du traust dich was und am Ende hast du Abi. Da kann es keine geteilte Meinung zu geben."

„Hoffentlich habe ich am Ende Abi.", versuchte ich ihn in seinem Enthusiasmus zu bremsen, während ich die Arme um meinen Oberkörper schlang, die Hände immer noch in den Pulloverärmeln verborgen. „Außerdem muss ich das ganze noch ein bisschen sacken lassen." Wie um das zu bekräftigen holte ich tief Luft, bevor ich meine Knie an den Körper zog und meine Arme fest um meine Knie schlang. Ich war müde und durch und hatte den Eindruck, der gestrige Abend und die Unsicherheit der letzten Monate hätte alles an Kraft aus mir herausgesogen, was nach der Zeit in München noch übrig gewesen war; und München hatte richtig an mir gezogen- und während ich meine Stirn auf meine Knie ablegte und die Augen schloss, schaffte ich es, mir das einzugestehen. Und als das erstmal in mein Bewusstsein gesickert war, machte sich eine weitere Erkenntnis in mir breit, die mich mit einer Wucht traf, auf die ich nicht vorbereitet war: vielleicht hatte ich im letzten Jahr einfach nicht funktionieren können. Vielleicht war es irgendwie okay, dass ich es nicht gepackt hatte und vielleicht hatte es erstaunlich wenig mit dem Reiten an sich zu tun.

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