„Meine Nichte Alena und mein Neffe Thomas.", hörte ich Ulrich erklärend zu meiner Mutter sagen, während das Blut in meinen Ohren rauschte.
„Hallo." Thomas reichte meiner Mutter die Hand, während Alena ihre Hände hinterm Rücken verschränkte. „Schade, dass ich Sie nicht kennengelernt habe, als ich noch mit Kim zusammen war." Er lächelte sein charmantestes Lächeln und ich fror endgültig ein. Wie konnte er? Ich warf einen flüchtigen Blick auf sein Gesicht und er erwiderte meinen Blick mit einem herablassenden Grinsen.
„Besser spät als nie." Meine Mutter klang ziemlich reserviert, zog langsam ihre Hand zurück und ließ sich nicht anmerken, dass sie von dieser Begegnung wahrscheinlich auf mehr als einer Ebene überrascht war.
„Wie geht's denn so, Kim?" ,fragte er und die Art, wie er meinen Namen aussprach, sagte mir, dass er immer noch eine Menge Wut auf mich mit sich herumtrug.
„Prima.", sagte ich, immer noch mit leiser Stimme und hob nur sehr widerwillig meinen Kopf, um ihn anzusehen. Sneakers, dunkle Jeans, blaues Polo-Shirt. Dunkelbraune Haare, Dreitagebart, grüne Augen. Genauso, wie ich ihn kennengelernt hatte. Wenn er lächelte, hatte er Grübchen. Ich hatte Angst vor dem, was er lostreten konnte, wenn er nur wollte. „Und selbst?"
„Kann nicht klagen. Sagt,", damit wandte er sich an Ulrich. „könnt ihr Kim für einen Augenblick entbehren?"
Natürlich fragte er nicht mich. Ich traute mich nicht, meiner Mutter einen flehenden Blick zuzuwerfen, damit sie mich aus der Situation retten konnte. So wenig, wie ich mit ihm alleine sein wollte, noch weniger wollte ich ihn in ihrer Nähe wissen.
„Sicher doch.", hörte ich Ulrich sagen und schon im nächsten Augenblick hatte Thomas seinen Arm um meine Schulter gelegt, zog mich fest an sich und rief ein „Bis gleich" über die Schulter. Ich traute mich nicht mal, mich aus seinem Klammergriff zu befreien, weil ich ihn nicht provozieren wollte, solange die anderen in Hörweite waren. Trotz der sommerlichen Temperaturen und seinem Arm um meiner Schulter war mir eiskalt.
„Du siehst so angespannt aus.", sagte er in einem heiteren Tonfall.
„Bin ich nicht."
„Und begrüßen kannst du mich auch nicht richtig."
„Was willst du denn? Ich sage Hallo- das ist mehr, als du nach unserer Trennung zu mir gesagt hast, wenn wir uns noch über den Weg gelaufen sind." Und sicher eine ganze Menge weniger, als er über mich gesagt hatte.
Er blieb stehen, ließ mich aber nicht los und ich musste gezwungenermaßen zu ihm hochsehen. „Weißt du", sagte er und sein Gesichtsausdruck wurde nachdenklich. „Manchmal vermisse ich dich."
War er bescheuert? Stocksteif sah ich weiter zu ihm auf und wartete darauf, dass er weitersprach.
„Wirklich- gerade abends."
Unwillkürlich drängte sich mir für einen kurzen Moment die Erinnerung daran auf, wie gut es sich erst angefühlt hatte, als wir uns kennengelernt hatten. Diese blöden, harmlosen Dates, die mir die Abende, die ich sonst immer alleine verbracht hatte, gerettet hatten. Picknick, Kino, wir bei seiner Familie.
„Weißt du, wir hatten eine Menge Spaß..." Er lächelte und hätte er seinen Arm nicht immer noch wie eine Schraubzwinge um mich liegen gehabt, ich wäre versucht gewesen, ihm abzukaufen, dass er an die gleichen Dinge dachte. „Die anderen konnten gar nicht glauben, wie viel Spaß."
Obwohl ich nichts anderes erwartet hatte, wurde mir gleichzeitig heiß und kalt und ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen.
„Ich verstehe dich nicht.", brachte ich hervor und versuchte, wenigstens seinem Blick standzuhalten. „Warum machst du das? Warum lässt du mich nicht in Ruhe?"
„Tue ich doch." Er grinste. „Ich bin nur kurz sentimental geworden. Das darf ich dir doch sagen." Als ich seinen Daumen über meine Schulter streichen spürte, hielt ich es nicht mehr aus. Es erinnerte mich zu sehr an den Heimweg aus dieser blöden Kneipe, als Paul mich im Arm gehalten hatte und an das, was danach schiefgelaufen war- auch seinetwegen.
„Hau ab.", fauchte ich und boxte ihn so fest mit dem Ellbogen in die Seite, dass er mich tatsächlich losließ.
„Du bist echt empfindlich.", rief er mir hinterher, als ich zum Stallzelt rannte und ich bildete mir mindestens ein, dass er lachte.
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Nachdem sich so oft über Kim geärgert wurde, muss man vielleicht auch mal mit leiden
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Auftauchen
Teen FictionIch ertrinke. Ich ertrinke in endloser Tiefe, In endloser Aufrichtigkeit. Ich will Auftauchen. Will ich? Kim Feldmann ist 19 Jahre alt und kehrt nach der abgeschlossenen Bereiterausbildung auf den elterlichen Hof zurück. Dort erwarten sie nicht nur...