Part 1

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Ich ertrinke.
Ich ertrinke in endloser Tiefe,
In endloser Aufrichtigkeit.
Ich will Auftauchen.
Will ich?





Lächelnd beobachtete ich den fallenden Schnee, die einzelnen Flöckchen, die vom Himmel schwebten und sich lautlos auf die Erde legten.
Eine dünne Schneeschicht bedeckte bereits den Weg, der sich zwischen den Bäumen hindurchschlängelte.
Der Pfad war schmal, verlief zwischen hohen Bäumen, war kurvig und verzweigt.
Doch ich kannte ihn.
Obwohl ich so lange weggewesen war, hätte ich ihn im Schlaf gefunden.
Nirgendwo sonst war ich so gern entlang geritten.
Es war so friedlich, so ruhig hier.
Die winterliche Morgenluft war kalt, war frisch, war mein persönlicher Weckruf.
Leicht klopfte ich meiner Stute den Hals, strich mit meinen in dicke Winterhandschuhe gepackten Fingern über ihr Fell.
Mich hielt die klirrende Kälte nicht im Haus, nicht im Stall, nicht in irgendeiner Reithalle. Zumindest nicht heute.

Dick eingepackt in meine Winterjacke und mehrere Schals hatte ich mich in den Wald getraut, sobald die Sonne aufgegangen war.
Diese Stille...
In aller Ruhe trabte ich an, als der Weg breiter wurde und ließ mich von Donnis Schwung mitnehmen.
„Hey!", hörte ich jemanden rufen und fuhr herum. Ich lächelte, als ich die Stimme erkannte. Ja, ich war wieder zuhause. Endgültig.




Am langen Zügel ritten wir eine gute halbe Stunde später wieder auf den Hof.
Paul schüttelte noch immer den Kopf darüber, dass ich nichts davon erzählt hatte, dass ich wieder zurück wäre und ihm auch an diesem Morgen nichts davon erzählt hatte, ausreiten zu wollen.
„Ich bin doch erst gestern Abend wiedergekommen.", wiederholte ich lachend.
„Warum hast du mir nicht schon vor einer Woche gesagt, dass du wiederkommst?", wollte er wissen. Er war mir nicht böse, aber ziemlich verwundert, dass ich nicht wenigstens Bescheid gesagt hatte.
Genau das war ich im Grunde auch.
Warum hatte ich ihm nicht gesagt, dass ich nach Hause käme?
Warum hatte ich nur meinen Eltern im Vorfeld Bescheid gesagt und sie gebeten, den anderen nichts zu erzählen?
Ich seufzte leise.
Paul war der beste Freund, den man sich wünschen konnte und er war mit Sicherheit die Person gewesen, die ich am meisten vermisst hatte.
Fast drei Jahre lang war ich weggewesen, war zu besonderen Anlässen für ein paar Tage nach Hause gefahren und hatte ihn dann natürlich auch gesehen.
Meine Ausbildung war jetzt vorbei und was lag näher für mich, als auf den Hof meiner Eltern zurückzukehren, wo ich die besten Trainingsmöglichkeiten und viele talentierte Sportpferde zur Verfügung hatte?
„Weiß nicht. Ich wollte euch überraschen, denke ich.", sagte ich und zuckte mit den Schultern, während ich mich umsah.
Viel hatte sich nicht verändert.
Eine dicker werdende Schneeschicht bedeckte das Pflaster des Hofes und die Dächer der Stallungen und der drei Reithallen.
Die Reitplätze waren verwaist.
Noch waren die großen Wiesen leer- vermutlich würden die sich in der nächsten Stunde füllen.
Schnaubend streckte Donni sich und beobachtete, wie mehrere Reiter mit ihren Pferden in der Halle verschwanden.
Ich spürte, wie Paul mich nachdenklich musterte. „Es ist aber alles in Ordnung? Die Bereiterprüfung hast du bestanden, oder?"
„Paul!" Ich parierte Donni durch und ließ mich aus dem Sattel gleiten. „Das war jetzt nicht die größte Herausforderung, okay?"
„Wir haben gewettet, weißt du..." Er machte eine bedeutsame Pause, während er abstieg und anschließend den Sattelgurt lockerte. „ob du bestehst, mit Auszeichnung bestehst oder durchfällst. Und jetzt..." Er wandte sich wieder zu mir um. „...würden wir natürlich gern wissen, wer gewonnen hat."
Verlegen ordnete ich Donnis schwarze Mähne. „Mit Auszeichnung.", sagte ich leise. „Aber kein Wort. Zu niemandem."
„Aber..."
„Nein." Energisch schüttelte ich den Kopf. „Ich habe keine Lust, mich beglückwünschen zu lassen." Ohne mich zu vergewissern, dass er mir folgte, stapfte ich mit Donni in den Stall.
„Kim?"
„Paul?" Ich versuchte versöhnlich zu lächeln, während ich Donni vor ihrer Boxentür auf der Stallgasse festband.
„Wie wäre es, wenn wir beide eben die Pferde fertig machen und ich dir dann ein paar Leute vorstelle?"
„Wen denn?", fragte ich neugierig. Neue Leute waren immer interessant.
„Wir haben zwei neue Auszubildende hier."
Kurz überlegte ich, ehe ich zustimmte. „Aber lass mich vorher duschen.", fügte ich noch hinzu. „Meine Finger fühlen sich an wie Eiszapfen."






Eilig zog ich mir einen dunkelblauen Pullover über und griff zum Föhn.
Meine langen, blonden Haare trockneten immer furchtbar langsam, was gerade im Winter ein Fluch sein konnte. Eine Weile lang ließ ich mich von der heißen Luft umwirbeln und spürte, wie sich die Wärme langsam aber sicher in mir ausbreitete.
Als ich den Föhn beiseite legte und meine Haare wie gewohnt zu einem Pferdeschwanz band, betrachtete ich mich selbst im Spiegel.
Knapp 1,70 groß, ziemlich schlank, blond, grüne Augen. Tja, das war ich.
Kim Feldmann, 19 Jahre alt, Bereiterin.
Was hätte ich auch sonst machen sollen? Welchen Weg schlug man auch sonst ein, wenn man mit 14 sein erstes S-Springen ritt und mit 15 zum ersten Mal mit seinem Pony eine Europameisterschaft gewann?
Niemand hatte mir je vorgeschrieben, was ich zu werden hatte.
Ich hatte es immer gewusst. Seit ich denken konnte hatte ich Bereiterin werden wollen. Das und nichts Anderes.
Für mich hatte es nie Alternativen gegeben, ich hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet.
Das Reiten hatte für mich immer Priorität gehabt. Ebenso wie für Paul.
Als er sein Pony damals zu uns gestellt hatte, waren wir schnell Freunde geworden, hatten gemeinsam trainiert, wir zwei und...
Ich wandte mich von meinem Spiegelbild ab und schob entschlossen die Ärmel meines Pullis nach oben.

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