Part 118

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Sie funkelte ihn giftig an und er sagte eine Weile nichts, ehe er sich zurücklehnte und nur leise „Reg dich ab.", sagte, in einem gleichzeitig sanften und bestimmenden Tonfall. Für jeden, vermutlich sogar für Paul, schwang das „Mache keine Szene" überdeutlich mit. Sie sagte tatsächlich nichts und wandte den Blick ab. Statt meinen Vater fixierte sie jetzt ihren leeren Teller. Mein Großvater räusperte sich vernehmlich und kündigte den Nachtisch an, woraufhin alle aufstanden und anfingen, ihre Teller in die Küche zu räumen. Meine Großmutter warf die Kaffeemaschine an und meine Mutter verschwand durch die Schwingtür aus Glas. Mein Vater sah ihr kurz hinterher, ganz, als überlegte er, ihr hinterherzugehen.

„Paul.", hörte ich meinen Großvater sagen, nachdem er das Tiramisu mittig auf den großen Eichenholztisch gestellt hatte. „Wenn du schonmal hier bist, dann musst du auch was probieren." Er ging ihm voran ins Wohnzimmer und blieb neben dem alten, dunklen Holzbuffet stehen, in dem er seine Gin-Sammlung verstaut hatte. Felix, Lukas, mein Vater und ich waren den beiden gefolgt und beobachteten amüsiert, wie mein Großvater Paul die verschiedenen Sorten und ihre Vorzüge erklärte. Gin sammeln war sein Hobby. Wo immer er und meine Großmutter ihren Urlaub verbrachten oder er einen besonders guten Gin trank, er brachte eine Flasche mit. Da er selten trank, war mittlerweile eine wirklich beachtliche Sammlung entstanden. Er öffnete eine der Flaschen, holte vier Gläser heraus und schenkte sich selbst, meinem Vater, Lukas und Paul ein.

„Das ist mein Favorit.", erklärte er und alle schnupperten andächtig, bevor sie tranken.

„Nicht schlecht.", sagte Lukas anerkennend. „Vielleicht sogar zu schade für Gin Tonic."

„Auf jeden Fall zu schade für euer Mixgetränk.", erwiderte mein Großvater und zwinkerte ihm zu. „Paul, wie sagt er dir zu?"

„Nicht übel.", stimmte Paul Lukas zu. „Schmeckt der zitronig?"

„Oh ja, der hat ein mildes Zitronenaroma. Der hier" Mein Großvater schraubte die nächste Flasche auf. „hat ein ausgeprägtes Wacholderaroma."

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Ich verkniff mir ein Lachen und überließ die Männer sich und ihrem Gin, während ich einen Blick in die Küche warf. Meine Oma holte Kaffeetassen aus dem Schrank, aber meine Mutter war noch immer nicht zurück. Möglichst leise und unauffällig huschte ich ihr durch die schwere Schwingtür hinterher. Die Badezimmertür stand offen und es brannte kein Licht, deswegen ging ich direkt ins Obergeschoss, wo alle Türen geschlossen waren, bis auf die, die zum Gästezimmer, dem ehemaligen Zimmer meiner Mutter führte. Früher, als meine Eltern mich in den Ferien manchmal für eine Woche gemeinsam mit Felix hier abgegeben hatten, hatte ich hier geschlafen.

„Hey Mama.", sagte ich leise, als ich eintrat und sie auf dem Bett sitzen sah.

„Hey, Kim.", erwiderte sie und lächelte gezwungen. Sie lehnte an der Wand, die Beine lang ausgestreckt und friemelte am Saum ihres Pulloverärmels herum.

„Was machst du hier oben?"

„Nichts, nur...." Sie seufzte. „Nur mal kurz durchatmen."

„Wegen Papa?" Ich ließ mich neben ihr aufs Bett plumpsen und zog die Knie an den Körper.

„Ach, quatsch.", log sie und schloss die Augen. „Es ist anstrengend. Meine Mutter ist anstrengend." Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. „Paul schlägt sich gut, du schlägst dich gut.", sagte sie dann.

Verlegen nickte ich. Paul schlug sich wirklich ziemlich gut. „Opa macht unten eine Gin-Verkostung.", sagte ich, was meiner Mutter, wie erwartet, ein weiteres, tiefes Seufzen entlockte.

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