Part 108

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Schon am darauffolgenden Freitagmittag stand Niro bei uns auf dem Hof. Als Pia ihn vom Anhänger geführt hatte, hatte Niro sich mit hocherhobenem Kopf hingestellt, seinen Ponykopf einmal mit wachen Augen in alle Richtungen gedreht und dann- als würde er alles wiedererkennen- den Kopf mit einem Schnauben fallengelassen. Ich half Pia beim Abnehmen der Transportgamaschen, textete meinen Eltern, dass die beiden angekommen war und brachte Niro mit ihr gemeinsam in seine neue Box, wo er sich ohne zu Zögern über Wasser und Heu hermachte.

„Es fühlt sich so komisch an.", sagte Pia, während sie mit einem abwesenden Gesichtsausdruck ihr Pony beobachtete. „Vor einer Woche hat er dich noch bei mir in den Dreck gesetzt und jetzt..." Sie schüttelte den Kopf und streckte ihre Hand nach Niro aus, der sie geflissentlich ignorierte. Sie seufzte und steckte ihre Hände in die Hosentaschen ihrer Jeans, ließ Niro aber keine Sekunde aus den Augen. „Ich hätte nicht gedacht, dass das dazu führt, dass er plötzlich wieder bei euch im Stall steht."

„Ich hätte nie gedacht, dass das so schnell geht.", sagte ich und hörte, wie entschuldigend ich klang. Nachdem ich am Sonntagabend mit meinen Eltern gesprochen hatte und sie sich bei dem Gespräch nicht so richtig hatten in die Karten sehen lassen, hatte mein Vater sich am Montagmittag schon von mir Pias Handynummer geben lassen. Er hatte fast eine Stunde damit verbracht, sie darüber auszufragen, ob sie Niro wirklich abgeben wolle und in welchem Zustand das Pony denn nun eigentlich sei. Nachdem er sich von ihr aktuelle Bilder und Videos hatte schicken lassen, hatte er zwei Nächte darüber geschlafen und Pia am Mittwoch wieder angerufen. Meine Eltern kannten Niro und- hätte er nicht vier Jahre Turnierpause und weitgehend arbeitsfrei gehabt, sie hätten ihn sofort genommen. So allerdings waren auch sie skeptisch, ob er nochmal ein geeignetes Turnierpony für Felix werden konnte. Sie hatten sich am Ende mit Pia tatsächlich auf das Modell geeignet, dass Paul vorgeschlagen hatte. Er kam erstmal bei voller Kostenübernahme bei uns unter und mein Vater und Felix sollten in Ruhe das Training mit Niro aufnehmen. Wenn es nicht klappen sollte, würden meine Eltern Niro für Pia verkaufen.

„Das ist schon ganz gut so.", sagte Pia leise und schnalzte mit der Zunge. Niro hob kurz den Kopf, fraß dann aber weiter. „Langgezogene Abschiede taugen nichts und er ist ja erstmal nicht aus der Welt."

„Wenn der Plan aufgeht, ist er nicht nur erstmal nicht aus der Welt.", erwiderte ich und stupste sie aufmunternd an.

„Weißt du, dass der die ganze Fahrt über so ruhig stand, dass ich immer wieder anhalten und gucken wollte, ob er überhaupt noch da ist?" Pia seufzte schwer. „Als würde er schonmal gutes Benehmen proben."

Ich sagte nichts, schlang nur meinen Arm um ihre Schultern und wartete mit ihr. Paul kam noch dazu, begrüßte Niro und bewunderte augenzwinkernd seinen Bauch. Pia lächelte gezwungen und Paul, der ihre bebende Unterlippe noch vor mir sah, zog sie in eine ruppige Umarmung. „Der macht ein bisschen Diät und Sport und dann wird das. Du hast Felix selbst reiten sehen. Der macht sich gut und er hat Hilfe. Der kriegt Niro ans Laufen."

„Bestimmt.", brachte Pia mit gepresster Stimme heraus, ließ sich in die Umarmung sinken und legte ihre Stirn an Pauls Schulter ab. Wir standen wortkarg zu dritt vor der Box, bis erst Felix aufgeregt um die Ecke bog und meine Mutter ihm folgte.

„Hi, Pia. Seid ihr gut hergekommen?" Sie streckte Pia mit einem aufmunternden Lächeln die Hand entgegen und Pia ergriff sie und lächelte matt zurück. „Die Fahrt war lang, aber ruhig."

Felix hatte nur ein knappes „Hi" für Pia übrig schlüpfte dann ohne zu zögern in die Box, wo er ohne Berührungsängste Niro den Kopf aus dem Heu zog und ihn begrüßte. Man sah ihm an, dass der erste Blick aus Niros dunklen Knopfaugen ein Volltreffer war. „Niro ist wirklich schön, Pia.", sagte er andächtig und drehte sich mit einem glückseligen Gesichtsausdruck zu Pia um, die fast hilflos wirkte, während sie dabei zusah, wie Felix sich mit ihrem Pony bekannt machte.

„Wollen wir ihn mal laufen lassen? Dann kann er sich nach der Reise die Beine vertreten.", schlug meine Mutter vor.

„Gute Idee." Pia griff nach Niros am Boden liegenden Halfter und ich sah, wie sie ihren ersten Impuls, selbst in die Box zu gehen und Niro aufzuhalftern unterdrückte und stattdessen meinem Bruder das Halfter hinhielt. „Felix, willst du ihn nehmen?"




Pia blieb übers Wochenende und ritt Niro am Samstag vor, während meine Eltern mit kritischem Blick in der Halle standen. Man sah ihr an, wie sehr sie sich zusammenriss, wie sehr sie die Blicke der beiden nervös machen, aber Niro lief. Als am Sonntag mein Vater höchstselbst Niro ritt, saß mein Bruder auf einem Hocker in der Hallenmitte und sah und hörte zu. An der kurzen Seite der Halle hatten sich meine Mutter, Paul, Pia und ich versammelt und sahen gespannt zu. Niro, gut gelaunt und ponyschlau, testete nach zehn Minuten, ob der Fremde auf seinem Rücken wohl geeignet war, ihm Richtung und Tempo vorzuschreiben, schlug einen Haken und wollte gerade den ersten Bocksprung machen, als mein Vater schon Beine und Hände zumachte, ihn rückwärts richtete und anschließend konsequent vorwärts trieb. Niro wackelte nicht einmal verdächtig mit dem Ohr und immer wieder wurde in kurzen Reprisen Niros eigentliche Qualität sichtbar. Meine Mutter grinste vergnügt vor sich hin. „Das wird schon passen, Pia.", sagte sie offensichtlich zufrieden, als mein Vater schließlich abstieg, um mit Felix zu tauschen. „Ich wollte sowieso keinen Selbstläufer für Felix haben. Der soll schon lernen, wie das mit dem Reiten wirklich funktioniert."

Pia nickte und ich meinte zu sehen, wie ihr die Aussage einen Teil der Anspannung abnahm. „Wenn der erst wieder im Training ist, dann ist er bestimmt wieder kooperativer.", sagte sie und zog die Schultern hoch.

„So unkooperativ ist er jetzt auch nicht.", sagte meine Mutter und legte ihr für einen kurzen Moment die Hand auf die Schulter. „Mache dein Pony nicht so schlecht."

Paul sah über den Kopf meiner Mutter zu mir herüber und zwinkerte anerkennend. Ich lächelte zurück, ehe ich mich für die folgenden zehn Minuten Felix und Niro zuwandte. Es lief gut. Niro nahm seine Hilfen aufmerksam an, er ließ seine Kruppe unten und als Felix zum Abschluss einmal auf der Diagonalen die Tritte verlängern durfte, strahlte Felix Pia begeistert an. Damit war es beschlossen. Während Pia mit leerem Anhänger zurück nach Hamburg fuhr, fing für Niro der zweite Teil seiner Karriere als Turnierpony mit einem richtigen Aufbautraining an. Morgens lief er eine halbe Stunde in der Führmaschine, kam dann auf seinen Sandpaddock, wurde nachmittags gearbeitet und durfte abends- für eine Stunde und nur mit Fressbremse- auf die Weide. Er guckte extrem verzweifelt, als er zum ersten Mal versuchte, sich damit wie gewohnt übers Gras herzumachen. Felix schickte Pia sogar Videos davon, wie er bestimmt fünf Minuten energische Versuche unternahm, sie sich über den Kopf zu ziehen. So richtig sicher war ich mir nicht, wie ich den weinenden Smiley zu interpretieren hatte, den sie darunter setzte, als sie mir Felix' Nachricht weiterleitete. „Offenstallpony war gestern." schickte sie noch hinterher und ich konnte nicht anders, als: „Beinahe Hufrehe war auch gestern" zurückzuschreiben.  

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Die Mission war wohl erfolgreich. Einzig Niro dürfte sich ziemlich gekniffen fühlen :D

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