Part 159

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Nach zwei Wochen bekam ich zum ersten Mal einen Vorgeschmack darauf, wie nervenaufreibend eine Fernbeziehung sein konnte. Pauls Vater hatte Geburtstag gefeiert und die ganze Familie hatte sich getroffen. Samuel war mit Cara gekommen, die Großeltern waren da gewesen- und als Paul abends schlecht gelaunt anrief, brauchte ich fast zwanzig Minuten, bis ich aus ihm herausbekam, dass es ihn angekotzt habe, dort alleine zu sitzen. Es dauerte nochmal fünf Minuten, bis er sich und mir offen eingestand, dass er mich vermisst hatte und dass die Fragerei danach, wo ich warum für wie lange war und ob das für ihn nicht schwer zu ertragen sei, tatsächlich genau das gewesen war: schwer er ertragen. Und genau diesen Ärger und den unterschwelligen Vorwurf, den hätte ich, wenn ich ihn gesehen hätte, mit einer Umarmung und einem Kuss auflösen können. Aber er war nicht da, ich konnte ihn nicht umarmen und so redete ich mir fast eine Stunde den Mund fusselig und Paul blieb dabei schlecht gelaunt- auch wenn er sich am Ende Mühe gab, das zu verbergen. Mein schlechtes Gewissen nagte den ganzen nächsten Tag an mir, zumal die sonst übliche Nachricht zum Start in den Tag ausgeblieben war und Paul sich auch sonst nicht meldete. Erst als wir abends wieder telefonierten und Paul- von dessen schlechter Stimmung nichts übrig war- mir erzählte, dass er einfach wahnsinnig viel zu tun gehabt hätte, entspannte ich mich wieder. Der nächste Stolperstein lauerte eine Woche später, als ich am Freitagabend mit Marieke und ihren Freundinnen losziehen wollte. Ich hatte mein abendliches Telefonat mit Paul vorverlegt und mein Handy lag neben mir auf dem Tisch, während ich ungelenk und hochkonzentriert meine Fingernägel lackierte. Schon als ich ihm erzählt hatte, dass wir in eine Bar und danach vielleicht noch tanzen gehen wollten, hatte seine Tonlage von entspannt zu angespannt gewechselt, aber als ich ihn fragte, ob ihn etwas störte, verneinte er. Er versuchte sich an die Abmachung Vertrauen statt Eifersucht zu halten, das wusste ich, aber ich spürte, wie wenig ihm in den Kram passte, dass ich loszog. Ich versprach ihm, ihm eine kurze Nachricht zu schreiben, wenn ich meinen Weg ins Bett gefunden hätte, was ich dann morgens um vier, angetrunken und müde schlicht vergaß. Er tat zwar am nächsten Abend so, als sei das kein Drama für ihn, aber sein kühler Tonfall erzählte eine andere Geschichte. Wir klärten das- und als die ersten vier Wochen rum waren und ich am Freitagnachmittag mit frisch gewaschenen Haaren und dezent geschminkt in meinem Strickkleid am Küchenfenster auf- und abtigerte und ungeduldig auf das Geräusch von Autoreifen auf der Einfahrt lauerte, hielt ich es vor Vorfreude kaum aus. Benthe, die meine Ungeduld sonst unkommentiert ließ, erzählte mir mit einem Schmunzeln, dass sie den Abend bei einer Bekannten verbringen würde und ich brauchte dank des Ausnahmezustands, in dem sich mein Herz und Hirn beide gerade befanden, ein paar Minuten, bis ich den Hinweis darauf, dass wir das Haus für uns hätten, wirklich verstand.

Als ich das Auto dann endlich hörte, stürmte ich auf Socken nach draußen und sprang Paul mit einem großen Satz in die Arme. Ich kriegte meinen filmreifen Begrüßungskuss, der mein Ameisenvolk an die Belastungsgrenze brachte und weder er noch ich brachten einen sinnvollen Satz heraus, während ich ihn eilig mit nassen Socken die Treppe zu meinem Zimmer hochzerrte.




Als wir um zehn für Benthe die abendliche Stallrunde übernahmen, brauchten wir ewig dafür, weil ich kaum drei Schritte machen konnte, ohne dass Paul seine Arme um mich schlang und mich festhielt.

„Ich kann nicht arbeiten, Paul.", protestierte ich irgendwann halbherzig, weil wir zwar nicht vorankamen, mein Ego aber gleichzeitig zufrieden schnurrte.

„Ich habe dich aber vermisst.", flüsterte er und drückte mir einen Kuss aufs Ohr. „Was soll ich machen? Deinetwegen mache ich Entzugserscheinungen durch."

Belustigt schnaufte ich und drehte meinen Kopf so weit, dass ich ihn küssen konnte. „Du weißt, dass ich immun gegen Schmeicheleien bin?"

„Stimmt nicht.", seufzte er und ließ mich mit einem überlegenen Grinsen los. „Du liebst das."

Das stimmte, aber ich warf trotzdem mit einem vernichtenden „Als ob" meine Haare in den Nacken und ging ihm voran weiter durch den Stall. Wir kochten danach noch, was sich nicht weniger langwierig gestaltete als der Stallrundgang und erst als wir gegen Mitternacht gemeinsam auf Benthes Sofa lagen und ineinander verknotet eine Serie sahen, kamen wir so richtig beieinander an und realisierten, dass wir einander erstmal wiederhatten.

„Kommst du klar? So ohne mich?", fragte ich schließlich leise zwischen zwei Folgen und Paul holte sehr tief Luft und nickte dann.

„Meistens. Manchmal ist es mies."

„Wie bei dem Geburtstag?", fragte ich nach und er nickte wortlos. Damit ließen wir das Thema vorerst ruhen. Zu viel Schwere konnte der Abend einfach nicht vertragen und wir wandten uns stattdessen wieder der Handlung der Serie zu, bis wir beide satt und erschöpft vor dem laufenden Fernseher einschliefen. Erst als Benthe, die um halb zwei nach Hause kam und uns schlafend im Wohnzimmer fand, uns aufweckte und fragte, ob wir nicht lieber im Bett als auf einem Sofa schlafen wollten, taumelten wir schlaftrunken in mein Zimmer und schliefen innerhalb von Minuten wieder ein.

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Wer kennt's noch, die aufreibenden Auf und Ab's der Fernbeziehungen? ;)

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