Part 41

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Als es an meiner Tür klopfte, hatte ich keine Ahnung, wie spät es war. Ich war, kaum dass ich meine Wohnungstür aufgeschlossen hatte, ins Badezimmer gestürzt und hatte hektisch im Badezimmer meine Tabletten gesucht, die ich monatelang nicht angerührt hatte. Ich hatte sie schließlich gefunden, tief vergraben in einem der unausgepackten Umzugskartons, hatte eine der Tabletten mit einem Schluck Wasser heruntergekippt, die Vorhänge zugezogen und mich im Bett eingerollt. Irgendwann musste ich eingedöst sein.

Es klopfte noch einmal, leiser allerdings.

„Moment.", nuschelte ich in mein Kissen und richtete mich langsam auf. Mein Kopf dröhnte immer noch, aber wenigstens hatte ich nicht mehr das Gefühl, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Im Dunkeln stolperte ich zur Tür, öffnete sie einen Spalt breit und blinzelte ins helle Licht auf dem Flur.

„Bist du okay?" Mein Vater stand vor mir und ich wusste sofort, dass meine Mutter mit ihm gesprochen hatte. Er sah fertiger aus, als ich mich fühlte und ich wusste, dass das nicht dem langen Turnierwochenende geschuldet war, dass auch hinter ihm lag.

„Ich denke, ich komme durch.", versuchte ich zu scherzen, weil der Ausdruck auf seinem Gesicht allein mir wehtat. „Willst du reinkommen?", schob ich hinterher, drückte auf den Lichtschalter neben der Tür und trat zur Seite.

Er folgte mir und warf einen kurzen Blick auf das Chaos, auf die unausgepackten Kisten und den Inhalt des Kartons, den ich auf der Suche nach meinen Tabletten hektisch ausgeräumt hatte.

„Eigentlich wollte ich dich nur fragen, ob du mit hochkommst. Wir gucken noch einen Film, es gibt was zu essen. Sina meinte, du hast vielleicht auch noch Hunger."

Hunger. Bei dem Gedanken an Essen knurrte mein Magen ziemlich, egal, wie flau mir noch war. Ich erinnerte mich an die Müsliriegel vom Samstagnachmittag und ich erschrak mich selbst ein bisschen als ich feststellte, dass ich seitdem nicht mehr gegessen hatte. Am Abend war ich alleine im Hotel versackt, das Frühstück am nächsten Tag war ausgefallen und nach der Begegnung mit Thomas hatte ich auch nicht mehr an Essen gedacht. Ich warf einen flüchtigen Blick auf meinen Kühlschrank, von dem ich wusste, dass er leer war.

„Ja, das ist keine schlechte Idee. Was gibt es denn?"

„Spaghetti." Er rang sich ein Lächeln ab und ich merkte, wie erleichtert er war, dass ich nicht direkt ablehnte.

„Klingt gut- Bolognese?"

„Was geht sonst am Sonntagabend?", fragte er zurück, wurde aber sofort wieder ernst. „Kim, ich habe mit Sina gesprochen."

Ich stöhnte auf und setzte mich auf mein Bett. „Papa- bitte nicht. Ich habe da heute stundenlang drüber geredet- ich will nicht mehr. Irgendwann anders- aber ich bin durch für heute."

„Ich weiß.", sagte er leise und lehnte sich gegen meinen Tisch. „Ich wollte dir nur sagen, dass es mir Leid tut."

„Kannst ja nichts dafür, dass ich nichts gesagt habe.", sagte ich und starrte auf meine Knie.

„Weißt du noch, wie ich dich vorletztes Jahr nach Weihnachten zum Bahnhof gebracht habe? Du hast geweint und mir weisgemacht, dass es schwer wäre, nach Weihnachten zurück zu fahren, weil du uns vermissen würdest und außer dir in München fast niemand über Neujahr arbeiten würde."

„Stimmte auch.", warf ich ein.

„Ich hätte dir das nie so abkaufen dürfen. Wessen achtzehnjährige Tochter weint vor lauter Abschiedsschmerz nach anstrengenden Feiertagen mit der Familie?" Er zwang sich zu einem Lächeln, aber es verschwand sofort, als er mich direkt ansah. „Es tut mir wahnsinnig Leid. Und mir tut Leid, dass wir dich an deinem Geburtstag nicht besucht haben."

„Entschuldigung angenommen.", sagte ich und stand umständlich auf. „Essen?"

„Noch eins." Er streckte seine Hand nach mir aus und zog so beharrlich daran, bis ich direkt vor ihm stand und ihm in die Augen sah. „Wenn dich je wieder ein Mann schlecht behandelt, dann..."

„...dann rückst du an und hältst ihm einen Vortrag darüber, dass das nicht geht?", unterbrach ich ihn belustigt.

„...dann kommst du zu mir, damit ich dir sagen kann, dass du ihn dringend verlassen solltest." Er seufzte. „Glaube nie, dass du bei irgendeinem Typen bleiben musst, weil du in irgendeiner Weise auf ihn angewiesen bist. Das bist du nicht." Eindringlich sah er mich an. „Bleibe niemals bei jemandem, bei dem du dich nicht wohlfühlst, verstanden?"

Ich nickte stumm, weil ich nicht wollte, dass er merkte, wie nahe mir ging, was er sagte. Er zog mich an sich und ich ließ mich widerstandslos gegen ihn sinken. „Ich habe dich lieb.", murmelte ich schließlich und als ich zu ihm aufsah, glänzten seine Augen ziemlich feucht.

„Ich dich doch auch.", sagte er, blinzelte, schob mich ein Stück von sich weg und fuhr sich mit der freien Hand über die Augen. „Und jetzt? Spaghetti?"



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bisschen Familienharmonie zwecks Vergangenheitsbewältigung kann nie schaden

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