Part 38

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„Das hoffe ich.", sagte sie leise, ließ mich los und wischte dabei ihre Tränen energisch weg.

„Versprochen." Es stimmte, rückblickend hatte ich keinen Zweifel daran, dass die beiden mich niemals dort gelassen hätten, wenn ich ihnen erzählt hätte, was passiert war. Währenddessen jedoch, und das wurde mir erst langsam klar, hatte ich gar nicht begriffen, was da wirklich lief. Nicht, dass ich deswegen weniger gelitten hatte, aber ich hatte einfach weitergemacht. Ich war aufgestanden, hatte mir ein um den anderen Spruch drücken lassen, hatte hingenommen, dass sie mich ausgeschlossen und verspottet hatten und war ins Bett gegangen, jeden Tag aufs Neue. Als das mit Thomas passiert war, hatte ich mir immer gesagt, dass eine hässliche Trennung kein Grund war hinzuschmeißen. Ich hatte keine Ahnung gehabt, wie ich ihnen das hätte erklären sollen. Der Freund, vom dem ich ihnen nie erzählt hatte, und von dem ich mich teilweise so hatte kontrollieren lassen, dass es mir peinlich war, dass ich das überhaupt je angefangen hatte, verbreitete hinter meinem Rücken Lügen über mich. Ich hatte das einfach nicht erzählen können, dazu hatte ich zu dem Zeitpunkt schon zu lange geschwiegen. „Können wir weiter? Ich will nur nach Hause.", sagte ich, als ich merkte, wie sich eine bleierne Müdigkeit in mir ausbreitete.

„Ja, sicher."

Wir stiegen beide wieder ein, meine Mutter startete den Transporter und lenkte ihn wieder auf die Autobahn.

„Wieso hast du nichts erzählt?", fragte sie keine Minute später, als habe sie gemerkt, worüber ich gerade nachdachte.

„Weiß nicht.", antwortete ich wahrheitsgemäß. „Am Anfang dachte ich noch, dass das nicht so schlimm ist. Ich wollte halt auch nicht anrufen und sagen: „Hey, meine Kollegen sind ein bisschen gemein, holt mich ab." Nicht, nachdem ich so unbedingt weg wollte und so...so..." So stolz gewesen war. „Weißt du, wie viele mir vorher zu verstehen gegeben haben, dass ich in einem fremden Betrieb und ohne Sonderbehandlung eurerseits schon bestimmt den Spaß am Reiten verlieren würde? Zumindest am beruflichen Reiten? Ich konnte euch nicht anrufen und sagen, dass ich nach Hause will. Es wäre für immer an mir kleben geblieben."

„Oh Kim...", seufzte meine Mutter. „Das war doch nicht deine Schuld. Du hast da doch nicht versagt."

„Und wer dann?", fragte ich und lächelte bitter.

„Deine Kollegen und Thomas und Ullrich. Er hätte was dagegen machen müssen. Man kann sowas nicht im eigenen Team zulassen."

„Es ist wohl kaum sein Job dafür zu sorgen, dass seine Azubis nett zueinander sind."

„Es ist sein Job, sein Team zu führen. Dazu gehört darauf zu achten, dass niemand systematisch fertig gemacht wird." Sie klang zunehmend wütend. „Wusste er das?"

„Weiß ich nicht.", antwortete ich, streifte meine Turnschuhe ab und zog die Knie an den Körper. Unter anderem vor dieser Stelle des Gesprächs hatte ich Angst gehabt. „Mama, bevor du ausrastest: Ich verbiete dir- und das meine ich ernst- ihn je darauf anzusprechen. Das ist nicht deine Sache und ich will nicht, dass du meinst, das nachträglich lösen zu müssen. Für Papa gilt dasselbe. Ich verbiete es euch!"

Sie atmete schwer aus. „Du warst sechszehn, als du da angefangen hast."

„Habe ich nicht vergessen."

„Fein."

Erleichtert atmete ich auf und schloss meine Augen. Mein Kopf dröhnte vom Weinen, dem Gespräch, dem Schlafmangel und den Ereignissen der letzten Tage.

„Hast du deinen Freunden davon erzählt?", unterbrach meine Mutter wenige Minuten später die Stille.

„Wieso fragst du?"

„Vielleicht, weil ich hoffe, dass du das wenigstens nicht ganz alleine mit dir ausgemacht hast."

„Ich habe es Pia erzählt, als ich sie gesehen habe.", erwiderte ich zögerlich.

„Nicht einmal mit Paul hast du darüber gesprochen?", fragte sie ungläubig und ich stöhnte auf.

„Dem habe ich das am Wochenende erzählt." Das war eigentlich schon mehr Information, als ich hatte herausrücken wollen.

„Am Wochenende...", wiederholte sie langsam und sah mich aufmerksam an. „Obwohl ihr so Stress habt?"



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Mal schauen, ob Kim so Bock auf noch mehr Offenbarungen gegenüber der lieben Sina hat ;)

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