Part 110

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Balu flitzte los, nachdem Paul ihn abgeleint hatte und wir sahen ihm hinterher, wie er mit im Wind wehenden Ohren den Feldweg entlang rannte.

„Ich glaube, Cara und Samuel waren auch schon mal mehr mit ihm spazieren als im Moment.", sagte Paul grinsend und schob die Hände in die Hosentaschen, während ich mich bei ihm einhakte und langsam neben ihm herschlenderte. Cara und Samuel lagen gerade schlafend auf dem Sofa von Pauls Eltern, während die Amelia hüteten. Paul und ich hatten nach dem Mittagessen angeboten, mit Balu spazieren zu gehen und vertraten uns jetzt, vollgegessen wie wir waren, sehr gemütlich die Beine. Es nieselte leicht, aber der graue, kühle Tag passte zu dem gemütlichen Gefühl, dass mich von den Zehen bis in die Haarspitzen ausfüllte. Ich freute mich jetzt schon darauf, nach dem Kaffee mit Paul nach Hause zu fahren, heiß zu duschen und mich danach mit ihm auf sein Bett zu legen und Serien zu schauen, bis uns langweilig würde.

„Die zwei sehen auch ein bisschen gestresst aus im Moment.", erwiderte ich, blieb stehen und hielt Paul fest. „Küsse mich mal."

Er lachte leise, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. Ich konnte nicht anders, als ihm in die Jacke zu greifen, mich auf die Zehenspitzen zu stellen und gegen ihn gelehnt den Kuss zu erwidern. Ich brauchte das gerade. Es war fast wie eine andauernde Bestätigung, dass das in Berlin nicht zählte, nicht als Kuss durchging und kein Problem war. Das hier, das waren nicht einfach Lippen, die sich im Regen auf meine verirrten. Das ging durch und durch, kribbelte hintern Bauchnabel und im Nacken gleichzeitig, während eine mir sehr vertraute Hand durch die Haare in meinem Nacken kämmte. Das wäre nicht harmlos und ganz sicher ein Gespräch wert. Sowas würde ich ihm nicht verschweigen. Oder? Würde ich das über mich bringen? Würde ich das überhaupt machen? Wenn er eine andere so küssen würde...Ich konnte das eifersüchtige Prickeln auf meiner Haut spüren, obwohl ich diejenige war, die gerade etwas verschwieg. „Nicht aufhören.", protestierte ich, als Paul sich von mir löste und mich an der Hand mit sich zog.

„Komm schon, Balu hat sich eine große Runde verdient."

Als wir eine halbe Stunde später mit feuchten Haaren und klammen Klamotten wieder bei Pauls Eltern ankamen, duftete es schon vor der Tür nach Kaffee und bevor Paul den Haustürschlüssel herausgekramt hatte, hatte Samuel- der wesentlich fitter aussah als vor dem Mittagessen- die Tür aufgerissen und Paul ein Handtuch gereicht.

„Weißt ja, nur trockene Hunde dürfen ins Haus.", hatte er schadenfroh grinsend angemerkt und sich mit einem großen Becher Kaffee in der Hand an den Türrahmen gelehnt.

„Du weißt schon, dass das dein Hund ist.", stöhnte Paul und fing an, Balu trocken zu rubbeln, der das Prozedere immerhin widerstandslos über sich ergehen ließ.

Samuel hatte gegähnt und beobachtete träge, wie Paul Balu die Pfoten abtrocknete. „Ach, meins, deins- das sind doch bürgerliche Kategorien."

„Zitierst du das Känguru?", fragte ich begeistert, aber Paul schnaubte leise.

„Bei deinem Hund bist du ja ungewohnt tolerant."

„Vielleicht." Samuel lächelte vage, ehe er sich vom Türrahmen abstieß. „Falls du es vergessen hast, das Handtuch kommt in den Keller."

Abends hatten Paul und ich noch den Stallrundgang übernommen und Pia dabei ein Bild von Niro geschickt, der entspannt in seiner Box lag und fast schon widerwillig seine Augen öffnete, als wir vor seiner Box stehen blieben. Es lief gut mit ihm, zumindest soweit ich das mitbekam. Felix hatte zwischendurch zwar mal den Boden geküsst, aber seitdem war er auf der Hut und Niro speckte bei dem täglichen Training so kontinuierlich ab, dass seine Proportionen schon fast nicht mehr witzig aussahen. „Schicke das Bild mal an Lukas.", sagte ich zu Paul, als ich das große Stalltor zuzog.

„Wie geht's dem eigentlich?", fragte Paul zurück, den Blick auf den Bildschirm gewandt. „Hat der schon einen Job?"

„Weiß nicht.", sagte ich wahrheitsgemäß. „Ich weiß nur, dass er die Note für seine Masterarbeit bekommen hat."

„Und?" Paul verschickte das Foto und steckte das Handy in seine Hosentasche zurück.

„Was und? Er ist ein Streber."

„Spricht da der Neid?"

„Oh, haha." Ich rollte mit den Augen und hakte mich bei Paul unter, während wir gemeinsam aufs Haus zugingen. Es war schon dunkel und ich sah nicht nur Licht hinterm Küchenfenster meiner Eltern, sondern auch meinen Vater, der nach draußen schaute, direkt auf Paul und mich. Seufzend hob ich die Hand und winkte, bis er ebenfalls kurz seine Hand hob und sich dann abwandte.

„Er ist meistens wieder ganz umgänglich.", flüsterte Paul und klang belustigt.

„Ja, ich weiß..." Und trotzdem. Er mochte nett zu Paul sein, aber trotzdem hatten er und meine Mutter Paul bisher nicht dazu eingeladen, beim Essen dazuzukommen und ich fragte mich, ob es daran lag, dass sie ihn nicht am Familientisch haben wollten oder ob sie schlicht nicht daran dachten. Sie waren nicht wie Pauls Eltern. Es gab kein klassisches Sonntagsessen mit anschließendem Kaffee und Kuchen, zu dem man ihn hätte einladen können. Außerdem sahen sie ihn mindestens so oft wie ich und hatten wohl kaum das dringende Bedürfnis, ihn näher kennenzulernen. Gerade meine Mutter und Paul arbeiteten nicht nur eng zusammen, sie kamen auch wirklich gut miteinander aus- und das schon ewig. Und trotzdem. So langsam wünschte ich mir nicht nur, dass sie ihre Zurückhaltung aufgeben und irgendwie spürbar anerkennen würden, dass wir zusammen waren, sondern fragte mich auch, ob Paul sich Gedanken darüber machte, dass meine Eltern keinerlei Anstalten machten, ihn mit so offenen Armen aufzunehmen, wie seine Eltern das mit mir taten. 

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