Part 169

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Nicht nur ich, auch Pia wurde während des erste Umlaufs mit jedem Reiter ein bisschen nervöser. Der Parcours war zwar anspruchsvoll, aber fair. Er war technisch nicht zu anspruchsvoll, die Zeit dafür umso enger bemessen und immer wieder führte genau das dann doch zu Springfehlern.

„Ich hoffe, der reitet einfach sicher durch. Wenn der die Stangen liegen lässt, dann interessiert doch niemanden mehr, wie viele Zeitfehler der hat."

„Na ja...", setzte ich an und wollte einwenden, dass das schon eine Rolle spielte, als Pia nur schnaufte.

Ich weiß, Kim. Trotzdem wäre das für Paul so krass, das doch alles andere egal wäre."

Dem stimmte ich halbherzig zu und knibbelte so nervös an meinen Fingerkuppen, bis es schmerzhaft wurde. Wenn er die Stangen liegen ließ.

Wir setzten uns beide kerzengerade in meinem Bett auf und Pia krallte mir schmerzhaft ihre Fingernägel ins Knie, als der Starter vor Paul seine Runde beendete und wir im Hintergrund erkennen konnten, wie Paul mit Fia in die Bahn getrabt kam. Das rostrote Fell der Stute glänzte, sie war eingeflochten, ihr Schweif akkurat gestutzt und das weiße Fell ihrer Abzeichen war nach der Nacht garantiert neu gewaschen worden. Wenn sie heute so gut sprang wie sie aussah, dann konnte Paul die Augen zu machen und auf Autopilot schalten. Er ließ sich seine Nervosität nicht anmerken, hielt an und richtete Fia einige Schritte rückwärts, bevor er routiniert grüßte und angaloppierte. Pia und ich zuckten bei jedem Sprung, und ich erwischte mich dabei, wie ich vor der Zweifachen selbst Fia mehr hinschieben wollte und nervös mit der Zunge schnalzte. Es wurde weit am Aussprung, Fia musste sich gewaltig strecken, die Stange klapperte, blieb aber doch liegen. Pia neben mir hielt den Atem an und ich wiederholte leise und mantraartig „ruhig weiterreiten, ruhig weiterreiten". Ich hatte keine Ahnung, ob das die Herangehensweise war, für die Paul sich im Vorfeld entschieden hatte, aber es sah so aus. Und mit jedem Sprung, den die beiden fehlerfrei überwanden, wurden Pias Augen größer.

„Der macht das echt noch.", wisperte sie. Paul schien im selben Moment zu realisieren, dass er im Begriff war, nochmal null zu reiten und als jemand pfiff, um ihn auf die knappe Zeit hinzuweisen, packte er beherzter zu, sparte einen Galoppsprung auf dem Weg zur Dreifachen und kam viel zu groß zum Einsprung. Fia, die mit viel zu viel Schwung über den Einsprung segelte, kam am nächsten zu dicht, sprang viel zu flach weiter und räumte mit lautem Klappern die oberen Stangen der nächsten beiden Sprünge ab. Sie bockte zweimal irritiert, schlug mit dem Kopf, nahm Paul damit jede Chance, vor dem Schlusssprung noch vernünftig einzuwirken und kam so unpassend zum letzten Sprung, dass auch dort noch die Stange fiel. Pia stöhnte enttäuscht auf und schlug sich die Hände vors Gesicht und ich war zur Salzsäure erstarrt. Drei Springfehler, zwölf sehr teure Punkte, die auf Pauls bisher so fantastische zwei Strafpunkte aufaddiert wurden- und damit war der Drops gelutscht. Paul schien dasselbe zu denken. Er parierte durch zum Schritt, ließ die Zügel lang und klopfte Fia, während er den Kopf schüttelte. Die Fehler gingen auf seine Kappe und er wusste das. Er hatte sich dazu hinreißen lassen, den Plan aufzugeben und versucht, in die Zeit zu reiten. Sonst wäre das nicht passiert. Während er Richtung Einritt ritt, hob er entschuldigend die Hände und ich brauchte keine Fantasie, um mir den genauen Wortlaut und den Tonfall meiner Mutter vorzustellen, mit dem sie ihn dort in Empfang nehmen würde.




Highlight stand mit halb geschlossenen Augen neben der Aufstieghilfe und atmete so tief aus, dass es schon an ein Stöhnen grenzte. Über 25 Grad, wolkenloser Himmel und ein Reitplatz, der ein Bad in der Mittagssonne nahm. Ich verstand schon, dass Highlight am liebsten zurück auf ihre Weide spaziert wäre. Stattdessen standen wir gemeinsam vor einer niederländischen Trainerin, die mit mir meine Trainingseinheit nachbesprach. Drei Wochen waren seit den deutschen Meisterschaften vergangen und ich versuchte, sowas wie Normalität in meinem Alltag zu finden. Und wenn Normalität schon nicht zu finden war, dann baute ich wenigstens Dinge wie dieses auswärtige Dressurtraining ein, das mich beschäftigt hielt und Distanz zwischen mich und mein Handy brachte. Wenn ich zu lange unbeschäftigt auf meinen Bildschirm starrte, schrieb ich Paul. So, wie ich es nach der vermurksten Runde in Balve getan hatte. Danach hatte ich eine Woche mit steigender Nervosität auf eine Antwort gewartet. Erst dann hatte er sich gemeldet, mit einem halben Satz das Thema Balve abgehakt und ein kurzes „Wie geht es dir?" mitgeschickt. In meiner Euphorie darüber, dass er sich überhaupt meldete, dass er nach mir fragte und nicht direkt raushaute, dass er keine Lust mehr auf mich hatte, hatte ich ihm eine ziemlich lange, begeisterte Antwort geschickt- und tagelang nichts gehört. Wir schrieben seitdem- sporadisch, knapp, mal tagelang nicht- und ich versuchte, nachdem ich ihn anfänglich gleichzeitig zugetextet und mit Fragen gelöchert hatte, mich an sein geringes Kontaktbedürfnis zu gewöhnen. Ich hatte den Inhalt meiner Nachrichten angepasst und fragte nicht mehr nach uns. Er antwortete darauf sowieso nicht. Stattdessen tauschten wir- wenn wir schrieben- belanglose Alltagsschnipsel aus. Mal ein Bild von Pip, der auf meinen Füßen einschlief, mal ein Bild von den heimischen Wiesen, die morgens im Nebel ertranken. Auf Balve hatte ich ihn nicht nochmal angesprochen. Von Pia wusste ich, dass ein wütender, enttäuschter Paul und mein noch wütenderer, enttäuschter Vater auf der Rückfahrt aneinandergeraten waren. Pia behauptete nicht zu wissen, worum der Streit sich gedreht hatte und mein Vater, den ich danach gefragt hatte, behauptete, dass die Auseinandersetzung eigentlich nicht der Rede wert gewesen sei. „Bloß ein kleines Wortgefecht, weil er mir beim Verladen blöd vor die Füße gelaufen ist.", hatte er verlegen geantwortet.

„Deswegen habt ihr gestritten?" Das hatte ich schwer glauben können. Ich hatte dann doch aus ihm herausbekommen, dass er nach der Blamage im Viereck so wütend gewesen sei, dass er Paul bei der Gelegenheit an den Kopf geknallt habe, ob er beim Laufen genauso blind sei wie beim Reiten. Paul, dem sein Reiterfehler selbst noch auf der Leber gebrannt habe, habe das halt nicht auf sich sitzen lassen können. Zuhause allerdings hätte längst wieder Frieden geherrscht. So sicher war ich mir diesbezüglich nicht, immerhin hatte sogar Pia im Nachhinein von dieser kleinen Auseinandersetzung gehört. Paul fragte ich lieber nicht danach. Das Thema war zu kritisch. Kritischer war nur die Frage, ob er am kommenden Wochenende herkommen würde und wenn nicht, ob ich nach Hause fahren solle. Er war auf meine zugegebenermaßen verzweifelte Bitte, die ich bei unserem Telefonat ausgesprochen hatte, nicht mehr zurückgekommen und ich spürte, dass die Frage danach, ob und wann wir uns wiedersehen würden, eine völlig andere Sprengkraft hätte als süße Hundebilder. Also schob ich diese Frage auf und bisweilen sogar aus meinem Kopf. Während des Trainings gelang mir das sogar richtig gut. Ich hatte mich längst an lange Steigbügel gewöhnt; ich blockierte längst nicht mehr im Kopf, wenn ich mein Glück mit Serienwechseln, halben Tritten und Arbeitspirouetten versuchte. Auf Highlight fühlte ich mich einfach zuhause und Benthe hatte angeregt, dass ich zum Auswärtstraining mit ihr fuhr. Sie hatte auch heute während der Stunde auf einer Bank neben dem Reitplatz gesessen und als wir die Arbeit aufgenommen hatten, hatte sie fleißig Aufnahmen gemacht. Es war ein wirklich besonderes Gefühl, mehr und mehr Lektionen mit der Stute zu lernen und langsam an den Punkt zu kommen, an dem ich einfach mit ihr und ihren Fähigkeiten spielen konnte. Dann konnte ich abschalten, dann konnte ich mein Handy vergessen und spürte genau das, weswegen ich nach Renesse gewollt hatte: ich hatte Spaß, ich lachte und eroberte mir in winzigen Schritten die Leichtigkeit zurück, mit der ich früher immer geritten war. 


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Einen schönen Sonntag euch :)

AuftauchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt